© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/17 / 15. September 2017

Dorn im Auge
Christian Dorn

Ecce Homo – oder: Jedem Tierchen sein Plaisierchen. Kurzer Besuch bei einem befreundeten Gastronom im Schwulenkiez zwischen Nollendorfplatz und KaDeWe, wo alljährlich das Festischfestival „Folsom Europe“ auf offener Straße ausgerichtet wird. Für den ungewohnten Betrachter wirkt diese Szene – angesichts nahezu ausschließlich in schwarzen Lederuniformen steckender muskelbepackter Kerle – wie eine Verfilmung der „Tom of Finland“-Comics. Der auf dem Asphalt kauernde, angekettete Gefangene in Guantanamo-Kleidung, der seinem Herrn die Stiefel leckt, bildet eine Ausnahme. Überhaupt herrscht eine friedliche, ausgelassene Stimmung. Sehr häufig sind Zweibeiner als „Vierbeiner“ anzutreffen. Am eindrücklichsten wirkt ein junger Mann im Körbchen mit Hundemaske, der für sein Herrchen Männchen macht und dabei wie ein Welpe wirkt, untermalt durch die entsprechend hellen Bell-Laute, die er von sich gibt und die so irritierend echt klingen, daß sie von denen eines wirklichen jungen Hundes nicht zu unterscheiden sind. Laut Schiller ist es ja der Geist, der sich den Körper baut; und es ist der Mensch nur da ganz er selbst, wo er spielt.


Tags darauf erzählt mir der Sohn des Freundes, er habe mich gestern dort gesehen. Mit seinen Freunden sei er ebenfalls unterwegs gewesen, mit Hundemasken, worauf ich lache. Darauf er: „Das ist kein Witz!“ Ich entgegne: „Aber es ist witzig.“ Gleiches gilt für das Motiv „Naomi Campbell and Mick and Bono“ aus der Serie „Pool Party“ von Jean Pigozzi im Museum für Fotografie (bis 19. November 2017). Handelt es sich doch bei Mick und Bono um die beiden Hunde des Models, während auf einem anderen Bild der Fotoserie tatsächlich Mick Jagger und Bono Vox in die Kamera schauen.


Das versteckt hinter dem Bahnhof Zoo liegende Museum zeigt zugleich eine Ausstellung zur chinesischen Kulturrevolution unter dem Titel „Arbeiten in Geschichte“ (bis 7. Januar 2018), die nach den Folgen von Maos Verbrechen für die aktuelle chinesische Kunst- und Fotografieszene fragt. Am überzeugendsten wirken hier die Arbeiten des 1978 geborenen Künstlers Cai Dongdong, der die Fotografien der Kulturrevolution für trickreiche Installationen verwendet, zum Beispiel durch die Doppeldeutigkeit des Ausdrucks „Schießen“, schließlich schießt die Kamera Bilder. Unwillkürliches Lachen löst auch das Bild „Brunnen“ aus, das zwei Soldatinnen der Volksbefreiungsarmee neben einem aufmontierten Wasserhahn zeigt, der das Meer im Bildhintergrund gleich auslaufen läßt.