© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Der neue Charme staatlicher Regulierung
Autoindustrie: Eine Quote für Elektroantriebe ist eine Innovationsbremse / Roadmap in die Planwirtschaft?
Dirk Meyer

Für die einen scheint die Sachlage klar: Hohe Abgasbelastungen durch den Verkehr sind das Ergebnis eines Marktversagens, weshalb der Staat mit Fahrverboten und einer Neuzulassungsquote für Elektroantriebe drastisch reagieren sollte. Auch für die anderen ist die Position eindeutig: Es muß etwas für den Umweltschutz getan werden – doch mit welcher Technologie bleibt offen. Politisch stehen die Staatslenker damit in einer vorteilhaften Position: Einer scheinbar klaren Problemanalyse folgen konkrete Lösungen.

Ein genaues Hinsehen offenbart jedoch weniger ein Markt- als vielmehr ein Politikversagen: International herrscht beim Umwelt- und Gesundheitsschutz Uneinigkeit. Beim „Dieselgate“ versagte die nationale und die EU-Aufsicht. Die enorme Diskrepanz zwischen Prüfstands­ergebnissen und Praxistest wurde erst durch den Umweltverein International Council on Clean Transportation (ICCT) und die US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) publik. In einigen Bereichen sind die Autobauer allerdings gar nicht so schlecht. So sind die verkehrsbedingten Schadsoff-Emissionen in Deutschland trotz gestiegenen Verkehrsaufkommens von 1995 bis 2014 gesunken: bei Schwefeldioxid um 98 Prozent, bei Stickoxiden (NOX) um 60 Prozent, bei Feinstaub um 72 Prozent und bei Kohlendioxid (CO2)um 13 Prozent. Allerdings wurden auch Abgasvorschriften weiter verschärft.

Gegen die Festlegung einer E-Quote sprechen nicht nur die teuren Erfahrungen der Energiewende mit ihren falschen Instrumenten, sondern auch ganz einfache Überlegungen: Eine Politik nach dem Gebotsprinzip fußt auf einer Anmaßung besseren Wissens. Die Vorgabe einer Technologie setzt vollständige Informationen über zukünftige, unbekannte technologische Möglichkeiten voraus. Informationen über den besten Weg müssen bekannt sein, was bei Vorstößen ins technische Neuland per se nicht möglich ist. Alternative Wege werden von den Firmen ausgeblendet und neue Erkenntnisse können nicht genutzt werden. Das Ergebnis ist eine sozialistische Planwirtschaft im Automobilbau: Die Politik gibt die Technologie vor, die die Unternehmen umsetzen und die Verbraucher nutzen müssen.

Insofern liegt das Fünf-Punkte-Papier von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, das eine Elektroautoquote auf EU-Ebene fordert, konzeptionell nahe der angekündigten Acht-Prozent-Quote die in China ab 2018 oder 2019 gelten soll. Die chinesische E-Quote läßt aber sogar Spielräume zu und errechnet sich nach Punkten, die für bestimmte Ziele vergeben werden, wie etwa die Reichweite. Derzeit wäre die E-Quote in China bereits zu sechs Prozent erreicht, da auch Benzinautos, die einige Kilometer rein elektrisch fahren können („Plug-in-Hybride“) dazuzählen.

Die Kobaltvorräte liegen im Bürgerkriegsland Kongo

Die Euphorie für die E-Mobilität erstaunt um so mehr, da entscheidende Fragen ungelöst sind. Woher kommen die Spezialrohstoffe für die Batterien wie Kobalt, Lithium, Graphit, Nickel, Mangan? Kobalt wird als Nebenprodukt von Nickel und Kupfer gewonnen, so daß das Angebot produktionstechnisch begrenzt ist. Lithium ist derzeit nicht knapp, aber die Ökobilanz ist durch den Verbrauch großer Mengen Grundwassers in den ehemaligen Salzseen im „Lithium-Dreieck“ Argentinien/Bolivien/Chile schlecht. Hinzu kommt eine ungeklärte Entsorgung der Altbatterien. Der Strom für die E-Autos würde derzeit in Deutschland zu 70 Prozent aus Kern- und Kohlekraftwerken kommen.

Auch die „Moralbilanz“ ist angesichts der Arbeitsbedingungen in den Rohstoffminen, wo beispielsweise Kinderarbeit stattfindet, dürftig. Etwa 60 Prozent der Kobaltvorräte liegen zudem im Bürgerkriegsland Kongo. Die EU hat kürzlich eine „Sorgfaltspflicht“ für den Import von Konfliktmineralien beschlossen – mit einer Ausnahme: Kobalt. Schließlich fehlen die wesentlichen Merkmale einer Schlüsseltechnologie: kostengünstige Energiespeichermedien (Kostenanteil am E-Auto etwa 40 Prozent), genügend Reichweite und kurze Akkuladezeiten. Bei nur 15 Prozent Garagen-Pkw sind die Lademöglichkeiten selbst für Plug-in-Hybride ein ungelöstes Problem.

Nicht Gebote, sondern Verbote drohen im Ausland: So wollen Norwegen ab 2025 sowie Großbritannien und Frankreich ab 2040 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zulassen. Auch mehrere US-Bundesstaaten sowie die kanadische Provinz Québec haben ähnliches angekündigt. Aber durch das hier praktizierte Verbotsprinzip wird den Forschern ein wesentlich größerer Freiraum ermöglicht: Erlaubt ist, was nicht verboten ist. Die technologische Zukunft wird offengehalten – etwa für die Brennstoffzelle (Wasserstoff), synthetische Kraftstoffe oder Synthesegase (Power to Liquid/PtL, Wind- und Solargas).

Wesentlich ist die Aufgabenteilung zwischen Staat und Wirtschaft. Dem Staat fällt die Aufgabe zu, unter der Mitwirkung von Naturwissenschaftlern, Ökonomen und Juristen klare Ziele im Sinne von Umwelt- und Gesundheitsstandards zu definieren. Sollte eine globale Steuerung durch Umweltpreise (Stichwort: CO2-Abgabe) aufgrund von Kleinteiligkeiten nicht praktikabel sein, wäre ein Herunterbrechen auf Wirtschaftssektoren geboten. Eine preisliche Steuerung von Umweltressourcen ähnlich den Energiepreisen hätte den Vorteil, daß die Einsparung zu den geringsten Vermeidungskosten je eingesparter Tonne NOX/CO2 realisiert würde.

Die Unternehmen würden entsprechend dieser Anreize Vermeidungstechnologien entwickeln und gleichzeitig die Offenheit für zukünftige, noch bessere Lösungen behalten. Insofern gebieten die Mängel einer staatlichen Technologieplanung eine neue Bescheidenheit. Die erfahrungsgemäß bessere Zukunft ist das Ergebnis „menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs“, mahnte schon der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.