© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/17 / 08. September 2017

Die kleine Pfalz am Niederrhein
Eine stolze Sprach- und Kulturinsel nahe der holländischen Grenze zeigt, wie vielfältig die deutschen Landen sind
Bernd Rademacher

Buntheit und Vielfalt“ lautet eine kindische Litanei der linken Kulturenplanierer. Dabei ist Deutschland seit jeher geographisch und kulturell besonders vielfältig. Und manchmal sogar noch „bunter“, als man ahnt: So existiert am Niederrhein – nahe der holländischen Grenze, zwischen Kalkar und Kleve – eine Insel pfälzischer Sprache und Tradition. Ein „gallisches Dorf“ protestantischer Weintrinker auf dem katholischen platten Land. Hier pflegt man den „pälzischen“ Dialekt, wie er sonst zwischen Nahe und Mosel um Bad Kreuznach gesprochen wird, hier feiert man keinen Karneval, hier heißen Familien ganz landesuntypisch „Saueressig“ oder „Puff“. Die Geschichte der pfälzischen Insel ist ein historisches Lehrstück über Migration.

1741 ließen sich 20 Familien nieder

Im Mai 1741 machte sich eine größere Gruppe Pfälzer vom Mittelrheintal und Hunsrück nach Rotterdam auf, um wegen Kriegsverwüstungen und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit in ihrer Heimat nach Pennsylvania/USA auszuwandern. Der Seekrieg zwischen England und Spanien machte ihnen jedoch einen Strich durch die Rechnung. Die Pfälzer bekamen kein Schiff; die Holländer ließen keine Flüchtlinge ohne gültige Passagierkarte ins Land. Darauf besetzten die Verzweifelten illegal ein Rheinschiff, räumten es aber nach Strafandrohung freiwillig wieder und wurden des Landes verwiesen.

Darauf gaben 20 Familien die Auswanderungsabsicht auf und ließen sich mitten in der Gocher Heide nieder. Friedrich der Große persönlich wies die Behörden seiner preußischen Provinz am Niederrhein an, den Aussiedlern zu helfen. Allerdings nicht mit Geld, sondern lediglich mit der Bereitstellung von fünftausend Hektar wirtschaftlich ungenutzter Heidelandschaft als Siedlungsland. Friedrich spekulierte darauf, daß die Neubürger die nährstoffarme Heide schon kultivieren würden. In der Tat: Die tüchtigen Fachkräfte gründeten nacheinander drei Gemeinden, zunächst Pfalzdorf. Als Wappen wählten sie den Pfälzischen Löwen. Viele Kinder und Nachzügler sorgten bald für Expansion.

Die Nachkommen sind gut integriert

1820 genehmigte Friedrich Wilhelm III. eine weitere Ortsgründung im Kalkarer Wald. Aus Dankbarkeit nannten die Siedler den neuen Ort Louisendorf, nach des Königs Gattin. Nur zehn Jahre später entstand eine dritte Gemeinde: Neulouisendorf. Durch kommunale Gebietsreformen wurde Neulouisendorf später Teil der benachbarten Stadt Kalkar, Pfalzdorf ein Ortsteil von Goch.

Dennoch hat sich pfälzische Sitte und Sprache hier erhalten. Zum einen durch religiöse Abgrenzung und eine entsprechende Heiratspolitik der Familien. Zum anderen durch Einrichtung eigener Volksschulen, die bis Kriegsende bestanden. Auch heute noch sind die Pfälzer am Niederrhein stolz auf ihr geschichtliches Erbe. Statt in der Schule wird der Dialekt nun auf der Bühne des Louisendorfer Mundart-Theaters und in den 13 Kulturvereinen gepflegt – gute 250 Kilometer entfernt der alten Heimat.

1970 waren alle Einwohner Landwirte, heute gibt es nur noch einen einzigen Vollerwerbshof. Doch dem Strukturwandel in der Landwirtschaft, der fast alle Bauern der „kleinen Pfalz“ zur Aufgabe zwang, haben die Migranten erfolgreich alternative Gewerbekonzepte und eigene Tourismusangebote entgegengesetzt. Dabei kommt ihnen zugute, daß Louisendorf wegen seiner städtebaulichen und siedlungsgeschichtlichen Bedeutung als Gesamtheit unter Denkmalschutz steht. Die Nachkommen der Pfälzer Wirtschaftsflüchtlinge sind integriert, angesehen und fleißig. Negative Auffälligkeiten sind nicht bekannt. Außerdem erkennen sie die Düsseldorfer Landesregierung von Nordrhein-Westfalen bedingungslos an: Wahlkampfauftritte der pfälzischen Ministerpräsidentin aus Mainz wurden bisher nicht registriert.