© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Crashkurs für Agenten
Frankreich: In einer altehrwürdigen Kaserne in Straßburg büffeln neuerdings junge Rekruten für ihre geheimen Militäreinsätze im Ausland
Marc Zoellner

Unscheinbar wirkt der breite Backsteinbau auf dem Boulevard Clemenceau im Herzen der elsässischen Stadt Straßburg. Nur wenig Spektakuläres läßt der flüchtige Blick durch die blassen Scheiben der vierstöckigen, zum Karree verschachtelten Gebäude erahnen, und auch der Innenhof präsentiert sich wie jeder andere typisch französische Trainingsplatz – spartanisch, staubig, streng gepflegt. Einzig die gußeiserne Inschrift auf dem weißen Schiebetor zur Einfahrt belehrt, daß hier weit mehr als nur an der Waffe exerziert wird. Als „École militaire“ ist das Armeequartier ausgeschildert – als „Militärschule“. 

Doch was sich hinter der schlichten Inschrift, den hohen Mauern und den kahlen Fenstern verbirgt, bietet tatsächlichen Anlaß zum Staunen: Denn hier befindet sich die Kaderschmiede für Frankreichs Militärgeheimdienst. In Straßburg, so der Duktus der Armeeführung, werden „die Krieger für die Kriege von morgen“ erzogen. Einsatzbereit für Konflikte, die nicht mehr allein auf dem Schlachtfeld der Ehre ausgefochten werden.

Nur 20 von 2.000 Soldaten werden zugelassen 

So wechselhaft wie die Geschichte des Elsaß ist auch jene der Kaserne. Seit 1887 fungierte die „Manteuffel-Kaserne“, benannt nach dem in Dresden geborenen preußischen General und Statthalter für Elsaß-Lothringen, Edwin von Manteuffel, erst als Unterkunft für preußische, später für französische Regimenter. 

Mit dem Besitzer wechselte das damals vier Hektar große Areal nach dem Ende des Ersten Weltkriegs auch seinen Namen: Jean Paul Ernest Stirn, ein 1915 in der Lorettoschlacht gefallener Offizier der französischen Armee, wurde fortan Patron der Einrichtung. 1940 zogen erneut deutsche Soldaten in das karminrote Gemäuer ein. Fünf Jahre später wurden hier Hunderte Wehrmachtsangehörige als Kriegsgefangene interniert. Noch immer weisen zahlreiche Plaketten auf die wechselhafte Geschichte dieser Kaserne hin.

Vor ziemlich genau 70 Jahren legte der französische General Jean de Lattre de Tassigny am 15. August 1947 den Grundstein zur völlig neuen Nutzung des Komplexes. Fortan diente die Stirn-Kaserne als Ausbildungsstätte für französische Unteroffiziersanwärter – bis 1985 in moderner Taktik. Später auch als Ort für die Beschaffung und Analyse von Informationen. Seit dem Sommer 2017 im Crashkurs für exotische Sprachen und Dialekte. 

Für seine Rekruten stellt das neue Programm des „Centre de formation interarmées au renseignement“ (CFIAR), des „Gemeinsamen Informations-Trainingszentrums“, so der offizielle Name der Hochschule, eine besondere Herausforderung dar. Eine Herausforderung, die nicht mit ihren Reizen geizt.

„Es ist unheimlich verlockend, diese seltenen Sprachen sehr schnell zu lernen und zu wissen, daß man später Verantwortung trägt und eine wichtige Rolle in der Informationskette spielt“, begeistert sich die 22jährige Catherine. Sie ist eine der wenigen Rekruten, welche sich für das Sprachtraining qualifizieren konnten. Pro Jahr werden nur zwanzig der gut 2.000 in der Stirn-Kaserne unterrichteten Soldaten überhaupt für das neue Programm zugelassen. Der Grund dafür ist simpel: Denn die Spezialausbildung gilt als besonders hart. Sie erfordert nicht nur Talent, sondern ebenso Ausdauer und Durchhaltevermögen.

Allein der Audiounterricht dauert mehrere Monate. Rekruten, welche ihre Zulassung erlangt haben, sitzen dann bis zu sechs Stunden pro Tag über Tonbändern, lauschen Mitschnitten von Unterhaltungen und Telefongesprächen und machen sich vertraut mit einer Vielzahl an lokalen Dialekten und Redewendungen. Hinzu kommt die Nacharbeit an den Abenden und am Wochenende auf der Stube. 

Binnen 24 Monaten, so das Ziel der Akademie, sollen die Rekruten fit gemacht werden in der fließenden Beherrschung der gängigsten Mundarten ihrer künftigen Einsatzgebiete im arabischen und persischen Sprachraum sowie in den Staaten des ehemaligen Ostblocks. Wer Chinesisch als Einsatzsprache wählt, bekommt ein Jahr obendrauf gewährt.

Auf Aussprache und Gehör wird von den Ausbildern dabei besonders Wert gelegt. „Zur Zeit lernen wir, mit Kopfhörern zuzuhören und die Worte zu wiederholen“, erklärt ein Lehrer die didaktische Vorgehensweise am CFIAR. „Die Studenten haben nur die Tonspur sowie die französische Übersetzung. Die Schreibregeln kommen erst viel später.“

Die Geschäftsbereiche haben sich verlagert 

Auch technischer Unterricht wird nebenher erteilt, um die späteren Agenten in den Kunstfertigkeiten ihres Handwerks anzulernen: Wie man Kameras versteckt, zeigen altgediente Spione den Rekruten in speziellen Kursen, beispielsweise im Geäst von Bäumen, in Hausnischen oder unter Pilzen. Ebenso, wie man diese noch über eine Entfernung von anderthalb Kilometern steuern und auslösen, die gewonnenen Bilder und Informationen graphisch aufarbeiten kann. „Schneiden, Färben, Collagieren“, so lauten die Lektionen der Übungseinheiten. Und besonders – nichts dem Zufall überlassen. Denn im Informationskrieg kann jedes noch so gering erscheinende Detail später an Wichtigkeit gewinnen; jedes Wort, jede Geste, jede belanglose Plauderei. Einer der Schwerpunkte der Ausbildung ist von daher auch die Überwachung sozialer Netzwerke.

„Denn wenn sich eine Person in französischen Netzen redselig zeigt, wird sie es erst recht in Syrien sein“, erklärt Oberst Patrick, der Forschungsverantwortliche für die Ausbildung im Internet, lächelnd der französischen Nachrichtenagentur AFP. „Und selbst die Russen, so streng sie auch in bezug auf ihre Informationen sind, erzählen gern in öffentlichen Netzwerken von ihrem Leben.“

Tatsächlich handelt es sich bei den meisten der den Rekruten zur Verfügung gestellten Tonbänder um authentische Mitschnitte. Unterredungen beispielsweise zwischen arabischen Terroristen, von Aufständischen aus der Sahelzone, um Aufnahmen aus den Hotspots der derzeitigen Einsatzregionen der französischen Armee. Letztere haben sich, so verdeutlicht auch der Kursplan der Stirn-Kaserne, in den vergangenen Jahren markant verschoben.

„In den neunziger Jahren hat unsere Schule Bataillone von Linguisten in Serbokroatisch oder Albanisch ausgebildet“, berichtet Oberstleutnant Gilles, die Nummer zwei der Kasernenführung, im Interview mit der AFP. „Doch der Schwerpunkt hat sich mittlerweile auf andere Bühnen verlagert.“

Beispielsweise auf jene Rußlands: Zwar sei der Kalte Krieg seit gut 25 Jahren vorüber. Doch mit der russischen Einflußnahme auf den Ausgang des syrischen Bürgerkriegs, mit seiner Annexion der Halbinsel Krim sowie den fortwährenden Militärübungen an der EU-Ostgrenze stelle Moskau erneut eine ernstzunehmende Bedrohung der Pariser Interessen dar. Eine, die es aus Sicht des französischen Militärgeheimdienstes gleich in mehrfacher Hinsicht zu überwachen gilt. Denn aus Rußland stammen überdies auch mehrere tausend radikale Islamisten, die vom „Islamischen Staat“ in der Kaukasusregion als Dschihadisten angeworben wurden – und die statt des Arabischen Russisch als Muttersprache sprechen.

„Unser Geschäft hat sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion maßgeblich verändert“, weiß Alain, ein Agentenveteran aus dem Zweiten Golfkrieg, zu berichten. „Früher war alles einfacher. Man hatte seine Armeen zu überwachen und folgte lediglich den Bewegungen der Truppen. Mit 400 oder 500 Wörtern als Wortschatz konnte man unsere Aufgabe perfekt bewerkstelligen. Heutzutage kann man diese Zahl mit zehn multiplizieren.“

Die künftigen Spione können sich überdies nicht mehr nur aufs Lauschen verlassen. Aufgrund der unzähligen Kommunikationsmöglichkeiten im Internet wird ihnen somit auch gelehrt, radikale Websites zu monitoren, nach Schlüsselwörtern zu durchsuchen und diese in speziellen Feeds zu katalogisieren. Und dies nicht nur im Hocharabischen oder Hochpersischen oder Hochrussischen, sondern – was die Aufgabe der Rekruten ungemein erschwert – auch in wenig gebräuchlichen, von lokalen Terroristenzellen jedoch gern genutzten Dialekten. 

Ebenso wird trainiert, Videoaufnahmen von Dschihadisten nach markanten landschaftlichen Charakteristika zu sondieren: einer Baumgruppe, einer Flußbiegung, einem Felsvorsprung oder auch auffälligen Gebäuden, um später feindliche Einzelziele punktgenau lokalisieren zu können. Die Identifikation solcher Orte auf Satellitenbildern und im Internet erleichtert der französischen Armee ihre operativen Maßnahmen. Sie ist somit neben dem intensiven Sprachkurs und der verdeckten Ermittlung vor Ort eine der wichtigsten späteren Aufgaben der Rekruten und dadurch ein Schwerpunkt ihrer Ausbildung in Straßburg.

Doch trotz aller technischer Raffinesse und der Härte der Ausbildung an ihrer Akademie mag man am CFIAR Vergleiche mit populären Agentenfilmen nicht gern hören. „Wir sind keine Fabrik für James Bonds und haben auch keinen Aston Martin vor der Tür stehen“, scherzt Oberstleutnant Gilles. Daß die juristischen Auflagen für Frankreichs Agenten tatsächlich sehr streng gestaltet sind, weiß Oberst Patrick zu ergänzen. „Man lernt hier nicht Codes zu brechen und auch nicht das Pentagon zu hacken“, so der Ausbilder. Falsche Identitäten anzunehmen, sowohl real als auch im Internet, sei strikt untersagt.

Aufgrund der Vielzahl alter wie neuer Konflikte in Nordafrika, im Nahen Osten und im Kaukasus wächst der Bedarf an Aufklärern im französischen Militärgeheimdienst stetig. Derart, daß das CFIAR bereits für 2020 seinen Umzug aus der in den neunziger Jahren auf 17 Hektar und um einen Sportkomplex erweiterten Stirn-Kaserne in ein größeres Areal in die gut 500 Kilometer entfernte Gemeinde von Creil, nördlich von Paris, plant. Seine Schulungskapazitäten sollen dort maßgeblich aufgestockt werden. Schon jetzt sucht das CFIAR händeringend talentierte und hochqualifizierte Kandidaten in den Rängen der französischen Armee für die weitere Ausbildung zu Spionen und Agenten in den „Kriegen von morgen“.





Deutschlands MAD – und der Fall Franco A.

Zu den Aufgaben des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) gehören die Informationssammlung und deren Auswertung zum Zwecke der Extremismus- und Terrorismusabwehr sowie der Spionage- und Sabotageabwehr. Seit Juni ist der MAD  direkt dem Verteidigungsministerium unterstellt. Bisher war der Inspekteur der Streitkräftebasis zuständig, dem offenbar verborgen geblieben war, daß sich Oberleutnant Franco A.  „eine Waffe beschaffte und verwahrte“, sich als syrischer Flüchtling ausgab. MAD-Chef Christof Gramm gab im Spiegel-Gespäch zu, daß im Fall Franco A. „entscheidende Informationen“ nicht „angekommen“ seien. Neben Franco A. wurden auch dessen Kamerad Maximilian T. und der Student Mathias F. festgenommen. Auf Antrag der Bundesanwaltschaft hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) am 18. Juli den Haftbefehl gegen den 25jährigen Mathias F. außer Vollzug gesetzt und seine Freilassung angeordnet. Dem Beschuldigten wird zur Last gelegt, gemeinsam mit Franco A. und Maximilian T. aus einer rechtsextremistischen Gesinnung heraus eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben. Sie sollen vorgehabt haben, einen Angriff auf das Leben hochrangiger Politiker und Personen des öffentlichen Lebens zu begehen. Mathias F. habe sich nun in mehrtägigen Vernehmungen umfangreich zum Tatvorwurf eingelassen. Dem Haftgrund der Flucht- und Verdunkelungsgefahr könne durch weniger einschneidende Maßnahmen begegnet werden. Am 5. Juli hatte der 3. Strafsenat des BGH den Haftbefehl gegen Maximilian T. aufgehoben. Die Haftbeschwerde von Franco A. wurde am 27. Juli verworfen. Der Beschuldigte sei „jedenfalls der ihm zur Last gelegten Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffengesetz sowie des Betruges dringend verdächtig“, so der BGH.