© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/17 / 15. September 2017

Das Unvollendete vollenden
Wiederaufbau des Berliner Schlosses: Auch die Spreeseite muß historisch rekonstruiert werden
Peter Möller

Das Berliner Stadtschloß ist ein ständiges Ärgernis. Zumindest für die linken Kulturpolitiker in der Hauptstadt. Je deutlicher die rekonstruierten Barockfassaden der ehemaligen Hohenzollernresidenz ihrer Vollendung entgegengehen, desto wütender werden die Angriffe der Gegner. Erst im August giftete ausgerechnet Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) in der Stuttgarter Zeitung gegen das Stadtschloß als „Kopie eines vordemokratischen Gebäudes“. Er zeigte damit unfreiwillig, daß seine Partei noch immer den Geist der stalinistischen „Genossen“ atmet, die 1950 aus blankem Haß die wiederaufbaufähige Ruine des Stadtschlosses sprengen ließ.

Doch eigentlich lohnt es sich nicht, sich noch über Lederer & Co. zu ärgern. Die Schlacht um die äußere Gestalt des zentralen Gebäudes in der Mitte Berlins, die über mehr als zwei Jahrzehnte ausgetragen wurde, ist längst durch die Macht des Faktischen entschieden. Wer heute vom Brandenburger Tor aus die „Linden“ entlangspaziert, sieht schon von weitem den massigen Baukörper des Schlosses mit seiner hoch aufragenden Kuppel. Noch läßt sich die herausragende Qualität der „neuen“ Barockfassade hinter dem Gewirr von Gerüsten und großflächigen Werbeplakaten zwar nur erahnen. Doch am Lustgarten präsentiert sich bereits ein Teil der Fassade im Endzustand. Das rote Mauerwerk, das vor dem Gebäudekern aus Beton aufgemauert wurde und in dem die zahlreichen handgefertigten Schmuckelemente aus Sandstein verankert sind, ist bereits verputzt und in einem zarten Gelbton gestrichen. Schon dieser nur wenige Fensterachsen umfassende Fassadenabschnitt zeigt, daß die Diskussion über Sinn und Unsinn der Fassadenrekonstruktion spätestens nach dem Abbau der letzten Gerüste endgültig der Bewunderung und Freude weichen wird.

Das wissen natürlich ebenso die Schloßgegner, die Anfang dieses Jahres auch ihren letzten Kampf um das Kreuz auf der Schloßkuppel verloren hatten. Daher richtet sich ihr Zorn nun verstärkt gegen die im Humboldt-Forum geplante völkerkundliche Schau (die natürlich nicht mehr so heißen darf), die ein breites Panorama der Weltkulturen präsentieren soll. Und was fällt Berlins Kultursenator dazu ein? Er äußerte Verständnis dafür, „daß die einen oder anderen, die in den vergangenen 300 Jahren die Segnungen der deutschen Herrenrassentümelei erlebt haben, derzeit nicht in Begeisterung ausbrechen“.

Doch es regt sich auch Widerspruch. So beklagte jüngst der Kulturjournalist Tilmann Krause in der Welt, daß diese typisch deutsche geschichtspolitische Debatte über die künftige Dauerausstellung im Humboldt-Forum, über Kolonialismus und die Ausbeutung fremder Völker jede Lust und Unbefangenheit genommen habe. „Denn das altbekannte deutsche Syndrom aus Ängstlichkeit, Strebertum und jener politischen Korrektheit, die jegliche Diskussion ideologisch-weltanschaulich einfärbt, verdirbt auch dem aufgeschlossensten Zeitgenossen inzwischen den Spaß an der Sache.“ Dadurch, beklagt Krause, gerate die Frage aus dem Blick, wie die „ungeheuren Schätze“, die eines Tages im Stadtschloß gezeigt werden, so präsentiert werden, „daß sie in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit genossen werden können.“ Zumal anders als etwa von Senator Lederer und seinen Genossen behauptet, die Mehrzahl der Exponate mitnichten aus den ehemaligen deutschen Kolonien stamme, sondern aus Lateinamerika.

Dabei ist es tatsächlich nahezu egal, was in welcher Form im Humboldt-Forum gezeigt wird. Es kommt auf die äußere Gestalt, auf das Stadtschloß an. Und damit geht es jetzt erst richtig los: Denn je mehr der Neubau sich der Vollendung nähert, desto deutlicher wird: So wie er jetzt ist, darf er nicht bleiben. Der Entwurf des italienischen Architekten Franco Stella für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses hat unbestritten seine Qualitäten: etwa die elegante Passage zwischen den Portalen II und IV, die an die Stelle des ursprünglichen kleinen Schloßhofes getreten ist. Aber Stellas Entwurf hat eine entscheidende, weil besonders augenfällige Schwäche: die von ihm gestaltete moderne Fassade an der Spreeseite, die das Schloß mit einer monotonen trostlosen Rasterfassade zur Spree hin förmlich abriegelt.

Das alte Schloß bezog seinen besonderen Reiz nicht zuletzt aus dem Nebeneinander unterschiedlicher Bauepochen und Architekturstile. Das klar gegliederte Schloß des genialen Barockbaumeister Andreas Schlüter wuchs bis zu seiner Zerstörung durch das SED-Regime aus dem verwinkelten und unübersichtlichen Wirrwarr des alten Renaissance-Schlosses an der Spree hervor. Doch irgendwann in der langen Diskussion über den Wiederaufbau des Stadtschlosses einigten sich beide Konfliktseiten stillschweigend darauf, daß dieser älteste Teil des Schlosses an der Spree nicht rekonstruierbar sei, da die Baugeschichte angeblich zu unübersichtlich und zu schlecht dokumentiert sei. Auf seiten der Schloßbefürworter wurde der Verzicht auf die pittoreske Spreefront mit ihren Giebeln und Türmchen immer als notwendiges Übel auf dem Weg zum Wiederaufbau gesehen. Die Bereitschaft, stattdessen an dieser Stelle eine modern gestaltete Fassade zu akzeptieren, ließ die Chancen auf eine Rekonstruktion des Schlüterbaus dann auch tatsächlich steigen. Um den Preis, dem Schloß einen Teil seiner Geschichte zu rauben.

Nun zeigt sich, daß dieser Kompromiß vielleicht einfach ganz besonders listenreich war. Denn er funktioniert schlicht nicht und schreit förmlich nach Änderung. Das Schloß wirkt brutal abgeschnitten und unvollendet. Der ersten Etappe des Wiederaufbaus, die den großartigen Schlüterbau mit der Kuppel zurückgebracht hat, muß daher eine zweite Etappe folgen: die Rekonstruktion der historischen Spreeseite. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint die Vorstellung, die noch nicht einmal fertiggestellte moderne Spreeseite wieder abzureißen, absurd. Doch in zehn oder zwanzig Jahren wird das anders aussehen.

Schneller wird es bei den historischen Innenräumen des Schlosses gehen, auf deren Rekonstruktion ebenfalls verzichtet wurde. Vor allem die Schloßgegner hatten diese Tatsache immer wieder mit dem Ziel kritisiert, dann konsequenterweise auch auf die barocke Fassade zu verzichten. Ihr (richtiges) Argument: Im Barock gehörten Fassade und die innere Gestaltung eines Gebäudes untrennbar zusammen. Jetzt, wo die barocke Hülle unwiderruflich neu erstanden ist, kann man dieses Argument wieder aufgreifen – allerdings anders als von den Schloßgegnern gedacht.

Denn nun ist es an der Zeit, ernsthaft darüber nachzudenken, auch die opulenten Innenräume des Schlosses wieder zu rekonstruieren. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Die barocke Pracht im Inneren des Schlosses ist durch Farbfotos gut dokumentiert. Zudem haben viele Inventare wie Möbel und Gemälde die Brände des Stadtschlosses im Februar 1945 überstanden, da sie rechtzeitig ausgelagert wurden. Bautechnisch gibt es auch kaum Probleme: Die Grundrisse des Humboldt-Forums wurden beim Wiederaufbau bewußt so gestaltet, daß eine Rekonstruktion der wichtigsten Prunkräume schon jetzt möglich wäre.

Auch wenn die Gerüste an den Fassaden bald fallen werden, wird damit immer deutlicher: Der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses ist nicht zu Ende – er hat gerade erst begonnen.

Die Schau „Neue Nachbarn. Auf dem Weg zum Humboldt-Forum“ ist noch bis zum 24. September auf der Museumsinsel Berlin zu sehen. Tel.: 030 / 266 42 42 42

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