© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

„Jeder ist auf dem Weg“
Bundestagswahl: Sonntag abend sind sie die Sonstigen / Über 40 Parteien treten an, obwohl sie keine Chance auf den Einzug ins Reichstagsgebäude haben
Christian Schreiber

Chancen auf einen Einzug in den nächsten Bundestag dürfen sich am Sonntag nur sechs Parteien machen. Doch daneben treten weitere 42 (der insgesamt 116 in Deutschland registrierten) Parteien an. 

Die meisten von ihnen werden nur an der Promillegrenze kratzen – auch weil sie es nicht in allen Bundesländern geschafft haben, die erforderliche Zahl an Unterstützungsunterschriften zusammenzubringen. So treten beispielsweise die rechtsextreme Kleinstpartei Die Rechte, die „Urbane – Eine Hip-Hop-Partei“, die Bergpartei („Ökoanarchistisch-realdadaistisches Sammelbecken“) oder auch die nationalkonservative Gruppierung „Ab jetzt“ jeweils nur in einem Bundesland an. In lediglich zwei Bundesländern hat es die Sozialistische Gleichheitspartei geschafft; sie dürfte damit das Rennen um kommunistische Wähler gegen die DKP verlieren, die in zehn Ländern auf dem Zettel erscheint. In immerhin acht Bundesländern taucht die erst drei Monate alte Partei „Demokratie in Bewegung“ auf (JF 28/17). „Rückwärtsgewandte, menschenverachtende und egoistische Stimmungsmacher/innen treiben die Demokratie vor sich her. Sie stellen unsere Art des Zusammenlebens in Frage – unsere Freiheit und Weltoffenheit. Sie schüren Ängste. Sie verachten unsere Grundwerte und verhöhnen die Demokratie“, schreibt die Gruppierung und bezeichnet sich selbst als „Marktplatz der Ideen“, auf dem jeder auftreten könne. 

In zehn Bundesländern ist die Deutsche Mitte (DM) wählbar, die sich trotz des Namens von der Programmatik her eher an rechte Wähler wendet: Deutschland müsse „endlich volle Souveränität“ erlangen. Außenpolitisch heißt es, die DM lehne eine deutsche Staatsräson für die Sicherheit Israels ab und setze sich für eine Einstaatenlösung mit vollem Rückkehrrecht aller Palästinenser ein. Bundesvorsitzender der 2013 gegründeten Partei ist der Publizist Christoph Hörstel. 

Auf dem absteigenden Ast befinden sich weiterhin die Piraten, die in Nordrhein-Westfalen ihre letzten Landtagsmandate verloren haben und nun noch in lediglich elf Ländern antreten. Eine Wiederholung des Ergebnisses von 2013, als sie auf 2,2 Prozent kamen und eine hohe Wahlkampfkostenerstattung erzielten, dürfte damit illusorisch sein. 

In immerhin zwölf Bundesländern hat es die Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer geschafft, der man immerhin bescheinigen kann, daß sie sich eines Trends annimmt. Die Zahl der Veganer nämlich soll rasant steigen. „Die meisten sind Veganer“, teilt die noch recht junge Partei mit. Aber auch Nicht-Veganer gehören ihr an. „Jeder ist auf dem Weg.“ Bundesweit habe die Partei rund 1.500 Mitglieder. Aber: „Das Ziel ist wichtig und nicht die Personen.“ In einem Bundesland mehr tritt die ÖDP an, die sich ebenfalls an die Naturfreunde unter den Wählern wendet. Die Fluchtursachen sollen durch einen fairen und nicht einen egoistischen weltweiten Handel bekämpft werden, heißt es im Wahlprogramm. Ein ganz wichtiges Thema der ÖDP: Sie strebt bundesweite Volksbegehren an, damit die Bürger ein Mitspracherecht bei den großen Themen bekommen und nicht nur alle vier Jahre an die Urne gehen dürfen.

In allen 16 Bundesländern hat es das Bündnis Grundeinkommen auf die Wahlzettel geschafft. „Unsere Motivation wird nicht aus der Aussicht auf Mandate geschöpft. Es geht darum, das Thema BGE, das bedingungslose Grundeinkommen, zu plazieren.“ Wählerstimmen seien keine Ziele, teilt die Partei mit. An ihrer Spitze steht die Tagesmutter Susanne Wiest, die im Herbst 2008 „am Küchentisch“ spontan auf die Idee kam, ein bedingungsloses Grundeinkommen zu fordern. Die Resonanz habe sie erstaunt und bewogen, eine Partei zu gründen. Weitere 52.973 Menschen hatten danach ihre Petition unterzeichnet. Zwischenzeitlich war der Andrang so groß, daß der Server des Bundestages zusammenbrach. Mit ihren lediglich 250 Mitstreitern hat sie alle Hürden genommen und kann flächendeckend antreten. Das sei eine „gigantische Leistung“. 

Ebenfalls überall mit eigenen Listen vertreten sind die linksextreme Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), die Satiretruppe „Die Partei“ sowie die im Bayerischen Landtag vertretenen Freien Wähler. Ausgestattet mit einem üppigen Etat ist die MLPD bundesweit mit zahlreichen Plakaten präsent.

In Berlin hat es die NPD aufgrund eines Formfehlers nicht geschafft. „Entscheidend ist es, Flagge zu zeigen“, gibt sich Parteichef Frank Franz dennoch kämpferisch. Die rechtskonservativen Republikaner verzichten erstmals seit 30 Jahren auf einen Wahlantritt und kündigten an, ihre Kräfte „für einen Antritt bei der Europawahl“ bündeln zu wollen.  Vor dem Zerfall steht unterdessen die Familienpartei, die 2014 immerhin noch ein Mandat bei der Europawahl erzielen konnte. Doch der EU-Abgeordnete Arne Gericke war im Mai aus der Partei ausgetreten und zu den Freien Wählern gewechselt. Die Familienpartei sei am Ende, teilte er mit. 

Mit einer gewissen Spannung wird das Abschneiden der Allianz Deutscher Demokraten erwartet, bei der es sich – anders als der Name es vermuten läßt – um eine Fangruppe des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan handelt. Der hatte die Deutsch-Türken ja aufgefordert, keine „türkenfeindlichen“ Parteien zu wählen.