© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Er wollte stets dem Gemeinwohl dienen
Verteidiger der Republik: Eine Erinnerung an Cato den Jüngeren, der auch als Besiegter im römischen Bürgerkrieg der Sieger blieb
Eberhard Straub

Am Abend des 11. April im Jahre 46 vor Christus spielte und plauderte M. Porcius Cato wie gewohnt mit Freunden beim Wein. Er zog sich bald zurück, um noch in Platons „Phaidon“ zu lesen. Dieser Dialog war den letzten Stunden des zum Tode verurteilten Sokrates gewidmet, die er in heiterer Geselligkeit mit Gesprächen über die Unsterblichkeit der Seele verbrachte. Nach einem kurzen Schlaf stieß sich im Morgendämmern M. Porcius Cato sein Schwert in die Brust, lebte aber noch einige Stunden, seine Schmerzen klaglos aushaltend.

Der Epiker des römischen Bürgerkriegs und der Auflösung der überlieferten Ordnung, M. Annaeus Lucanus, resümierte, hundert Jahre später unter Kaiser Nero schreibend, ein für allemal lapidar die Größe Catos: „Den Göttern gefällt die siegreiche Sache, dem Cato die besiegte.“

Der gescheiterte Verteidiger traditioneller römischer Freiheit, repräsentiert vom Senat, dem römischen Herrenhaus, wollte kurz vor seiner Niederlage nicht der Milde Caesars sein weiteres Leben verdanken in einem wie auch immer verfaßten monarchischen System. Adeliges Landleben unter solchen Voraussetzungen wäre für ihn kein ehrenvolles Dasein gewesen. Um seinen öffentlichen Rang gebracht, berechtigt und verpflichtet zu sein, für das Gemeinwohl tätig zu sein, hatte für ihn sein Leben jede Bedeutung verloren. Die Menschenwürde hing damals noch mit anspruchsvollen Aufgaben zusammen. Das Leben war der Güter höchstes nicht. Wer nicht verstand, zu sterben, hatte sein Leben verfehlt.

Er blieb sich und dem alten Rom treu

Marcus Porcius Cato, genannt Cato der Jüngere in Abgrenzung zu seinem gleichnamigen Urgroßvater, 95 v. Chr. geboren, ist der einzige Römer, dessen Beiname Uticensis nicht an eine eroberte Provinz, sondern an den Ort seines Todes erinnert, an Utica im heutigen Tunesien. Sein selbstgewähltes Ende war der sittliche Triumph eines durch philosophische Bildung und Anhänglichkeit an römische Tugenden innerlich freien Mannes, der ganz in sich ruhte. Er blieb sich und dem alten Rom treu und errang damit den größten Sieg, den Sieg über die Schwäche, sich mit den jeweiligen Machthabern zu arrangieren.

In anderen Zeiten hätte eine solche Selbständigkeit Beifall gefunden. Es gehörte zu dem durch Parteigezänk und Tumulte aus dem Gleichgewicht gebrachten Staat, daß die Besten nun beiseite geschoben oder gar verdächtigt wurden, ein Feind der bürgerlichen Ordnung zu sein. Catos Unerschrockenheit und Seelengröße blieben unvergessen, auch unter Christen, die den Selbstmord als Sünde verwerfen, aber Laue und Schlaue, die Entscheidungen biegsam ausweichen, wegen ihrer geistigen Bequemlichkeit tadeln. Es gab keinen anderen Römer, der bis ins 18. Jahrhundert so ausdauernd in geschichtlichen und philosophischen Betrachtungen, in Dramen, Opern oder Gemälden gefeiert wurde.

Tendenzpolitik zerstörte den inneren Frieden

Erst im 19. Jahrhundert begannen Liberale damit, allen voran der große Historiker Roms, Theodor Mommsen, Cato als den gewissenhaften und halbnärrischen Don Quijote der in Auflösung begriffenen Adelsrepublik wieder ins Zwielicht zu rücken. Ein lächerlicher Reaktionär, aber immerhin ein Respekt verdienender Ehrenmann, wie Theodor Mommsen (1817–1903) zugestehen mußte. Denn in einer elenden Zeit der Feigheit hatte er stets Mut bewiesen und sich damit vom beweglichen Cicero unterschieden, der sich allen kommenden Männern und Gruppen anschmiegte, um immer und überall im Gespräch zu bleiben.

Cato Uticensis galt seinen Zeitgenossen als gradliniger, wenn er wollte geistreicher, aber stets leidenschaftlicher Streiter für Freiheit, Ordnung und Vaterland. Über den Inhalt dieser politischen Ideale konnten sich die Römer nicht mehr verständigen. Prinzipienfragen versuchten sie als Personenfragen zu lösen, im Parteienhader verwandelte sich die praktische Politik in gehässige reine Tendenzpolitik, die den inneren Frieden zerstörte. Trotz seiner umfassenden griechischen Bildung verlor sich Cato nie in Abstraktionen. Als erfahrener Beamter, in mehreren Ämtern bewährt, suchte er nicht wie die Griechen unermüdlich nach dem besten Staat in der Idee. Den besten Staat gab es für einen römischen Patrioten ja schon seit Jahrhunderten, eben die römische Adelsrepublik.

Dieses ehrwürdige Meisterwerk praktischer Staatskunst befand sich seit dem Anfang des ersten Jahrhunderts vor Christus in einer die gesamte Gesellschaft zerrüttenden Verfassungskrise. Gegen die Autorität des Senates und der alten regierenden Häuser rebellierten ehrgeizige Populares, die Populisten von damals, die das Establishment für unfähig hielten, auf die Herausforderungen einer sich dramatisch verändernden Welt von Gibraltar bis an die Grenzen Afghanistans angemessen reagieren zu können. Nur wer zum Establishment gehört, kennt dessen empfindliche Stellen. Vornehme Führer und Verführer scharten Massen hinter sich und sorgten für weitere Unordnung. Skandale, Straßenlärm, spontane Aktionen, Hausbesetzungen, Korruption, vor allem die  Bestechlichkeit von Richtern, Beamten und den parlamentarischen Rednern oder Anwälten als Fabrikanten der öffentlichen Meinung veranschaulichten, daß die Herrschaft der Mehrheit zur Tyrannei wird.

Die Freiheit braucht Ordnung. Auf dieser Überzeugung beruhte die römische Republik. Die Autorität des Senates und der in ihm versammelten Dynastien ergab sich aus ihrer lange erfolgreichen Bemühung, öffentliche Sicherheit und Rechtsordnung stabil zu halten. Deshalb sah Cato selbstverständlich im Senat den Hüter der Verfassung und der römischen Ordnung. 

Er war kein juristischer Dogmatiker. Er behandelte Verfassungsfragen als das, was sie sind: als politische Fragen. Er konnte sich auf manche Kompromisse verständigen, wenn sie wenigstens Aussicht boten, den Kern der Verfassung und damit auch die Herrschaft des Senates zu schonen. Das Gute nahm er von überall her, wo es sich anbot. Während der Debatten im Senat folgte er dem bewährten Rat: Halte dich an die Sache, die Worte kommen dann von selbst.  Er dachte nicht an seine Karriere, sondern an überpersönliche Institutionen.

Der im Bürgerkrieg Besiegte blieb dennoch ein Sieger. Über sein eindrucksvolles Beispiel blieb die anspruchsvolle Idee auch im kaiserlichen Rom und im späteren Europa lebendig, daß sich öffentliche Personen – Herrscher, Beamte oder Politiker – als Diener im Staate verstehen sollen, als Wirker der salus publica, des Allgemeinwohls. Darin liegt das bleibende Vermächtnis Catos.





Catilinarische Verschwörung

Die weltpolitische Bühne als Gegenspieler Caesars betrat Cato erstmals im Jahr 63 v. Chr. mit einer fulminanten Rede im römischen Senat. Es ging um den mißlungenen Umsturzversuch des Senators Lucius Sergius Catilina, die sogenannte Catilinarische Verschwörung. Caesar sprach sich gegen die Hinrichtung der Aufständischen aus und plädierte für eine lebenslange Haftstrafe – bis heute ist unter Historikern umstritten, ob er als Mitwisser in die Umsturzpläne verstrickt war. Der damals erst 32jährige Cato hingegen attackierte die Versammlung scharf: „Ihr zögert auch jetzt noch und seid nicht im klaren, was ihr mit Staatsfeinden machten sollt, die ihr innerhalb der Stadtmauern ergriffen habt?“ Cato beschwor den Notstand, sorgte sich um den Bestand der Republik und die Freiheit der Bürger. Er kritisierte die Sorglosigkeit, Trägheit und Verantwortungslosigkeit der Senatoren; sie seien „nur noch an privaten Besitztümern, Luxus und Bequemlichkeit interessiert und entzögen sich ihrer Pflicht zu engagiertem Eintreten für das Gemeinwesen“. Mit seiner Rede bewirkte Cato einen Sinneswandel; die Catilinarier wurden noch in der gleichen Nacht hingerichtet. Für seine Entschiedenheit bewundert wurde Cato schon von vielen Zeitgenossen, darunter der Geschichtsschreiber Sallust. Er notierte: „Cato strebte nach Einfachheit und Ehrbarkeit, aber vor allem nach Tugendstrenge. Er suchte nicht den Reichen an Reichtum, den Parteimann an Parteilichkeit zu überbieten, sondern den Tüchtigen an Sittlichkeit, den Bescheidenen an Zurückhaltung, den Ehrlichen an Enthaltsamkeit; gut sein wollte er, nicht scheinen: Und so holte ihn der Ruhm um so mehr ein, je weniger er ihm nachjagte.“ (tha)