© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Vom Alten Fritz zum neuen Reichskult
Ein Kaleidoskop locker gefügter Studien zur Kunstgeschichte Preußens
Gerd Liening

Nicht weniger als siebzehn, überwiegend in Berlin und Potsdam tätige Historiker und Kunstwissenschaftler fragen in einem prächtig ausgestatteten Sammelband, was denn spezifisch preußisch ist an der in Preußen entstandenen Kunst. Wenn dabei auch ein weites Feld untersucht wird, das vom Berliner Kachelofen, Rokokomöbeln und Gärten bis zur Stadtarchitektur Schinkels, bis zur Potsdamer Orangerie, „der großartigsten Palastanlage Norddeutschands“, und zum Neueinsatz preußischer Kunstpolitik unter König Wilhelm I. reicht, so findet sich am Ende doch die Warnung des Mitherausgebers Frank-Lothar Kroll bestätigt: der Band werde ungeachtet seines Titels nicht den Anspruch erfüllen, das typisch Preußische in der Kunst „letztgültig aufzuspüren“. Vielmehr biete er ein „Kaleidoskop locker gefügter Detailstudien“.

Derart eingestimmt, schraubt der Leser seine Erwartungen herab. Obwohl ihm das „wesenhaft“ Preußische verborgen bleibt, bieten die Aufsätze aber eine erfreuliche Fülle neuer Aspekte zur Kulturgeschichte des Hohenzollernstaates. Und statt des nur schattenhaft hier und da angedeuteten „Wesens“ preußischer Kunst entdeckt man die politische Funktion von Kunst und Architektur als einigende Klammer vieler Beiträge, die dafür sorgte, daß die Fügung denn doch nicht allzu „locker“ ausfiel. 

Dabei hätte das Korsett der Analysen und Argumente sogar noch entschieden fester gezurrt werden können. Denn allzu oft bleiben die Autoren in bloßen Behauptungen politischer Absichten staatlicher Kunststrategen stecken. So etwa bei der „Beeindruckungsarchitektur“ der Potsdamer Orangerie, deren architektonische Semantik den Betrachter zum Monarchisten erziehen solle. Oder bei Schinkels „autonomer Ästhetik des Zweckbaus“, die auf stadträumliche Veränderungen der Industrialisierung antworte und im Vormärz den öffentlichen Raum für die sich entfaltende „Zivilgesellschaft“ abstecke.

Keiner dieser lehrreichen, wenn auch eher an Experten adressierten Beiträge rutscht jedoch auf das Niveau von Ingo Sommers „Baumeister und Könige auf dem Weg zur modernen Stadt“ ab. Der in westdeutsche Wolle gefärbte Verfasser, 1942 in Paderborn geboren, von 1973 bis 2002 Leiter des Hochbauamtes in Wilhelmshaven, fremdelt offensichtlich beim Thema Preußen. Kein Wunder, denn der Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit, die er, aller Ehren wert, neben seiner amtlichen Tätigkeit leistete, lag nun mal in der Erforschung der Baugeschichte der Marinestadt am Jadebusen. Ihr galt schon die Dissertation über – auf den Zeitraum hätte man wetten können – „Wilhelmshavens Architektur und Stadtplanung im Dienst des NS-Systems“ (1993). Derart ungenügend vorbereitet, gab sich der Oldenburger Honorarprofessor dann nach der Pensionierung ausgerechnet einer unglücklichen Liebe zur preußischen Architekturgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts hin. Wie unglücklich, ist in seinem die Grenze zur Geschichtsklitterung nicht nur touchierenden Beitrag zu diesem Band nachzulesen. 

Andreas Schlüter, der Baumeister des Berliner Stadtschlosses, sei „in Polen geboren“ worden. Tatsächlich war in der Forschung nur lange umstritten, ob Schlüter in Hamburg oder in Danzig, 1659, 1660 oder gar 1662, das Licht der Welt erblickte. Inzwischen neigt sich die Waage zugunsten der nie dem Königreich Polen einverleibten westpreußischen Handelsmetropole, wo Schlüter jedenfalls aufwuchs, seine Lehre bei dem Bildhauer Christoph Sapovius absolvierte und seine Frau fand, die deutsche Bürgerstochter Anna Elisabeth Spangenberg. 

Somit zählt auch der Architekt Friedrichs I., seit 1701 der erste König in Preußen, nicht zur von Sommer zeitgeistkonform phantasierten „großen Schar der Zuwanderer“ aus „allen Teilen Europas“, denen die Baukunst des „Vielvölkerstaates“ Preußen angeblich das meiste zu verdanken habe. Wie hingegen mühelos der Blick in biographische Lexika bestätigt, haben wir es stattdessen durchweg mit Autochthonen zu tun. Schlüters Vorgänger, die Baumeister des Großen Kurfürsten, Johann Arnold Nering aus Wesel und Johann Friedrich Eosander von Göthe aus Riga, entstammten dem rheinischen und dem baltischen Deutschtum. Friedrich des Großen Sanssouci-Architekt Wenzelslaus von Knobelsdorff kam aus der Neumark, der Schöpfer des Brandenburger Tores, Carl Gotthard Langhans, aus Landeshut in Schlesien. David Gilly, dem das arkadische Paretz zu danken ist, aus Schwedt an der Oder, sein genialischer Sohn Friedrich aus dem pommerschen Altdamm nahe Stettin. Und daß Karl Friedrich Schinkel, ein Sohn der Fontane-Stadt Neuruppin, entgegen Sommers Suggestionen partout kein „Migrant“ war, mag dessen Ruf als neuzeitlicher Klassiker der Baukunst nur in den antideutschen Alt-68er-Kreisen des Verfassers schmälern.

Deutungsmuster aus der bundesdeutschen Gegenwart

Was Sommer aber eigentlich darlegen wollte, verrät uns der Oldenburger Konfusionsrat zwar nicht in diesem, aber hoffentlich in einem weiteren seiner Spätwerke. Nämlich wie die Bautätigkeit des vermeintlichen preußischen „Vielvölkerstaats“, der bis 1867, als die marginale dänische Minderheit in Nordschleswig hinzukam, nur eine zumindest in Masuren, Oberschlesien und im Memelland bestens assimilierte, polnische und litauische Minderheit aufwies, die „national integrierende Herrschaft“ stabilisierte, wie die Hohenzollernmonarchie es mittels Architektur plus „Kunstgriff der Zuwanderung“ schaffte, in Europa, so Sommers burleske Wendung, „an die Schalthebel der Macht“ zu kommen.

Warum die Herausgeber, renommierte Kenner der preußisch-deutschen Kultur- und Geistesgeschichte, diesen unausgegorenen Aufsatz überhaupt akzeptierten, bleibt rätselhaft. Um aber mit Erich Kästner stets das Positive im Auge zu behalten, seien abschließend die Beiträge Agnete von Spechts über „Preußische Identität und Historienmalerei“ und Peter Betthausens gedankenreiche Einleitung „Wie preußisch ist die preußische Kunst?“ empfohlen. Anzukreiden ist denen nur, daß sie zu skizzenhaft ausgefallen sind. 

So eilt von Specht auf wenigen Seiten von der Friedrich II.-Panegyrik und den Anfängen einer zeithistorische statt antik-mythologische Motive verwertenden Historienmalerei der 1780er Jahre allzu hastig über Adolph Menzel und dessen preußisches Wir-Gefühl für drei Generationen steigernde patriotische Bildwelt bis zum „neuen Reichskult“, der, wie Hermann Wislicenus’ Fresken in der Goslarer Kaiserpfalz, die Hohenzollern als direkte Nachfahren der Staufer glorifizierte, um dem Publikum die Kontinuität deutscher Geschichte zu veranschaulichen.

Und von Betthausen hätte man sich gewünscht, daß er die Auseinandersetzung mit Arthur Moeller van den Bruck aufnimmt, den er zu Recht als einzigen Denker charakterisiert, „der glaubte, das Preußentum auch in der Architektur und Kunst nachweisen zu können“. Von Moeller aus wäre dann der Brückenschlag ein Leichtes gewesen zu jener nach 1945 im Westen brutal abgebrochenen, in der weniger geschichtsvergessenen DDR nach 1980 hingegen vitalisierten Tradition der Kunstgeschichte, die nach ethnisch-nationalen Prägungen von Bildern und Bauten gefragt hat. Dieser Forschungstradition, mit der Betthausen als Biograph Georg Dehios doch offenkundig sympathisiert, ging es um eine deutsche Kunstgeschichte und nicht lediglich um eine letztlich ortlose, „national befreite“ Geschichte von Kunst in Deutschland. 

Peter Betthausen, Frank-Lothar Kroll (Hrsg.): Kunst in Preußen – preußische Kunst? Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2016, gebunden, 321 Seiten, Abbildungen, 69,90 Euro