© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Faktenfreie Empörung
Haßobjekt Auto: Der Kampf gegen Dieselfahrzeuge bildet nur die Vorhut – letztlich soll es dem Verbrennungsmotor an den Kragen gehen
Michael Paulwitz

Autos mit Verbrennungsmotor bis 2030 einfach verbieten – bei den Grünen ist das Parteitagsbeschluß. Ihr Spitzenkandidat, der gelernte Sozialpädagoge Cem Özdemir, erhebt die Forderung zur Koalitionsbedingung, die Kanzlerin macht sie sich prophylaktisch schon mal zu eigen, wenn auch ohne konkretes Datum. Von einem anderen Planziel, bis 2020 eine Million Elektroautos auf deutsche Straßen zu bringen, mußte Angela Merkel erst im Mai taktisch abrücken, weil die Leute solche Fahrzeuge trotz massiver Subventionen einfach nicht kaufen wollen. Dafür zieht SPD-Herausforderer Martin Schulz mit einer Pflichtquote für Elektroautos in den Wahlkampf.

Die Autoindustrie als Haßobjekt, der frei entscheidende Bürger als das „größte Risiko“. Die im Juni geäußerte Vision der Kanzlerin ist verräterisch: Der Bürger als entmündigtes Beförderungsobjekt – „Wir werden in 20 Jahren nur noch mit Sondererlaubnis selbständig Auto fahren dürfen.“

Während das Fehlverhalten der Autoindustrie im Umgang mit politischer Grenzwerte-Willkür als Vorwand zu einer Kriegserklärung an den Dieselantrieb herhalten muß, dem mit massiven Eingriffen wie Fahrverboten in Innenstädten gedroht wird, entfalten Politik und Verwaltungen bereits seit geraumer Zeit Einfallsreichtum, um Bürgern die Benutzung des eigenen Pkw zu verleiden.

Die Steuerermäßigung auf Dieselkraftstoff steht diesmal ernsthaft zur Disposition. Bereits Rot-Grün hat unter dem Mäntelchen der „Öko-Steuer“ die Kraftstoffbesteuerung drastisch in die Höhe getrieben. „Öko-Plaketten“ halten mit erheblichem bürokratischem Aufwand ältere Fahrzeuge mit niedrigeren Schadstoffklassen aus Innenstädten und Ballungsräumen fern.

Freier Individualverkehr – für Rot und Grün ein Graus

Grün und rot regierte Großstädte wie Stuttgart und Düsseldorf wollen Autofahrer mit unattraktiven Ampelschaltungen zum Umsteigen auf den ÖPNV „erziehen“ und führen Tempo 40 oder Tempo 30 auch auf Hauptverkehrsstrecken ein. Das SPD-geführte Umweltbundesamt will ein generelles innerörtliches Tempolimit von 30 km/h durchsetzen. Landesregierungen führen das bundesweit noch nicht durchsetzbare Autobahn-Tempolimit durch weiträumige Geschwindigkeitsbegrenzungen ein; in NRW experimentiert man mit falschen Baustellen, um den Autoverkehr zu bremsen.

Gegen den freien, selbstbestimmten Individualverkehr richten sich auch das politisch und medial propagierte und geförderte „Teilen“ von Autos („Car-Sharing“) oder gar Fahrrädern als Alternative zum Privat-Pkw: Fahrzeugbenutzung nur auf Antrag und nach vorheriger Planung sozialisiert Mobilität und macht nebenbei die Bewegungsprofile der Bürger noch besser kontrollierbar.

Umweltgründe und „Luftreinhaltung“ sind die gängige Begründung für die meisten dieser Maßnahmen. Doch Tatsache ist: Die Großstädter atmen, auch und gerade in Deutschland, die sauberste Luft seit wenigstens hundert Jahren. Der Stickoxidausstoß ist in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren auf weniger als die Hälfte zurückgegangen, der verkehrsbedingte sogar um rund 70 Prozent. Die neuesten Automodelle erfüllen auch die heutigen strengen Grenzwerte. Von einer flächendeckenden Manipulation durch manipulierte Messungen kann also keine Rede sein.

Die tatsächliche Schädlichkeit von Stickoxiden in Verbindung mit anderen Luftbestandteilen ist kaum erforscht. Für den natürlichen Stoffkreislauf sind sie sogar, wie auch das behauptet „klimaschädliche“ Kohlendioxid (CO2) unverzichtbar. Aber auch beim in der Tat gesundheitsgefährlichen Feinstaub hat der Individualverkehr nur einen geringen Anteil am Gesamtausstoß – etwa ein Sechstel. Die größten Einspareffekte wurden in der Vergangenheit durch die Zurückdrängung von Holz- und Kohle-Heizungen und durch effektive Filteranlagen in der Industrie erzielt. Ein Großteil der heutigen Feinstaubbelastung in Großstädten geht auf Baustellenschmutz, Bremsabrieb und andere Quellen zurück und ist durch einfache Verfahren wie nasse Straßenreinigung effektiver einzudämmen als mit Fahrverboten.

Das Grenzwerte-System erscheint zudem willkürlich und wirr. Bei Stickoxiden sind an Industriearbeitsplätzen acht Stunden täglich 950 Mikrogramm/m³ erlaubt, im Büro 60 und auf der Straße 40 Mikrogramm/m³. Vor 20 Jahren galten noch zehnfach höhere Werte als unbedenklich; auch hier ist also Lobbyismus am Werk. Begründet werden die Diskrepanzen damit, daß im Beruf nur gesunde jüngere Menschen betroffen seien, im Straßenverkehr dagegen alle. Niemand sitzt allerdings stundenlang an einer vielbefahrenen Kreuzung. 

Eine Nebenstraße weiter können die Werte schon drastisch niedriger sein. In Deutschland stehen mehr Meßstationen als im restlichen Europa, und sie stehen vor allem an Emissions-Brennpunkten, wo die Durchlüftung schlecht ist, was die verzerrten Ergebnisse erklärt. Dennoch entspricht der Grenzwert von 50 Mikrogramm Feinstaub am Tag, der laut EU-Richtlinie nur 35mal im Jahr überschritten werden darf, gerade mal den eingeatmeten Partikeln einer halben nikotinfreien Zigarette. Horrorzahlen von angeblich 80.000 Toten im Jahr lassen sich daraus vernünftig kaum begründen.

Eine weitere Daumenschraube sind die stetig gesenkten Grenzwerte für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2). Das aktuelle Limit von 130 g CO2 auf hundert Kilometer wird von den Flotten der deutschen Hersteller derzeit knapp erfüllt. Ein Aus für den Diesel würde das bereits zunichte machen, da der Ausstoß bei Benzinern höher liegt. Bis 2020 sollen die Vorgaben auf 95 g CO2 / 100 km gesenkt werden. 

Großer Schaden für heimische Industrie

Die strengen Grenzwerte für CO2 begünstigen Hersteller von Klein- und Kompaktwagen, die in Italien und Frankreich dominieren. Gegen entschlossenen Widerstand der Bundesregierung hätten sie kaum passieren können. Deutsches Regierungshandeln schadet damit schon jetzt im Namen der vermeintlich guten Sache der heimischen Industrie.

Gern übersehen wird, daß auch die strengen Stickoxid-Grenzwerte, auf die die US-Umweltbehörden den Schwerpunkt legen, die heimische Autoindustrie, die fast ausschließlich auf Benziner setzt, vor der technisch attraktiven europäischen und insbesondere deutschen Diesel-Konkurrenz schützen. Der US-„Dieselskandal“ hat somit auch die Funktion, die Expansion der technisch hochausgereiften deutschen Dieselantriebe auf den amerikanischen Markt zu stoppen. 

Eine dubiose Rolle spielen hierbei als Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verklärte Lobbyisten-Vereine wie die Deutsche Umwelt-Hilfe“ (DUH), die mit aggressiven Anti-Diesel-Kampagnen und angekündigten Klagen auf Diesel-Fahrverbote in 62 deutschen Großstädten Front gegen die deutsche Autoindustrie macht. Wenig beachtet wird, daß die fragwürdige Abmahnorganisation DUH mit der Mitgliederzahl eines Kleingärtnervereins seit langem vom Volkswagen-Hauptkonkurrenten Toyota großzügig gesponsert wird, der seinerseits aus der Diesel-Technologie ganz aussteigen will. Deutsche Politiker wie die Grüne Renate Künast, die schon vor zehn Jahren forderte, lieber Hybrid-Autos von Toyota statt schwerer deutscher Wagen zu kaufen, sind da natürlich als kostenlose Verkaufshelfer hochwillkommen.

Für die Bürger bedeutet der in Salamitaktik geführte Feldzug gegen den Verbrennungsmotor vor allem Wertevernichtung und kalte Enteignung. Bereits die Einführung von „Umweltzonen“ hat den Wiederverkaufswert Hunderttausender Altfahrzeuge mit schlechterer Schadstoffklasse, die nicht mehr in die Städte fahren dürften, drastisch reduziert. Den Schaden haben davon vor allem Leute mit kleinerem Geldbeutel, die auf das Auto schon aus beruflichen Gründen nicht verzichten können. Werden Dieselfahrverbote tatsächlich umgesetzt, wird sich dieser Effekt noch vervielfachen. Zur Kasse gebeten werden die Bürger zudem auch als Steuerzahler, weil sie kostspielige Anreiz-, Subventions- und Umsteigeprogramme ungefragt mitfinanzieren müssen.

Das Projekt „Dekarbonisierung“ bedeutet in letzter Konsequenz De­industrialisierung. Die deutsche Automobilindustrie ist Rückgrat der deutschen Wirtschaft und Exportmotor. Ein Aus für den Verbrennungsmotor würde nach Berechnungen des Ifo-Instituts bis zu 600.000 Arbeitsplätze bei Herstellern und Zulieferern gefährden – rund zehn Prozent der deutschen Industriebeschäftigung. Händler und Dienstleister, die mittelbar von diesem Potential leben, sind da noch gar nicht eingerechnet. Nach den Verlusten, die die „Energiewende“ den Energieherstellern zugefügt hat, die zudem bereits zu Rekord-Energiepreisen und der beginnenden Abwanderung energieintensiver Industrien geführt hat, wäre das ein Schlag, von dem sich die deutsche Wirtschaft schwerlich erholen dürfte.

Selbstherrlich dekretieren Politiker von Grün bis Schwarz, die Zukunft des Automobils liege in der Elektromobilität und die deutschen Hersteller sollten sich gefälligst darauf einstellen, wenn sie nicht untergehen wollten. 

Der US-Hersteller Tesla verkaufte im ersten Halbjahr 2017 gerade mal 47.000 Fahrzeuge, weniger als ein Prozent des Volkswagen-Absatzes im gleichen Zeitraum. Für den massenhaften Einsatz ist das Elektroauto dem Verbrenner in allen relevanten Aspekten – Reichweite, Sicherheit, Unabhängigkeit, Verfügbarkeit, Energieverwertung, Kosten – unterlegen. 

Wo die immensen Strommengen, die für eine Umstellung des heutigen Individualverkehrs auf Elektroantrieb nötig wären, herkommen sollen, ist ungeklärt, ebenso, wie diese flächendeckend in ausreichender Kapazität verfügbar gemacht werden sollen. 

„Alternative“ Energiequellen können das nicht leisten, es sei denn, man wollte Hunderttausende Windräder oder eine Photovoltaikanlage von der Größe des Saarlandes errichten – und die lieferten den Strom noch immer nicht dann, wenn er benötigt wird. Emissionen würden also nicht „eingespart“, sondern auf Kohle- und Gaskraftwerke verlagert.