© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Warten auf die Weiterreise
Migration über Sizilien: Italienische Geschäfte mit der Notlage der Afrikaner / JF-Reportage von beiden Seiten der Straße von Messina
Hinrich Rohbohm

Schummriges Licht erhellt die Gänge des „Plaza“-Hotels. Auf dem Boden kauern mehrere dunkelhäutige Männer vor den Zimmertüren. Die meisten von ihnen tragen kleine weiße Kopfhörer ihrer Smartphones im Ohr, hören Musik, spielen an ihren Mobiltelefonen herum. Andere sitzen einfach nur da, haben den Kopf unter ihren Knien vergraben, den Rücken an die grün gestrichenen Wände gelehnt und dösen vor sich hin.

Über einen kleinen Innenhof dröhnen Spielfilmgeräusche aus einem alten Röhrenfernseher durch das offene Fenster eines der gut 100 Hotelzimmer herüber. Vor dem Gerät sitzt ein weiterer Afrikaner. Den trostlosen, dafür etwas Licht spendenden kleinen Innenhof durchziehen Wäscheleinen und eine daran aufgehängte, etwas Sichtschutz bietende blaue Abdeckplane. Einige Etagen höher schlafen Schwarzafrikaner in unbezogenen Betten. Vor den Zimmertüren liegen weitere schlafende Männer, Handtücher als Unterlage benutzend. Auf dem fleckigen Betonboden im Treppenhaus sind Blutspuren zu erkennen.

Zeugnisse davon, daß es im Plaza-Hotel in Villa San Giovanni, einem 13.000 Einwohner zählenden Städtchen an der Meerenge zu Sizilien, auch zu gelegentlichen körperlichen Auseinandersetzungen kommt. Das Hotel dient als Unterkunft für Migranten aus Afrika. Für die Betreiber ein lohnendes Geschäft. Vor allem für jene Hotels, deren wirtschaftliche Situation ohnehin kritisch ist. Wer Migranten in einer Aufnahmeeinrichtung unterbringt, erhält vom italienischen Innenministerium festgelegte 35 Euro pro Tag. Pro Aufgenommenem. 2,50 Euro pro Tag sollen davon eigentlich die Migranten erhalten. „Aber wir bekommen nichts“, sagt einer der neuen Hotelbewohner gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Die Betreiber würden das Geld für sich behalten. Hinzu kommen Fördergelder aus der Europäischen Union, die zusätzlich an Aufnahmeeinrichtungen gehen. Eine Zuwendung, von der die Migranten offenbar nicht profitieren.

„Wir bekommen nur wenig zu essen. Oft bringt man uns keine Wasserflaschen, wir haben nichts zu trinken. Sie stellen uns manchmal sogar das Leitungswasser ab“, klagt einer von ihnen. Manchmal seien sie so durstig, daß sie das Wasser aus den Toiletten trinken würden. „Dies ist ein sehr schlechter Ort“, erklärt uns ein Migrant aus Angola. Einem Land, in dem der Kommunismus die Wirtschaft zerstörte und das Land trotz seines Reichtums an Bodenschätzen unter Armut leidet. „Aber in diesem Hotel ist das Leben noch schlimmer“, sagt der junge Mann. Er will, was nahezu alle hier wollen. Weg. Weiter nach Norden. Arbeit bekommen. Geld verdienen.

Viele können wegen      Geldmangels nicht weiter

Doch viele können nicht weg. Sie haben kein Geld. Kein Geld für eine Bahn- oder Busfahrkarte, kein Geld für Kleidung, Seife oder Shampoo. „‘Jetzt bist du in Sicherheit. Jetzt kommst du erst einmal in ein Aufnahmelager, da wird für dich gesorgt’, haben sie mir gesagt“, erzählt der Angolaner. Das war auf dem Mittelmeer. Nachdem ihn Aktivisten einer Nichtregierungsorganisation aufgelesen und auf ihr Schiff genommen hatten. Schlepper hatten ihn zuvor an die libysche Küste gebracht, um ihn später mit einem unzureichend ausgestatteten Boot gemeinsam mit Dutzenden weiteren Afrikanern auf die Fahrt über das Meer zu schicken.

Die NGO-Schiffe haben inzwischen ihre Aktivitäten entlang der libyschen Zwölf-Meilen-Zone weitgehend eingestellt. Grund dafür ist vor allem das deutlich energischere Vorgehen der libyschen Küstenwache, die nun auch außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone operiert und damit gedroht hatte, notfalls auch auf Schiffe der NGOs zu schießen.

Das Schiff der deutschen Organisation „Jugend rettet“, die Iuventa (JF 29/17), wurde von den italienischen Behörden gänzlich aus dem Verkehr gezogen, es liegt in dem sizilianischen Hafen Trapani an der Kette. Der Staatsanwaltschaft zufolge habe die Schiffsbesatzung Kontakte zu Schleusern gehabt. Die italienischen Ankläger ermitteln wegen des Verdachts der Beihilfe zur illegalen Einwanderung.

Bemerkenswert: Seitdem die NGOs ihre Aktivitäten abbrechen mußten, ist die Zahl der über das Mittelmeer in Italien ankommenden Migranten drastisch gesunken. Auch Tote habe es laut Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mit Sitz in Genf auf der Route seitdem nicht mehr gegeben. Die Schleuser versuchen nun, ihre „Klienten“ unter anderem über die marokkanische Küste nach Spanien zu bringen.

Unterdessen ächzt Italien unter der Last der Migrationskrise. Die Aufnahmelager in Sizilien sind überfüllt, Migranten werden von dort über Messina per Bus und Fähre auf das Festland gebracht (JF 28/17). Während in zahlreichen Städten der Insel aufgrund von deren dezentraler Unterbringung nur wenig Migranten zu sehen sind, präsentiert sich in Messina ein anderes Bild. Die Hafenstadt im Nordosten ist ein Nadelöhr. Von hier aus sind es nur wenige Kilometer bis zum europäischen Festland. Fähren setzen im 30-Minuten-Takt über, transportieren Autos, Busse und Züge.

Entsprechend viele Migranten sind hier zu sehen. Es gibt nur wenige freie Hotels in der Stadt. Die meisten der Unterkünfte sind mit Migranten belegt. „Stop“, ruft ein Italiener, der am Eingang eines Hotels in der Nähe des Busbahnhofs Posten bezogen hat. Gestikulierend bedeutet er, das Hotel nicht zu betreten. Er winkt einen jungen Afrikaner herbei. Der kommt aus Gambia, kann Englisch sprechen. „Dieses Hotel ist nur für Schwarze“, erklärt er. Und bestätigt, daß dies keinesfalls nur eine Ausnahme ist: „Viele Hotels hier sind mit Migranten belegt.“

Einer ruft: „Ich will nach Deutschland!“

Die Dichte an Zuwanderern macht sich auch im Straßenbild Messinas bemerkbar. Dutzende von Afrikanern belegen einen Spielplatz unweit des Bahnhofs. Sie sitzen auf den Spielgeräten, verbringen hier ihre Zeit. Kinder sind kaum anzutreffen. Am Abend wird der Platz sicherheitshalber abgesperrt. Zahlreiche Afrikaner bevölkern auch die Piazza Cairoli im Stadtzentrum. Zumeist stundenlang sitzen sie auf den Parkbänken.

Einer von ihnen ist Dominique, ein 35 Jahre alter Kameruner. Regelmäßig trifft er sich hier mit anderen Afrikanern. Arbeiten dürfe er nicht, seinen Freunden ergehe es ebenso. „Alle wollen weiter“, sagt er. Er hat einen Asylantrag gestellt, wartet auf eine Entscheidung. In 90 Prozent der Fälle weisen die Ausländerbehörden die Anträge jedoch als unbegründet zurück.

Das ist der Zeitpunkt, ab dem abgelehnte Migranten zumeist mit ihrer illegalen Weiterreise Richtung Norden beginnen. Ein heikles Thema, bei dem auch Dominique sichtlich ungern über Details reden möchte. Schon nach wenigen Sätzen kommt ein weiterer Migrant an der Parkbank vorbei, beginnt ein kurzes Gespräch in einer fremden Sprache. Danach weiß Dominique gar nichts mehr zu berichten, wird noch wortkarger.

Doch ein Blick auf den Busbahnhof läßt erahnen, daß sich immer wieder einige Migranten aufmachen, Messina zu verlassen. Sie tragen dicke Jacken unter ihrem Arm, haben Kleidungsstücke in Plastiktüten verstaut und warten. Afrikaner mit Mobiltelefonen am Ohr kommen auf sie zu, pendeln von den Fahrkartenschaltern der Busunternehmen hinüber zu den Männern mit ihren Plastiktüten. Einige dieser Busunternehmen bieten Fahrten von Messina direkt nach Deutschland an. München, Köln, Düsseldorf.

Besonders nachts erhöhen sich die Aktivitäten der Migranten am Busbahnhof. Die Männer mit den Mobiltelefonen geleiten die Männer mit den Plastiktüten in den Bus. Sie selbst fahren nicht mit, sondern stellen sich wieder vor eines der Busunternehmen. Und telefonieren. Es sind keine Massen an Migranten, die auf diese Weise die Insel verlassen. Die Versuche erfolgen einzeln, unauffällig und tröpfchenweise. Acht Afrikaner sitzen in einem der Busse. Das vorläufige Ziel: Rom. Mit der Fähre geht es über die Straße von Messina in das benachbarte Villa San Giovanni.

Dort, vor dem Plaza-Hotel, geben sich die Migranten ähnlich wortkarg. „Ich will nach Deutschland“, ruft uns ein Afrikaner zunächst überschwenglich zu. Als sich das Gespräch über die konkreten Möglichkeiten der Weiterreise zu vertiefen beginnt, tritt auch hier plötzlich ein anderer Migrant hervor, der auf den jungen Mann einredet. Unmittelbar danach beendet der das Gespräch mit uns.

Einen Tag später haben wir mehr Glück. „Es verschwinden immer wieder Leute aus dem Hotel“, erzählt uns einer der dort Untergebrachten. Er redet leise. Sein Akzent ist schwer zu verstehen. Er spricht von den Essenslisten für die spärlichen Mahlzeiten, die sie bekommen würden und in die sich jeder der gut 100 Hotelbewohner eintragen müsse. „Aber es fehlen immer wieder 20 bis 30 Unterschriften.“ Weil einige Migranten schon heimlich weitergereist seien. Die Betreiber würden die fehlenden Unterschriften nachtragen, um weiterhin die Tagespauschale von 35 Euro pro Migrant zu erhalten, deutet er an.

Wie unangenehm denen Fragen über das Hotel sind, wird schnell deutlich, als plötzlich Betreuungspersonal vor der Tür erscheint. „Sie sind beobachtet worden, wie Sie hier Gespräche mit den Bewohnern führen. Der Betreiber wünscht, daß Sie das Gelände verlassen“, gibt man uns zu verstehen.

Diejenigen, welche die Migrantenunterkünfte verlassen haben, schlagen sich derweil einzeln durch das Land. Sie reisen per Zug, per Bus, Auto oder zu Fuß. Immer weiter Richtung Norden.


 Den zweiten Teil einer JF-Reportageserie entlang der italienischen Migrationsroute lesen Sie in der nächsten JF-Ausgabe Nr. 38/17