© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Keine falschen Zeichen mehr setzen
Illegale Migration über das Mittelmeer: EU will Asylprozesse nach Afrika verlagern / Tripolis fordert mehr Unterstützung
Marco F. Hermann

Seit Beginn der Migrationskrise im Mittelmeer klingt aus Rom ein Lamento: Italien werde von seinen Partnern im Stich gelassen. Nicht zuletzt deswegen trafen sich die Regierungschefs Italiens, Spaniens, Frankreichs und Deutschlands sowie die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Montag in Paris. Die Vertreter der drei afrikanischen Staaten Libyen, Tschad und Niger rundeten den Gipfel ab. Gastgeber Emmanuel Macron leitete das Treffen mit der Begrüßung der afrikanischen Präsidenten ein. Es war mehr als nur ein symbolischer Akt – immer noch unterhält Paris zu seinen ehemaligen Kolonien besondere Beziehungen.

Von diesen Kontakten möchte auch Rom profitieren. Noch vor dem Treffen hatte Innenminister Marco Minniti eine afrikanische Task Force gefordert. Neben den drei genannten afrikanischen Staaten soll auch Mali dieser Sicherheitstruppe angehören, die die Grenzen zu Libyen besser kontrollieren soll. 

Minniti konnte sich in den vergangenen Wochen gegen seine innerparteilichen Gegner durchsetzen und gilt als Frontfigur einer rigideren Einwanderungspolitik. Schon im Vorfeld hatte Minniti daher ein Abkommen mit 14 libyschen Bürgermeistern und Stammesführern ausgehandelt, die gegen Hilfsleistungen ein stärkeres Engagement gegen illegale Einwanderung zusicherten. 

Roms Hilfe für Libyens Küstenwache zeitigt Erfolge   

Präsident Macron und Kanzlerin Angela Merkel schlugen in die gleiche Kerbe. Asylberechtigte Flüchtlinge sollten bereits in Niger und im Tschad den Asylprozeß für die EU beginnen können. Geleitet werden soll das Vorhaben vom UN-Flüchtlingswerk UNHCR.

Dies müsse dabei entscheiden, wer in einer Notlage sei. „Das kann aber nur dann gehen, wenn wir eine klare Unterscheidung auch zu den Menschen finden, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Libyen gehen, um von dort nach Europa zu kommen.“ Die Möglichkeit für eine solche Übernahme von Flüchtlingen sei zudem daran gekoppelt, daß die illegale Migration gestoppt werde. „Sonst würden wir falsche Zeichen setzen.“ Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen kämen, müßten zurück, bekräftigte Merkel.

Tatsächlich gehen die Zahlen der Einwanderer, die per Boot von Afrika nach Italien übersetzen, seit zwei Monaten zurück. Im August 2016 erreichten noch 21.000 Migranten Europa über die Mittelmeerroute, im August 2017 waren es nur noch 3.000. Der Aufbau der libyschen Küstenwache und die Kooperation mit Italien scheint Erfolg zu haben. Die wenigen verbliebenen NGOs, die noch zwischen Sizilien und der libyschen Küste fahren, haben sich dem Diktat aus Rom gebeugt. Die Libyer gehen zu Lande und zu Wasser gegen den Menschenhandel vor und machen dabei auch von Waffengewalt Gebrauch – so werden Schleuser mit Warnschüssen eingeschüchtert.

 Über 14.000 Personen griff die libysche Küstenwache in den vergangenen drei Monaten auf. Sie werden im Hafen Tripolis durch von der EU finanzierte Mitarbeiter des UNHCR und des International Medical Corps (IMC) in Empfang genommen. 

Mit der Festnahme des „Königs der Menschenhändler“ Salim Fahmi bin Khalifa gelang der libyschen Regierung in Tripolis ein entscheidender Schlag in der Schlepperhochburg Zuwara. In Sabrata, einem weiteren Knotenpunkt für Schleuserbanden, patrouilliert zudem eine bewaffnete Gruppe aus Soldaten, Polizisten und Zivilisten, die ein Übersetzen im Keim ersticken. 

Laut Reuters soll ein ehemaliger Mafiaboß die als „Brigade 48“ bekannte Truppe anführen. Obwohl Wetter und Seegang im August optimal ausfielen, verminderte sich daher die Zahl der Boote, wie lokale Hilfsgruppen berichteten. Schmuggler und Schleuser wichen auf andere Routen aus, so nach Spanien. Dort erreichten im vergangenen Juli 2.300 Migranten das europäische Festland, viermal mehr als im Vorjahr. 

Roms Unterstützung auf See und die materielle Hilfe festigen die Regierung von Präsident Fayiz as-Sarradsch im Bürgerkriegsland. Der Aufbau von Sicherheitskräften schreitet voran. Dennoch bleibt Libyen weit von einer Stabilisierung entfernt. Die Spannungen zwischen as-Sarradsch in Tripolis und dem General Chalifa Haftar in Tobruk bleiben ein ungelöstes Problem. 

Mit der Seeblockade geht die Trichterfunktion Italiens zudem auf die ehemalige italienische Kolonie über. 700.000 Migranten drängen dort nach einer Überfahrt über das Mittelmeer. Die Zustände in den libyschen Flüchtlingslagern gelten wegen der Überfüllung als katastrophal und sind auch auf dem Pariser Gipfel ein Thema gewesen. 

Dagegen warnte Präsident as-Sarradsch die Europäische Union vor gänzlich anderen Problemen: „Wenn ihr Libyen nicht helft, dann helft ihr den Terroristen. Wenn die Migranten Europa erreichen, bewegen sie sich völlig frei, und wenn Terroristen darunter sind, sollte dies die ganze EU angehen.“ Ende Juli hatte die libysche Küstenwache fünf Terrorverdächtige aufgegriffen, die aus dem Grenzgebiet Tunesiens nach Libyen und von dort nach Italien weiterreisen wollten.