© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Vom Kalifatstaat ist nicht viel übrig
Islamischer Staat: Im Libanon ist die Terrormiliz besiegt, und in Syrien sowie dem Irak wird sie mehr und mehr in die Enge getrieben
Marc Zoellner

Im Libanon herrschte Feiertagsstimmung: „Heute ist der zweite Tag der Befreiung des Libanon“, verkündete Hassan Nasrallah, Generalsekretär der radikalschiitischen Hisbollah-Miliz, am 28. August vor Zehntausenden begeisterten Anhängern in Beirut. „Dieser Tag“, so Nasrallah, „wird in die Geschichte des Libanon und der gesamten Region eingehen.“

Tatsächlich hatte der Hisbollah-Chef einen Grund zum Feiern. Denn mit der Schlacht um die Hügel von Baalbek gelang es dem Libanon nicht nur, die letzten verstreuten Kämpfer der islamistischen Terrororganisation Islamischer Staat aus dem Antilibanon zu vertreiben, jenem opulenten Gebirgsmassiv, welches den Libanon fast in seiner gesamten Länge vom syrischen Nachbarn abgrenzt. Seit seiner erfolgreichen Militäraktion gegen die IS-Zellen im Osten des Landes gilt der Libanon überdies als erste Nation der Levante, die den IS auf ihrem eigenen Territorium komplett besiegte.

 Geld für die Bezahlung der IS-Söldner wird knapp 

Was war passiert? Schon seit mehreren Jahren hielten sich Einheiten des IS im Antilibanon verschanzt, wagten immer wieder Übergriffe auf abgeschiedene libanesische Dörfer sowie die Entführung libanesischer Soldaten. Vor wenigen Wochen erfolgte der Gegenschlag Beiruts: Vom Westen her stieß die libanesische Armee zur syrischen Grenze vor; vom Osten her, unterstützt von der syrischen Armee, verhinderte die Hisbollah eine Flucht der IS-Anhänger. Eingekesselt und ohne Aussicht auf Entsatz, sah sich der Islamische Staat genötigt zu kapitulieren und um Waffenstillstand zu bitten. Im Austausch für die Leichen acht getöteter libanesischer Soldaten sowie eines iranischen Militärberaters gestattete die Regierung in Beirut gut 200 IS-Anhängern, zusammen mit ihren Familien in einem Reisebuskonvoi das Land zu verlassen und, eskortiert von syrischen Soldaten, die rund 500 Kilometer entfernte syrisch-irakische Grenzstadt Abu Kamal anzusteuern, die sich noch immer in Händen des IS befindet.

Viele Zufluchtsorte zur Auswahl hatten die IS-Kämpfer ohnehin nicht mehr: Nicht nur, daß der Islamische Staat in den vergangenen Wochen mit Mossul und Tal Afar gleich die Kontrolle über die komplette irakische Provinz Ninive und somit ihre bedeutendste Einnahmequelle an Steuern und Petrodollars verloren hat. Auch in Syrien schreitet das selbsternannte Kalifat seit Monaten von einer eklatanten Niederlage zur nächsten. Erst vergangene Woche gelang Assad-treuen Regierungstruppen die Eroberung Deir Ez-Zors, der Hauptstadt der gleichnamigen östlichen Provinz Syriens, in deren Gebiet sich auch Abu Kamal befindet. Am Wochenende schließlich fiel der Flughafen der Metropole in die Hände der Soldaten. Mit der Kleinstadt Tasil an der israelisch-syrischen Grenze sowie einem gut hundert Quadratkilometer großen Landstrich östlich von Homs hält der IS gerade einmal noch zwei mehr oder weniger bedeutende Exklaven abseits seines eigentlichen Einflußgebiets.

Daß seine Landmasse täglich weiter schrumpft, ist besonders den Luftstreitkräften der USA und Rußlands zu verdanken, welche die Frequenz ihrer Einsätze gegen Ziele des IS im August  intensiviert hatten. Allein das Pentagon fliegt täglich über 20 Angriffe gegen gepanzerte Fahrzeuge, Sprengfallen und Verteidigungsstellen, aber auch gegen Bankgebäude sowie Geldbunker, um den IS von seinen Devisen abzuschneiden. Mit sichtbarem Erfolg – diesen Sommer mußte der IS die Gehälter seiner Kämpfer um die Hälfte kürzen.

Auch gegenüber Moskau schlägt das Pentagon – nach einem Aussetzen der bilateralen Beziehungen in der Syrienfrage seit April dieses Jahres – neue Töne an: „Fakt ist, wir haben uns durch einige sehr harte Probleme gearbeitet und einen Weg gefunden, die Deeskalationslinie beizubehalten und unsere Mission fortzuführen“, bestätigt Generalleutnant Jeffrey Harrigian, Kommandierender der US-Luftwaffe im Nahen Osten, im Interview mit Reuters. „Immerhin geht es uns um unseren Schutz, um jenen unserer Koalitionspartner sowie um die Vernichtung des Feindes.“

Daß letztere nur noch eine Frage der Zeit sei, dessen zeigte sich Mitte August auch Syriens Machthaber Baschar al-Assad gewiß: Die USA und ihre Verbündeten, erklärte Assad in einer landesweiten Fernsehansprache, seien darin gescheitert, seine Regierung zu stürzen. Für das Baath-Regime, so der syrische Präsident, stünden die Zeichen des Krieges nun auf Sieg.

Beinahe zeitgleich und um die Rückkehr ihres Landes zur Normalität zu beweisen, eröffnete Assad gemeinsam mit dem syrischen Premier Emad Chamis die Feierlichkeiten zum Beginn der 59. Internationalen Messe in Damaskus. Nach fünf Jahren Zwangspause trafen sich erstmals wieder Aussteller und Unternehmen aus 23 Nationen in der syrischen Hauptstadt. Darunter insbesondere Konzerne aus Rußland, dem Iran und China – Assads Hauptverbündete. Mit weltweit erhoffter Signalwirkung: In Syrien, so die Kernaussage der Ausstellung, könne wieder sicher investiert werden.

US-Experte warnt vor „Pyrrhussieg“ Assads

Große Investitionen hat Assad allerdings auch nötig. Denn neben dem hohen Blutzoll von einer halben Million getöteter Menschen sowie der Hälfte der Bevölkerung als Vertriebene richtete der syrische Bürgerkrieg bislang einen Schaden in Höhe von gut 226 Milliarden US-Dollar an, wie die Weltbank kürzlich errechnete. Selbst wenn Assad den Krieg noch gewänne, warnt die israelische Denkfabrik Jerusalem Center for Public Affairs (JCPA), dürfe Assad, der derzeit gerade einmal 40 Prozent des syrischen Terriroriums hält, allenfalls auf einen „Pyrrhussieg“ hoffen. „Man sollte bedenken, daß Syrien sechs Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs sein kostbarstes Gut verloren hat – seine Unabhängigkeit“, mahnt der Politikwissenschaftler Jacques Neriah in einer Kolumne des JCPA. „Syrien ist nun ein iranisch-russischer Satellit, dessen Existenz als Staat von der militärischen Anwesenheit seiner Schutzherren abhängt.“