© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/17 / 25. August 2017

Trennung im Bösen
Den Unabhängigkeitserklärungen Indiens und Pakistans im August 1947 folgte eine große Vertreibungswelle mit bis zu einer Million Toten
Thomas Schäfer

Im allgemeinen gilt die am 15. August 1947 vollzogene Entlassung Indiens und Pakistans in die Unabhängigkeit als bedeutendster Meilenstein auf dem Wege der Dekolonisation und des Rückzugs der europäischen Mächte aus ihren Überseebesitzungen. Deshalb dürfte es zum Jubiläum wieder zahlreiche Sonntagsreden geben, welche die fatalen Begleiterscheinungen der historisch singulären Machtübergabe vor siebzig Jahren weitgehend ausblenden.

Vielleicht kommen ja noch die zehn bis zwanzig Millionen Flüchtlinge oder Vertriebenen und rund eine Million Ermordeten zur Sprache, denen die überhastete Aufteilung Britisch-Indiens zum Verhängnis wurde. Denn dieses nationale Urtrauma haben weder die Inder noch die Pakistanis bis heute bewältigt. Hingegen dürfte der Hauptgrund für die folgenschwere Zerschlagung der Kronkolonie in drei Teile (Indische Union sowie Ost- und Westpakistan) unter den Tisch fallen: Das war die permanente Erpressungsarbeit des politischen Islam, dem das materiell und moralisch faktisch bankrotte Empire nichts Substantielles entgegenzusetzen wußte.

Während die vorwiegend hinduistisch geprägte Führung des Indian National Congress ein ungeteiltes souveränes Indien präferierte, strebte die 1906 gegründete All-India Muslim League (AIML) spätestens seit Ende 1930 nach einem separaten islamischen Staat. Damals verkündete der neugewählte AIML-Präsident Muhammad Iqbal seine Zwei-Nationen-Theorie, welche besagte, daß Muslime und Hindus schon aus religiösen Gründen in getrennten Ländern leben sollten. Dem schloß sich dann zehn Jahre später auch Iqbals charismatischer Nachfolger Muhammad Ali Jinnah an, was am 23. März 1940 zur Formulierung der Lahore-Resolution führte. Darin forderte die AIML von der Kolonialmacht eine eigene Heimstatt für die indischen Anhänger des Islam.

Von diesem Kurs wich Jinnahs Muslimliga im weiteren Verlaufe des Krieges keinen Fußbreit mehr ab. Gleichzeitig beteiligte sie sich nicht an Gandhis Quit-India-Kampagne von 1942, was zur Folge hatte, daß die Spitzen der AIML im Gegensatz zur Kongreß-Führung auf freiem Fuß verbleiben und weiter für ihre Ziele kämpfen konnten.

 Generalstreik der Muslime löste blutige Krawalle aus

Nach Churchills Wahlniederlage vom Juli 1945 begannen mit Billigung des neuen Premierministers Clement Attlee von der Labour Party Verhandlungen über die Lösung der Indien-Frage, in deren Verlauf Jinnah erneut einen Moslemstaat forderte. Den lehnten der Nationalkongreß und auch die Briten aber nach wie vor ab, weil beide die Zersplitterung des Commonwealth beziehungsweise des freien Indien verhindern wollten. Daraufhin erklärte der AIML-Präsident den 16. August 1946 zum „Direct Action Day“. Dieser Tag des Protestes mit gleichzeitigem Generalstreik der Muslime wurde zum Auslöser blutiger Krawalle, welche insbesondere in der bengalischen Metropole Kalkutta eskalierten und dort bis zu 10.000 Todesopfer forderten. Verantwortlich hierfür war nicht zuletzt der Aufruf des AIML-Funktionärs Huseyn Shaheed Suhrawardy, gegen die zahlenmäßige Dominanz der Hindus in der Stadt vorzugehen.

Anschließend nahm Jinnah die Unruhen scheinheilig zum Anlaß, mit noch größerer Vehemenz auf einen eigenen Islam-Staat zu drängen, weil nur der den „Schutz“ seiner Glaubensbrüder garantieren könne. Und jetzt gaben die Briten tatsächlich nach – getrieben von dem Wunsch, möglichst schnell jegliche Verantwortung für das religiöse und ethnische Pulverfaß Indien loszuwerden, dessen Kontrolle ihnen von Tag zu Tag mehr entglitt.

Während der nachfolgenden Verhandlungen über die nunmehr anstehende Teilung der Kronkolonie in zwei eigenständige Dominions kam es zu weiteren bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in Noakhale, Tippera, Bihar, Patna, Bhagalpur sowie dem Punjab – zumeist wiederum von muslimischer Seite provoziert. Dieser Fortgang der Unruhen nötigte den britischen Vizekönig Lord Louis Mountbatten dazu, die Machtübergabe dergestalt zu beschleunigen, daß dann auch jedwede überlegte Grenzziehung zwischen Indien und Pakistan unmöglich wurde. Hierunter leidet der Subkontinent bis heute, den Streit um die nördliche Kaschmir-Region konnten auch die vier blutigen Kriege nicht lösen.