© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/17 / 15. September 2017

Die heikle Existenz von polnischen Quislingen
Polnische Freiwillige für die Wehrmacht: Die Aufarbeitung eines umstrittenen Phänomens im Zweiten Weltkrieg
Paul Leonhard

Kräftige junge Männer zwischen 18 und 23 Jahren melden sich im Januar 1945 als Kriegsfreiwillige beim Grenadierersatzausbildungsregiment 523 in Berlin-Spandau. Dort ist man verdutzt, denn es handelt sich um Polen aus einem Lehrlager der Organisation Todt in Falkensee. Die Männer zeigen Dokumente, ausgestellt von einer Kommandantur in den besetzten polnischen Gebieten, nach denen sie sich der Wehrmacht als freiwillige Kämpfer gegen den Bolschewismus zur Verfügung gestellt haben. „Mit Rücksicht auf die Häufung der Fälle wird um Entscheidung gebeten, ob gegen die Einstellung derartiger polnischer Freiwilliger in die Wehrmacht Bedenken grundsätzlicher Art bestehen“, heißt es in einem Schreiben an die Division Nr. 464 in Potsdam vom 15. Januar 1945.“

Das Schriftstück ist ein Hinweis auf ein weitgehend verdrängtes Kapitel deutsch-polnischer Geschichte. Bereits im Herbst 1939 hatte Wladyslaw Studnicki dem deutschen Kommandanten von Warschau eine Denkschrift vorgelegt. Studnicki schlug vor, daß eine aus ein paar Divisionen Infanterie und Kavallerie bestehende polnische Armee nach einem möglichen Rußlandfeldzug die Gebiete bis zum Dnjepr besetzt, während die Deutschen das Gebiet bis zum Don und Kaukasus sichern würden. Wenn es gegen die Sowjetunion gehe, könne man den Polen vertrauen, versicherte Studnicki: „Denn es wäre das größte Unglück für das polnische Volk, wenn ganz Polen unter die Herrschaft Sowjetrußlands geriete.“ Gehör fand Studnicki nicht.

Mit Blick auf die Anwerbungen polnischer Kriegsgefangener in sowjetischen Lagern, wagt der Historiker Jerzy Kochanowski in seiner beim Zentralinstitut für Mittel- und Osteuropastudien erschienenen Arbeit „Polen in der Wehrmacht? Zu einem wenig erforschten Aspekt der nationalsozialistischen Besatzungspolitik 1939–1945“ die These, daß dies auch in den deutschen Lagern gelungen wäre, und wohl auch im besetzten Polen. „Man kann vermuten, daß es während der ersten Monate der Besatzung, als die Terrorspirale noch am Anfang war, gelungen wäre, Freiwillige auch in der ‘Freiheit’ zu rekrutieren. Auch später blieb ein Teil der polnischen Gesellschaft der Ansicht, daß „die Deutschen den einzigen Schutz vor dem bevorstehenden ‘Sturm aus dem Osten’ darstellen“, wie Kochanowski schreibt. Dies sei aber nicht gleichbedeutend mit der Bereitschaft gewesen, „eine Uniform anzuziehen und auf der Seite der Deutschen zu kämpfen“.

Erst nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes genehmigte Hitler Ende 24. Oktober 1944, Polen in Hilfswilligen-Einheiten der Wehrmacht einzusetzen. Die Freiwilligen sollten deutsche Uniformen mit einer Armbinde tragen. In einer Krakauer Druckerei wurde bereits ein Plakat vorbereitet, das unter den dortigen Einwohnern für viel Unruhe sorgte. Es zeigte einen polnischen Arbeiter, der seine Schaufel weglegt, während ihm ein deutscher Soldat ein Gewehr in die Hand drückt.

Urteile von 1948 gegen „Polnisches Armeekorps“ 

Anfang November 1944 veröffentlichte die Heeresgruppe Mitte Richtlinien zur Anwerbung. Man rechnete mit 12.000 Freiwilligen. Die Polen sollten dabei wie „echte“ Wehrmachtssoldaten behandelt werden. Nach deutschen Unterlagen wurden bis Mitte Dezember bei der Heeresgruppe A etwa 5.000 und bei der Heeresgruppe Mitte 1.000 Hilfswillige vereidigt. Aus einem Schreiben der Heeresgruppe Weichsel geht hervor, daß noch Ende Februar 1945 aus 600 polnischen Freiwilligen ein Baupionier-Bataillon aufgestellt wurde.

Letztlich würden die Polen ihren Ruf, „das einzige Volk ohne einen Quisling gewesen zu sein, der Haltung Hitlers verdanken, der Vorschläge, polnische bewaffnete Einheiten zu bilden, die ihm auch von polnischen Kreisen unterbreitet wurden, bis Ende 1944 stets ablehnte“, schreibt Kochanowski.

„Die Tatsache, daß die Polen einer bewaffneten Kollaboration entgingen, sollte Versuche, die es in dieser Richtung gegeben hat, jedoch nicht verdecken“, so der Historiker. Zu einer alternativen Historie würde die Antwort auf die Frage gehören, ob sich genügend Freiwillige gefunden hätten, um eine Truppe zu bilden, wenn die Deutschen im Sommer 1941 oder im späten Frühjahr 1943 weniger stur gewesen wären und den Polen dieselben Bedingungen angeboten hätten wie Ende 1944. Für eine propagandistische Ausschlachtung hätte es gereicht, wenn „aus einem kleinen Geplänkel eines kleinen Trupps“ ein „entscheidender Sieg“ gebastelt worden wäre.

Nach dem Krieg sah sich der Oberste Gerichtshof Polens bemüßigt, eine Entscheidung zum Umgang mit jenen Polen zu treffen, die auf deutscher Seite gekämpft hatten. Vom 25. Mai 1948 datiert ein Beschluß, daß nur ein freiwilliger Eintritt eines Polen „in das freiwillige Polnische Armeekorps bei der deutschen Armee ein Verbrechen im Sinne der Zugehörigkeit zu einer feindlichen Armee darstellt“. Was ist aber mit einem „polnischen Armeekorps“ gemeint?

Seine Arbeit sei nur eine Skizze und auf der Basis recht oberflächlicher Quellenrecherche geschrieben, betont Kochanowski. Sie zeige jedoch, „wie wenig wir noch immer über die Politik-, Militär- oder Sozialgeschichte Polens in den Jahren des Zweiten Weltkrieges wissen und wie viele schwierige Aufgaben ihrer Historiker harren“.