© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/17 / 01. September 2017

Knapp daneben
Das Gewissen hat Vorrang
Karl Heinzen

Wer im nördlich von London gelegenen Northampton bei Aldi einkauft, sollte sich vergewissern, daß er an der Kasse, an der er sich anstellt, auch all das bezahlen kann, was er in seinen Wagen gelegt hat. Ein muslimischer Beschäftigter der Filiale konnte nämlich erwirken, daß ihm die Zumutung erspart bleibt, Waren, die seinen religiösen Grundsätzen widersprechen, über den Scanner zu ziehen. Verschlägt es ihn an die Kasse, weist ein kleines Schild die Kunden darauf hin, was sie hier nicht auf das Band legen dürfen. 

Bislang sind lediglich alkoholische Getränke unter diesen Vorbehalt gestellt. Es mag sein, daß der Laden andere Produkte, die ebenso mit Tabu zu belegen wären, gar nicht im Sortiment hat. Vielleicht ist der Angestellte aber auch bloß so tolerant, daß er fünfe gerade sein läßt und sich auf das Wesentliche konzentriert.

Tierschützer, Veganer, Ökologen, Antifaschisten und Humanisten könnten ihre Ansprüche anmelden.

Bereits damit hat er aber ein Zeichen gesetzt. Bislang galt es als selbstverständlich, daß Arbeitnehmer die Geschäftspolitik ihrer Arbeitgeber ohne Wenn und Aber hinzunehmen haben. Sollten sie mit dieser nicht leben können, hätten sie ja, so die gängige Auffassung, die Möglichkeit, sich einen anderen Job zu suchen. Aldi Northampton zeigt nun, daß es auch anders geht. Vermeintliche Kundeninteressen dürfen keinen Vorrang vor dem Gewissen der Beschäftigten haben. Dieses Beispiel könnte massenhaft Schule machen, gibt es doch in den europäischen Gesellschaften außer Muslimen auch noch andere Menschen, die an Überzeugungen festhalten. Diese sind zwar vielleicht selten religiöser Natur, aber dennoch ernst zu nehmen. So könnten demnächst Tierschützer, Veganer, Ökologen, Antifaschisten und Humanisten mit starkem Verantwortungsgefühl für das Weltganze ihre jeweiligen Ansprüche anmelden. Kurzfristig sind es aber wohl doch eher die Glaubensbrüder und -schwestern des Northamptoner Aldi-Mitarbeiters, die Gehör finden dürften, befinden sie sich doch in einer strategischen Allianz mit allen Gesundheitsbewußten. Dank ihrer religiösen Ernährungsvorschriften haben Muslime weniger Gewichtsprobleme. Insofern könnte unserer Gesellschaft ein klein wenig Islamisierung ganz gut tun.