© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/17 / 15. September 2017

Nur Kinder retten die Rente
Sozialpolitik: Eine IW-Studie beziffert den Mehrwert von Mehrkindfamilien für Fiskus und Sozialsysteme
Sandro Serafin

Der vor 60 Jahren von Union, SPD und FDP-Abtrünnigen beschlossene Generationenvertrag trägt noch immer: Die rund 21 Millionen Rentner in Deutschland erhalten seit Juli um 1,9 bis 3,6 Prozent höhere Bezüge. Bislang sind weniger als 600.000 Betroffene auf Rentner-Hartz IV („Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“) angewiesen. Doch schon 2030 könnten statt drei bis zu 40 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer auf Hartz-Niveau landen, weil weniger Berufstätige mehr Rentner im Umlagesystem finanzieren müssen.

„Uns fehlt das dritte Kind“, faßt Elisabeth Müller, Mutter von sechs Kindern, daher die Ergebnisse eines Gutachtens des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zur „Volkswirtschaftlichen Bedeutung der Mehrkindfamilie“ zusammen. Die Studie war vom 2011 gegründeten Verband kinderreicher Familien Deutschland (KRFD) in Auftrag gegeben worden, dem die promovierte Pharmazeutin vorsteht. Die IW-Aussage ist eindeutig: Eine stärkere Unterstützung kinderreicher Familien kann sich für den Staat finanziell rechnen.

Den IW-Zahlen zufolge ergebe sich für den Fiskus ein „positiver gesamtfiskalischer Effekt“ in Höhe von 58.700 Euro, wenn sich eine vierköpfige Mittelstandsfamilie für ein weiteres Kind entscheide und dieses später einen mittleren Bildungsabschluß erreicht – für den KRFD ein klarer Beweis, daß Mehrkindfamilien keine zusätzliche Belastung, sondern neben einem gesellschaftlichen Mehrwert auch eine Bereicherung für Fiskus und Sozialsysteme darstellen.

Doch das IW schränkt ein: „Nur wenn es gelingt, allen Kindern aus Mehrkindfamilien eine gute Ausbildung zu ermöglichen, können diese ihre volkswirtschaftlichen Potentiale voll entfalten“, erläutert IW-Studienleiter Axel Plünnecke. Erreiche etwa das Kind aus dem vorherigen Beispiel keinen Berufsabschluß, ergäben sich für den Steuerzahler Mehrkosten in Höhe von 295.500 Euro. Und gerade darin könnte ein gewichtiges Problem liegen. In Deutschland gibt es derzeit 893.000 Familien mit mehr als zwei minderjährigen Kindern. Bald die Hälfte davon hat einen Migrationshintergrund. Unter den Drei-Kinder-Familien seien es 41,8 Prozent, bei denen mit fünf oder mehr Kindern seien es sogar 57,1 Prozent.

Der Bildungsaspekt ist die Gretchenfrage für den gesamtfiskalischen Effekt von Mehrkindfamilien. Das IW-Gutachten konstatiert, daß „Personen mit einem Migrationshintergrund im Durchschnitt geringer qualifiziert“ seien „als die einheimische Bevölkerung“. Von einem nicht ganz geringen Teil der Mehrkindfamilien könnte daher mittelfristig – und ohne massive staatliche Investitionen in Integration und Bildung, die noch zusätzlich in den Berechnungen berücksichtigt werden müßten, auch langfristig – kein positiver finanzieller Effekt für den Fiskus zu erwarten sein.

Der deutsche Mittelstand meidet Kinderreichtum

Hinzu kommt, daß sich vor allem einkommensschwache auf der einen und besonders einkommensstarke Schichten auf der anderen Seite für ein drittes, viertes oder fünftes Kind entscheiden. Der die Gesellschaft tragende und damit letztendlich entscheidende Mittelstand hingegen meide den für ihn unter den derzeitigen Bedingungen als Risiko empfundenen Kinderreichtum eher.

Die KRFD-Vorsitzende Müller sieht daher in den IW-Zahlen „ein klares Plädoyer dafür, den Kräfteansatz an der Stellschraube – bestehenden Familien Mut zu weiteren Kindern zu machen – zu intensivieren“. Immerhin wünschten sich 30 Prozent der Bürger im Alter zwischen 20 und 39 Jahren drei oder mehr Kinder. Um dieses Potential ausschöpfen zu können, müsse auch der Wohnraummangel behoben werden. Laut IW steht Mehrkindfamilien in der Regel mit 5,2 Zimmern nur unwesentlich mehr Platz zur Verfügung als Zwei-Kind-Familien, die im Schnitt 4,8 Zimmer bewohnen. 33,9 Prozent der Drei-Kind-Familien empfänden ihren Wohnraum als zu klein. Bei den Familien mit vier oder mehr Kindern seien es sogar 41,3 Prozent. Ein Hemmnis, das dringend beseitigt werden müsse.

Auch eine finanzielle Besserstellung durch die Einführung eines Familiensplittings, einer „kinderzahlorientierten Rente“ oder durch eine signifikante Erhöhung des Kindergeldes für das dritte Kind (KRFD-Forderung: 100 Euro mehr) sowie Verbesserungen bei den Betreuungsangeboten finden sich im IW-Forderungskatalog wieder. Und so steht am Ende vor allem die Erkenntnis, daß die Politik wohl an vielen Stellschrauben in den verschiedensten Bereichen drehen muß, um das finanzielle und gesellschaftliche Potential der Mehrkindfamilien letzten Endes auch vollends für sich nutzen zu können.

Bisher werden Familien mit mehr als zwei Kindern in der politischen Debatte jedoch stiefmütterlich behandelt, schließlich stellen sie nicht einmal zwei Millionen Wähler. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt, Mitglied im Familienausschuß, bedauerte im Wahlkampf, daß das Thema den Bundestag in den letzten vier Jahren „zu Unrecht“ sehr wenig interessiert habe, obwohl die „Mehrkindfamilie für die Zukunft unseres Volkes“ von großer Bedeutung sei.

Der KRFD ist deutlicher: In Deutschland werde häufig nur über Familiengründung und Kinderlosigkeit, viel zu selten aber über Familienerweiterung gesprochen. Und Kinderreichtum hat noch einen weiteren positiven Nebeneffekt: Der IW-Studie zufolge sind Eltern, die ein drittes Kind wagen, deutlich gesünder und mit ihrem Leben zufriedener als jene, die dies nicht tun.

IW-Gutachten „Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Mehrkindfamilien in Deutschland“: www.iwkoeln.de

Verband kinderreicher Familien Deutschland: www.kinderreichefamilien.de