© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Die Rückkehr der Mönche
Bistum Görlitz: Kloster Neuzelle ist wieder Heimat für eine geistliche Gemeinschaft von Zisterziensern
Peter Möller

Auf den ersten Blick paßt in dieser Geschichte eigentlich nichts zusammen. Ausgerechnet am östlichen Rand von Brandenburg, wenige Kilometer südlich von Eisenhüttenstadt, in einem Landstrich, in dem sich das Christentum längst verflüchtigt hat, soll ein neues Kloster entstehen.

Und doch ist es nicht neu, sondern alt, sehr alt sogar. Denn in dem Ort Neuzelle, knapp drei Kilometer von der Oder und damit von der Grenze zu Polen entfernt, lebten über Jahrhunderte Mönche des Zisterzienserordens. Sogar die Reformation hatte das 1268 gegründete Kloster als einziges in der Niederlausitz als eine katholische Insel im protestantischen Meer überstanden. Erst mit der Säkularisierung durch Preußen verließen die letzten Mönche 1817 Neuzelle. Die eindrucksvolle Klosteranlage wurde seitdem vom Staat genutzt.

Nun, genau zweihundert Jahre später, kehren die Mönche zurück. Seit vergangenem Sonntag ist das Koster Neuzelle keine leere Hülle mehr, sondern dient wieder seinem ursprünglichen Zweck: dem Gebet. Vier Zisterzienser aus dem österreichischen Klosterstift Heiligenkreuz im Wienerwald sind nach Neuzelle gezogen, um das Kloster neu zu gründen. Die Initiative für die Wiederbelebung von Neuzelle ging 2013 von dem Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt aus und mündete schließlich in der Einladung an die Zisterzienser aus Heiligenkreuz. Im kommenden Jahr sollen der nun angekommenen Vorhut vier weitere Mönche folgen, um offiziell ein neues Kloster ins Leben zu rufen. Dann, genau 750 Jahre nach seiner Gründung, soll das Kloster Neuzelle als Zweigstelle (Priorat) des österreichischen Mutterklosters etabliert werden. Aber bereits seit vergangenen Sonntag bestimmen die zahlreichen Gebete und Choräle der Mönche wieder den Tagesrhythmus: Beginnend mit den 40 Minuten dauernden Vigilen um fünf Uhr in der Früh bis zur Vesper und der Komplet am Abend.

Die ursprünglich im Stil der Backsteingotik errichtete Anlage in Neuzelle blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Während der Hussitenkriege Anfang des 15. Jahrhunderts wurde das Kloster zerstört und fast alle Mönche ermordet. Diese werden seitdem als „Märtyrer von Neuzelle“ verehrt. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde die Klosteranlage dann erneut schwer beschädigt. Doch der Wiederaufbau machte Neuzelle zu dem heute noch von vielen Besuchern bestaunten brandenburgischen „Barockwunder“. Herzstück des eindrucksvollen Ensembles ist die süddeutsch anmutende Kirche St. Mariä Himmelfahrt, die Mitte des 17. Jahrhunderts von italienischen Künstlern prachtvoll im Stil des Barock ausgestattet wurde. In einer zweiten Bauphase Mitte des 18. Jahrhunderts erhielt das hoch über dem Odertal gelegene Gotteshaus mit seinen zahlreichen Nebenaltären und dem prunkvollen Hochaltar, das 1892 wie durch ein Wunder nur knapp einer Feuerkatastrophe entging, seine heutige Gestalt.

Nach der Aufhebung 1817 wurde der Besitz des Klosters bis 1955 vom staatlichen Stift Neuzelle verwaltet. Nach der Wiedervereinigung kümmert sich seit 1996 eine öffentlich-rechtliche Stiftung des Landes Brandenburg um die Anlage, die seit 1993 umfassend saniert wurde. Der Klostergarten und die Orangerie wurden 2004 nach einer umfangreichen Rekonstruktion wiedereröffnet. Zu den Besonderheiten gehört die aus dem 18. Jahrhundert stammende Neuzeller Passionsdarstellung vom Heiligen Grab, deren einst 242 Figuren zum Großteil 1997 eher zufällig auf dem Dachboden der Kirche wiederentdeckt worden waren.

Bereits am kommenden Sonntag steht dem neuen, alten Kloster mit einer Wallfahrt zur Muttergottes von Neuzelle das erste große Fest bevor. Neben dem Görlitzer Bischof Ipolt wird auch der Abt von Heiligenkreuz, Maximilian Heim, an der Wallfahrt teilnehmen, zu der mehrere tausend Gläubige erwartet werden. Denn Neuzelle ist seit dem Verlust Schlesiens nach dem Zweiten Weltkrieg für viele vertriebene Katholiken zu einem Ersatz der schlesischen Wallfahrtsorte geworden. Die Stiftskirche ist dadurch zu einem der wichtigsten Marienwallfahrtsorte in Mitteldeutschland aufgestiegen.

Neben ihren Gottesdiensten und Gebeten werden die Zisterzienser sich in der Gemeinde- und Wallfahrtsseelsorge und im katholischen Religionsunterricht engagieren. Der Abt des Mutterklosters Heiligenkreuz, Maximilian Heim, läßt keinen Zweifel daran, daß es dabei vor allem auch um den Versuch einer Re-Christianisierung geht. „Wir hoffen, daß in Neuzelle ein Ort der geistlichen Einkehr entstehen kann, gerade in einer Gegend, in der sich nicht viele Menschen zum christlichen Glauben bekennen“, sagte er der Katholischen Nachrichtenagentur KNA. „Ich glaube, es ist manchmal einfacher, einem fragenden Atheisten von Jesus Christus zu erzählen, als einen gleichgültig gewordenen getauften Christen neu für das Evangelium zu begeistern.“ Es wäre nicht das erstemal, daß sich das Wirken der Zisterzienser für Brandenburg als segensreich erweist. Schon an der Kultivierung und Urbarmachung der Mark im Mittelalter waren die Klöster der Zisterzienser vielfach maßgeblich beteiligt. Das Stift Heiligenkreuz kann den Abgang der nach Brandenburg entsandten Mönche übrigens gut verkraften. Das Kloster ist mit derzeit 102 Mönchen die größte Zisterzienserabtei Europas.

Auch die rot-rote Landesregierung im fernen Potsdam hat der Neubesiedelung des Klosters in Neuzelle ihren Segen gegeben. „Mit der Wiederetablierung mönchischen Lebens würde die Region nicht nur weiteres touristisches Interesse auf sich ziehen, sondern es kann ein neues spirituelles Zentrum mit Ausstrahlungs- und Anziehungskraft weit über Neuzelle hinaus entstehen“, hofft Kultusministerin Martina Münch (SPD) in der Berliner Morgenpost.

Zunächst müssen in Neuzelle allerdings noch ganz weltliche Probleme gelöst werden. Vorerst werden die vier Mönche das ehemalige Pfarrhaus beziehen, später ist eigentlich ein Umzug in ein anderes Gebäude auf dem Klostergelände geplant. Doch derzeit werden die Gebäude noch von der staatlichen Stiftung genutzt – eine Lösung dieses Problems ist bislang nicht abzusehen. Doch daran wird die Wiederbelebung des geistlichen Lebens nach 200 Jahren nicht mehr scheitern.