© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Linker Höhenflug gerät ins Trudeln
Neuseeland: Nach einem Bilderbuchstart muß Labour-Kandidatin Ardern kurz vor den Parlamentswahlen kämpfen / Rechtspartei Zünglein an der Waage
Josef Hämmerling

Mal die konservative National Party, dann wieder Labour. Die Umfrageergebnisse vor der neuseeländischen Parlamentswahl am 23. September schwanken wie die Äste bei Herbststurm Sebastian in der vergangenen Woche. 

 Während die Newshub-Reid-Umfrage die Konservativen mit 47,3 zu 37,8 Prozent vorne sieht, führt beim Institut Colmar Brunton dagegen die Arbeiterpartei mit 43 zu 39 Prozent. Beide Umfragen unterscheiden sich nur um einen Tag. Einig sind sich die Institute dagegen bei den Grünen, die mit 4,9 Prozent der Stimmen um den Einzug ins Parlament bangen müssen (auch in Neuseeland gibt es eine Fünf-Prozent-Sperrklausel). 

Premier English glänzt mit Wirtschaftsdaten

Gewinner wird allen Umfragen zufolge die rechtsgerichtete Partei New Zealand First (NZF) werden, die zwischen neun und zehn Prozent liegt. Sollte das Ergebnis wie von Colmar Brunton vorhergesagt, würde die NZF mit ihrem Vorsitzenden Winston Peters sogar zum Regierungsmacher werden. Mit der Folge, daß auf einige ihrer Kernforderungen (deutliche Reduzierung der Einwandererzahlen,  Abschaffung der für die Ureinwohner Maori reservierten Parlamentssitze und Rückkauf ehemaliger staatseigener Unternehmen) eingegangen werden müßte. 

Während die Maori Party und die liberal-konservative ACT-Partei auf Direktmandate hoffen können, wird die christlich-demokratische United Future Party allen Umfragen zufolge nicht mehr im neuseeländischen Parlament vertreten sein.

Noch bis zum 1. August sah es danach aus, als ob die Wahlen bereits gelaufen seien. Die National Party unter Premier Bill English führte bei allen Umfragen mit zum Teil deutlich über 20 Prozentpunkten Vorsprung. Das änderte sich abrupt, nachdem der  Labour-Parteivorsitzende Andrew Little zurücktrat und die charismatische 37jährige Jacinda Ardern den Vorsitz oder, wie sie es nannte, „worst job in politics“ übernahm. Danach ging es mit den Umfragewerten deutlich bergauf, so daß die neuseeländischen Medien schnell von einer „Jacindamania“ sprachen. Jennifer Lees-Marshment, Politikwissenschaftlerin an der Universität Auckland, verglich ihren Erfolg mit dem des früheren US-Präsidenten Barack Obama und des britischen Premierministers Tony Blair. Wie diese beiden Männer habe auch Ardern die Fähigkeit, mit Themen, die die „Menschen wirklich bewegen“, Vertrauen zu gewinnen, sagte Lees-Marshment dem Guardian. Im Gegensatz zu anderen Politikern schaffe sie es, die Probleme der Menschen anzusprechen, gleichzeitig aber ein positives und hoffnungsvolles Bild zu vermitteln. Und genau dies sei der Grund für den Erfolg dieser Männer gewesen.

„Flitterwochen vorbei?“ titelte The Australian aber nun nach der jüngsten Newshub-Reid-Umfrage. Verantwortlich hierfür wird in den neuseeländischen Medien vor allem zunehmende Unsicherheit über die Steuerpolitik der Labour-Partei gemacht. Zwar schloß Ardern eine Erhöhung der Einkommenssteuer aus, aber nicht die anderer Steuern, wie etwa der in Neuseeland sehr in der Kritik stehenden Kapitalertragssteuer. 

Weiterer Negativpunkt ist das als „historischer Pakt“ verkündete Übereinkommen mit den Grünen, einen gemeinsamen Wahlkampf gegen die National Party zu führen. Nachdem die stellvertretende Vorsitzende der Grünen, Metiria Turei aber Anfang August aufgrund nachgewiesener Betrügereien zurücktreten mußte – sie hatte sich staatliche Vergünstigungen mit falschen Angaben erschlichen –, fielen die Grünen in den Umfragen von elf auf derzeit 4,9 Prozent. 

Die Arbeiterpartei konnte sich aufgrund der engen Kooperation mit der Green Party hiervon nicht abkoppeln, kann aber auch nicht gegen die Grünen Wahlkampf betreiben, da sie die Green Party gegebenenfalls als Koalitionspartner brauchen könnte. „Wenn du jemals grün gewählt hast, brauchen wir heute deine Stimme besonders“, so Grünen-Chef James Shaw zu Newshub. Und Ardern bestätigte bei einer Debatte mit Simon William „Bill“ English: „Mein Wort ist ein festes Band zwischen unseren Parteien.“

„Jacindamania“ wird plötzlich hinterfragt

Viele Wähler wandten sich nach den ersten Wochen der „Jacindamania“ wieder von dem Personenwahlkampf ab und den Themen der Parteien zu. Dabei profitierten die Konservativen von der boomenden Wirtschaft (2016 plus vier Prozent) sowie der niedrigen Arbeitslosenrate von unter fünf Prozent. „Nachdem der Sternenstaub sich gelegt hat, wird wieder auf die Politik an sich geachtet“, sagte English dem Australian. 

Darüber hinaus litt Ardern in den bisherigen drei Fernsehdiskussionen mit dem Regierungschef unter inhaltlichen Schwächen, die dieser eiskalt aufdeckte und sie damit in die Defensive drängte. Gewann Ardern auf dem Höhepunkt ihrer Popularität das erste Duell Umfragen zufolge noch knapp mit 46 zu 41 Prozent, konnte English das zweite Duell mit 52 zu 37 Prozent gewinnen.

 Das dritte Duell am 7. September ging zwar mit 60 zu 40 Prozent zugunsten der Herausforderin aus, machte sich bei den Wahlumfragen aber unterschiedlich bemerkbar.