© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

„Die Arbeit geht uns nicht aus“
Beschäftigungsaussichten: Trotz Masseneinwanderung warnt das Prognos-Institut vor Fachkräftemangel / Kein Bedarf an Unqualifizierten
Christian Schreiber

Als Angela Merkel am 23. November 2016 in der Generaldebatte im Bundestag selbstbewußt behaupete, „den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut“, erzeugte das noch Stirnrunzeln. Angesichts der Bundestagswahl stoßen die Medien inzwischen ins gleiche Horn: Die Zahl der Erwerbstätigen liege mit 44,4 Millionen auf Rekordniveau. Es gebe nur 2,5 Millionen Arbeitslose, was einer Erwerbslosenquote von 5,7 Prozent entspreche.

Daß nur 32 Millionen im „deutschen Job-Wunder“ sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und lediglich 732.000 Arbeitslosengeld I erhielten, aber 4,4 Millionen Hartz-IV-berechtigt (SGB II) sind, wird im Kleingedruckten versteckt. 7,7 Millionen sind inzwischen atypisch beschäftigt – also geringfügig, befristet, in Teilzeit oder bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt. Und: „Die Zahl der Leistungsempfänger im SGB II aus den nichteuropäischen Asylherkunftsländern stieg im Vorjahresvergleich um 430.000 oder 97 Prozent“, heißt es im Arbeitsmarkt kompakt (8/17) der Bundesagentur für Arbeit (BA). Im August gab es insgesamt 6,1 Millionen „Arbeitsuchende, Arbeitslose, Unterbeschäftigte und Regelleistungsberechtigte im SGB II“, so die BA. Zwei Millionen davon waren Ausländer. Nicht berücktsichtigt sind Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen.

Hartz-IV-Quote von 60,1 Prozent bei Asylberechtigten

Daß die Massenzuwanderung keine Fachkräfte, sondern Sozialfälle bringt, zeigen weitere BA-Zahlen: Während 7,2 Prozent der Deutschen und Eingebürgerten Hartz IV beziehen, sind es bei den EU-Bürgern aus Ost- und Südeuropa 12,6 bzw. 12,9 Prozent. „Höher fällt die Quote bei den Staatsangehörigen aus den nichteuropäischen Asylherkunftsländern mit 60,1 Prozent aus“, konstatiert die BA. Die Arbeitslosmeldung von Flüchtlingen sei aber „ein erster Schritt in einem Integrationsprozeß, der aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse und formalen Qualifikationen längere Zeit in Anspruch nehmen wird“.

Daß der „Integrationsprozeß“ – wenn er überhaupt gelingt – Jahrzehnte dauert, gesteht eine aktuelle Prognos-Studie mit dem Titel „Arbeitslandschaft 2040“ für die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) ein. „Die hohe und unvorhersehbare Zuwanderung seit 2010 ist vorrangig auf die Situation in den Herkunftsländern zurückzuführen und nicht das Ergebnis einer positiven Zuwanderungs- und Willkommenskultur“, heißt es darin. Auch künftig sei damit zu rechnen, daß „die zugewanderten Personen nicht die gleiche Qualifikationsstruktur aufweisen wie die einheimische Bevölkerung, sondern das Qualifikationsniveau zunächst deutlich niedriger ist“. Ein Beispiel verdeutlicht dies: So seien 2013 netto 429.000 Personen zugewandert. Gleichzeit lebten nur 11.300 Zuwanderer in Deutschland, die ihren Aufenthaltstitel via „Blaue Karte“ erhalten hatten, welcher Hochqualifizierten aus Drittstaaten zusteht.

 Selbst wenn die Nettozuwanderung von im Schnitt 200.000 Personen jährlich anhalte, werde der demographische Wandel dazu führen, daß „die Zahl der Erwerbspersonen in Deutschland mittel- und langfristig schneller zurückgeht als die Bevölkerungszahl insgesamt“. Fachkräfte würden über alle Branchen hinweg knapp, wenn die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Auch wenn „die Digitalisierung zu Veränderungen der Arbeitsnachfrage führen wird: Wir haben für das Jahr 2030 eine Fachkräftelücke von etwa drei Millionen, für 2040 von rund 3,3 Millionen, errechnet“, warnte Prognos-Chef Christian Böllhoff. Es seien hauptsächlich Gesundheits- und Pflege- sowie technische Berufe, in denen akademische und nichtakademische Fachkräfte schon jetzt knapp seien.

„Die Arbeit geht uns nicht aus, sie wird aber komplexer. Und: Die Halbwertzeit von Wissen nimmt weiter ab. Daher brauchen wir immer besser qualifizierte Fachkräfte.“ Es würden sowohl Arbeitskräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung als auch solche mit Hochschulabschluß fehlen: „Unqualifizierte werden dagegen von Arbeitslosigkeit bedroht sein.“

Die Prognos-Forscher glauben, das „mit dem wachsenden internationalen Wettbewerb, anderem Konsumverhalten und der Digitalisierung in fast allen Wirtschaftsbereichen manche Berufe nach und nach an Bedeutung verlieren werden“. Da aber Asylzuwanderer bestenfalls „die Fachkräfte von morgen oder übermorgen“ (SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles) sind, ist laut Prognos das schnellste und effektivste Mittel gegen die Fachkräftelücke die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie – sprich: Mütter müssen in Erwerbstätigkeit gedrängt werden. Zudem sei für Berufstätige „eine effektivere und permanente Weiterbildung“ erforderlich. Auch hier seien Politik und Wirtschaft gleichermaßen gefordert. Lkw-Fahrer oder Packer müßten damit rechnen, daß ihre Arbeit künftig von Robotern erledigt werde. Gleiches gelte für Buchhalter, Kreditsachbearbeiter und Immobilienmakler. „Elektronische Systeme dürften solche Berufe langfristig ersetzen“, so Prognos. Auch in weiten Teilen des Dienstleistungssektors sei ein deutlicher Beschäftigungsabbau zu erwarten.

Daß die 1,1 Millionen Asylzuwanderer, die seit 2015 nach Deutschland kamen, den Fachkräftemangel lindern könnten, glauben inzwischen immer weniger. Viele Flüchtlinge hätten „noch nicht die notwendigen Qualifikationen und Kenntnisse für den deutschen Arbeitsmarkt“, heißt es selbst im „Fortschrittsbericht 2017 zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung“. Der Münchner Volkswirtschaftsprofessor Ludger Wößmann, Leiter des Ifo-Zentrums für Bildungsökonomik, ist noch pessimistischer: „Bei vielen Flüchtlingen ist kein ausreichendes Bildungsniveau vorhanden, um darauf aufbauen zu können.“


Prognos-Studie „Arbeitslandschaft 2040“:  www.prognos.com