© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/17 / 15. September 2017

Der Maschinist des Systems Merkel
Wolfgang Schäuble wird 75: Seine Bilanz nach 45 Jahren Bundespolitik ist zwiespältig / Desillusioniert und zynisch geworden
Bruno Bandulet

An keinen anderen Berufspolitiker haben sich die Deutschen so hoffnungslos gewöhnt wie an Wolfgang Schäuble, den Kassenwart des Hochsteuerstaates, den Techniker des Eurorettungsapparats, den sarkastischen Maschinisten des Systems Merkel. Fast ist es so, als sei er schon immer dagewesen. Wenn jemand nahezu identisch ist mit der Regierungspartei CDU, dann nicht Merkel, sondern Schäuble. Am 18. September wird er 75 Jahre alt.

Es war eine Karriere nicht ohne unerfüllte Hoffnungen, mit Brüchen und Abstürzen und der Tragödie des 12. Oktober 1990, als ein geistig verwirrter Mann dreimal auf Schäuble schoß. Seitdem ist er vom dritten Brustwirbel abwärts gelähmt. Seitdem ist Politik sein Leben. Die Disziplin, mit der er als Querschnittsgelähmter seine Behinderung meistert, hat ihm uneingeschränkten Respekt eingebracht.

Mitverantwortlich für Abschaffung der D-Mark

1961 trat der Badener Politikersohn in die Junge Union ein, 1965 in die CDU, 1972 wurde Schäuble in den Bundestag gewählt und ist inzwischen der dienstälteste Abgeordnete. Seine eindringliche Rede am 20. Juni 1991 in Bonn sicherte die knappe Mehrheit für Berlin als Regierungssitz. Der gebürtige Freiburger erreichte nahezu alles, was man in der CDU werden konnte: Chef des Bundeskanzleramtes in den achtziger Jahren, Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Union von 1991 bis 2000, Bundesvorsitzender der CDU von 1998 bis 2000, zweimal Innenminister und seit 2009 Bundesminister der Finanzen.

Der politische Absturz kam im Februar 2000, als Schäuble seine Ämter als Partei- und Fraktionsvorsitzender wegen der CDU-Spendenaffäre niederlegen mußte. Er hatte zugegeben, 100.000 D-Mark vom Waffenhändler Karlheinz Schreiber als Parteispende erhalten zu haben. Den Umschlag habe er „ungeöffnet“ an die Schatzmeisterin Brigitte Baumeister weitergereicht. Baumeister wiederum sagte aus, sie habe das Geld von Schreiber bekommen und bei Schäuble abgegeben. Die Ermittlungen gegen beide wurden von der Berliner Staatsanwaltschaft eingestellt. Mit der bis heute ungeklärten Spendenaffäre begann Merkels Aufstieg zur Macht. Sie stürzte Kohl, übernahm die Partei und holte sich Schäuble 2009 als Finanzminister und loyale Stütze des auf ihre Person zugeschnittenen Systems – trotz gelegentlicher Differenzen in Sachen Euro und Migration. Letzten Endes war es immer sie, die entschied.

Maßgeblich für den Vertrag von Maastricht und die Durchsetzung des Euro gegen alle Widerstände in den neunziger Jahren waren Hans-Dietrich Genscher, Helmut Kohl und Theo Waigel. Schäuble hat damals die Abschaffung der D-Mark als Fraktionsvorsitzender nur mitverantwortet. Daß und wie die Einheitswährung seit dem Ausbruch der Krise im Frühjahr 2010 „gerettet“ wird, geht allerdings in erheblichem Maße auf sein Konto. Da wurde er zum wichtigsten Erfüllungsgehilfen Merkels.

Wie Merkel hat auch Schäuble immer wieder das Parlament überfahren und die Öffentlichkeit getäuscht. Im Mai 2010 muteten sie den Bundestagsabgeordneten zu, über das erste große Eurorettungspaket EFSM abzustimmen, ohne den Text zu kennen. Der lag zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vor. Heribert Prantl monierte in der Süddeutschen Zeitung die „putschistische Eile“.

Und im Juli 2010 beteuerte Schäuble, daß die Rettungsschirme „auslaufen“ würden. In Wirklichkeit wurden sie zur Dauereinrichtung. Als irreführend stellten sich auch die Versprechen Schäubles heraus, es werde keinen Schuldenschnitt für Griechenland geben. Ex-Finanzminister Peer Steinbrück sprach von einem „Schleiertanz“, den Schäuble aufführe, weil die wirklichen Kosten der Eurorettung wie hinter einem Schleier verborgen blieben. Rainer Hank beschuldigte Schäuble in der FAS sogar der Lüge, wenn er behaupte, der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB sei keine Staatsfinanzierung. Im August bezog der Finanzminister Stellung gegen das Bundesverfassungsgericht und für das monströse Ankaufprogramm der EZB.

Den Stand der Unschuld hatte der Volljurist bereits verloren, als er sich bei den Verhandlungen über die Wiedervereinigung über das Recht hinwegsetzte und die Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1949 vertraglich festschreiben ließ. Die Schutzbehauptung, wonach die Sowjet­union 1990 auf der Unantastbarkeit der sogenannten Bodenreform bestanden habe, wurde längst von Michail Gorbatschow als „absurd“ widerlegt. Als Finanzminister hat sich Schäuble an gestohlenem Eigentum bereichert und verhindert, daß die Rechtslage der Alteigentümer nachträglich verbessert wurde. Ein Sündenfall für einen bürgerlichen Politiker, vergleichbar mit der schleichenden Enteignung der Sparer durch die Null-Zins-Politik der EZB und den andauernden Bruch der Regeln des Maastrichter Vertrages, deren Einhaltung eine Bedingung für den deutschen Beitritt zur Währungsunion war.

Die Chance verpaßt, Bundespräsident zu werden

Was bleibt, ist die zwiespältige, ja tragische Bilanz eines Mannes, der zweimal die Chance verpaßte, Bundespräsident zu werden und der Bundeskanzler hätte werden können, wären die Spendenaffäre und Angela Merkel nicht dazwischengekommen. Es bleibt aber auch die unerfreuliche Bilanz des laut Jürgen Habermas „letzten Europäers im Kabinett“, der mit ansehen mußte, wie die EU in die schlimmste Krise seit ihrer Gründung schlitterte. Und schließlich die Bilanz eines im Grunde desillusionierten, zynisch gewordenen Politikers, der zu lange dabei war und in einem Interview einmal bekannte: „Je höher Sie kommen, desto mehr pfeifen die Winde. Verrat, Treulosigkeit, Intrigen, Gerüchte, Verleumdung – seit jeher ein übles Gift, auch das habe ich erlebt.“ Wie aus Berlin zu hören ist, will er trotz allem nach der Wahl weitermachen.






Dr. Bruno Bandulet ist Publizist und Herausgeber des Deutschland-Briefs (erscheint in dem Magazin Eigentümlich frei).