© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Mehr Demut wagen
Paul Rosen

Demokratie heißt Herrschaft auf Zeit. Politiker müssen sich daher regelmäßig dem Wähler stellen. Das ist nicht einfach, und manche Erwartung eines Abgeordneten, der Souverän werde ihn schon wieder auf einen der schönen blauen Sessel im Reichstagsgebäude entsenden, wurde enttäuscht: Gewählt wurde die Konkurrenz. 

Da liebäugelt die politische Klasse natürlich mit Möglichkeiten, sich das Leben etwas angenehmer zu gestalten. Nicht zum ersten Mal wird eine Verlängerung der Legislaturperiode des Bundestages von vier auf fünf Jahre angeregt. Was menschlich verständlich erscheint, ist jedoch staats- und verfassungsrechtlich bedenklich. Denn der Stimmzettel ist die einzige Möglichkeit für Bürger, direkt auf die Politik Einfluß zu nehmen. 

Was eine Verlängerung der Wahlperiode von vier auf fünf Jahre bedeutet, wird anhand einer Zwanzig-Jahres-Periode deutlich: Innerhalb von 20 Jahren haben die Bürger die Möglichkeit, fünfmal über die Zusammensetzung des Bundestages zu entscheiden. Nach einer Verlängerung der Wahlperiode wären es noch vier Wahltermine. Das ist eine Verringerung der demokratischen Mitwirkungsrechte um ein Fünftel. Der Hinweis, in allen Bundesländern außer Bremen seien die Wahlperioden auf fünf Jahre verlängert worden, ist kein stichhaltiges Argument, da ein Abbau von Wahlrechten nicht als Begründung für eine weitere Reduzierung herhalten kann. 

Im internationalen Vergleich sind fünfjährige Wahlperioden nicht die Regel. Nur neun Länder der Europäischen Union haben sie. Unter den zahlreichen Befürwortern vor allem aus Reihen der Großen Koalition fällt vor allem der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann auf, der argumentierte, eine Verlängerung würde „der Komplexität vieler Gesetze gerecht, und es wären sinnvolle Nachsteuerungen noch vor der nächsten Wahl möglich“.

Oppermann stellt dem Bundestag damit nicht unbedingt ein Qualitätszeugnis aus. Bedeutet doch die Notwendigkeit des Nachsteuerns, daß bei der Gesetzgebung schlampig gearbeitet wurde. Und überhaupt: Wer den Berliner Betrieb kennt, weiß, daß viele wichtige Projekte über die Legislaturperiode geschleppt werden, ehe wenige Monate vor der Wahl Hektik ausbricht. Warum soll das bei fünf Jahren anders sein als bei vier? 

Allerdings könnte über eine Verlängerung der Legislaturperiode nachgedacht werden, wenn eine Kompensation für die Bürger in die Überlegungen einbezogen werden würde. So könnte eine Entschädigung für den Machtverlust in einer Direktwahl des Bundespräsidenten bestehen. Die Direktwahl des Staatsoberhaupts ist in vielen Republiken Standard. Allerdings müßte der Bundespräsident in Deutschland ein stärkeres Gewicht in der Gesetzgebung erhalten. Heute ist der Präsident eine Art Notar der Bundestags- und Bundesratsbeschlüsse. Dazu bedarf es keiner Direktwahl. Auch die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene wäre überlegenswert; helfen solche Entscheide doch den Politikern, ihrem Souverän gegenüber die erforderliche Demut zu zeigen.