© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/17 / 22. September 2017

Wirtschaft zieht Wirtschaft an
Sachsen: Fast vier Milliarden Euro wollen Firmen im Raum Dresden investieren – trotz der AfD im Landtag / CDU-Lobbyisten warnen vor deren Bundestagseinzug
Paul Leonhard

Der aktuelle ARD-Deutschlandtrend taxiert die AfD mit zwölf Prozent. Infratest-Dimap-Geschäftsführer Michael Kunert bestätigte dies im Deutschlandfunk: Es könnten auch „drei Prozent weniger oder mehr werden“. Daß dies den bisherigen Bundestagsparteien nicht schmeckt, ist klar. Deswegen titelten vorigen Freitag die Leitmedien: „Warnung vor Wirtschaftsdesaster, falls AfD in den Bundestag zieht“ oder „Wirtschaftsinstitute befürchten negative Folgen für Investitionen in Regionen mit starkem AfD-Anteil.“

„Belastung für den Standort Deutschland“

Der Handelsblatt-Artikel, auf den sich dies bezog, hatte es in sich: „Deutschland ist ein weltoffenes Land“, wird der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands BDA, Steffen Kampeter unter Anspielung auf die AfD zitiert. „Die Wirtschaft und auch die Beschäftigten sind daran interessiert und darauf angewiesen, mit vielen Partnern in der Welt zusammenzuarbeiten. Dazu passen dumpfe und nationalistische Parolen überhaupt nicht!“ Daß Kampeter von 1990 bis 2016 CDU-Bundestagsabgeordneter und von 2009 bis 2015 Finanzstaatssekretär war, wird nicht erwähnt.

„Fremdenfeindliche Aussagen von Parteien, die in Parlamenten vertreten sind, können ähnlich wie fremdenfeindliche Übergriffe Investoren abschrecken“, behauptete Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts. „Viele Investoren werden überlegen, ob es ihnen gelingen wird, Mitarbeiter aus anderen Regionen oder Ländern zum Umzug an den Investitionsstandort zu bewegen.“ Fuest ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums.

Vize vom Industriebeirat des CDU-Wirtschaftsrats ist Michael Hüther. Der Chef des arbeitgeberfinanzierten Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mahnte: „Es gibt in einer Partei, die auf Abschottung, Fremdenfeindlichkeit und Haß setzt, keine Reservate des Liberalismus. Deshalb wäre die AfD als drittstärkste Kraft eine Belastung für den Standort Deutschland.“ Belege dafür lieferte Hüther, der den Flüchtlingsstrom 2015 noch als „eine große Chance für Wirtschaft und Gesellschaft“ prieß, keine.

Am Beispiel Dresden ließe sich sogar das Gegenteil beweisen. Zehn Jahre saß dort die nur knapp am Parteiverbot vorbeigeschrammte NPD im Landtag. Am 31. August 2014 zog dann die AfD in den ersten deutschen Landtag ein – den sächsischen. Zwei Monate später begannen die montäglichen Dresdner Pegida-Demonstrationen – dennoch üben die Landeshauptstadt und ihr Umfeld, bewohnt von mehrheitlich wertkonservativen, kunstbegeisterten und bodenständigen Menschen, eine magische Anziehungskraft auf Unternehmen aus. So kündigte die Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH (WFS) im Juni an, daß die Samsung-Tochter Novaled 25 Millionen Euro in einen neuen Firmensitz mit bestausgestattetem Forschungsbereich investiert. Das Unternehmen ist weltweit der einzige Lieferant von organischen Dotiermaterialien für die OLED-Display-Massenproduktion. Mit der Investition werde eine „beeindruckende Geschichte fortgeschrieben“, freute sich Stanislaw Tillich.

Und der CDU-Ministerpräsident konnte zuvor noch viel größere Investitionen am Regierungssitz verkünden: Bosch will 1,3 Milliarden Euro investieren und bis zu 700 neue Arbeitsplätze schaffen. Philip Morris International (PMI) hat angekündigt, 2019 eine High-Tech-Produktionsanlage für Tabaksticks in Betrieb zu nehmen: Investitionsvolumen 300 Millionen Euro, rund 300 neue Arbeitsplätze, Standort Dresden – und trotz EU-Tabakwerbeverbot.

Im ostsächsischen Rothenburg will der chinesische Automobilzulieferer Bejing WKW Automotive ein Fahrzeugwerk für Elektroautos errichten. Rund 1,13 Milliarden Euro will das börsennotierte Unternehmen investieren, mehr als 1.000 Arbeitsplätze schaffen. Daimler hat Ende Mai den Grundstein für eine der größten und modernsten Batteriefabriken gelegt. Es ist bereits die zweite im rund 50 Kilometer von Dresden entfernten Kamenz: 500 Millionen Euro Investition, bis zu 500 neue Arbeitsplätze. Einziger Wermutstropfen: Kamenz wird nur der Fertigungsort der hundertprozentigen Daimler-Tochter Accumotive sein, der Firmensitz ist Nabern im Großraum Stuttgart.

Geschichte, Kompetenz – und Subventionen

Wie kommt es, daß Sachsen „so regelmäßig große Industrieprojekte anzieht“, daß das Land einige der größten Investitionen in der Ex-DDR abgegriffen hat, daß die Zahl der Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe seit Jahren ständig gewachsen ist, fragte sich erstaunt die Süddeutsche Zeitung. Selbst die in Dresden erscheinende Sächsische Zeitung ist verblüfft. Hat sie doch immer berichtet, daß die islamkritische Pegida-Bewegung, die zornigen Pöbler bei Kunstaktionen vor der Frauenkirche oder bei Staatsbesuchen zu einem Negativimage des Wirtschaftsstandortes Dresden geführt hätten. Trotz der Erfolgsmeldungen wird gewarnt: „Der Vertrauensbeweis bedeutet daher auch die Verpflichtung, noch stärker für ein weltoffenes und tolerantes Sachsen zu kämpfen.“

Doch weder CDU, SPD noch AfD sind für Investoren entscheidend, sondern: Wirtschaft zieht Wirtschaft an. Sachsen ist seit hundert Jahren Autoland: Horch, Audi, DKW, ja auch Wartburg, Trabant, Robur. Heute gibt es neben der „Gläsernen Manufaktur“ in Dresden vier weitere Standorte von VW, BMW und Porsche mit rund 750 Zulieferern, Ausrüstern und Dienstleistern der Branche. Jeder zehnte in Deutschland gebaute Pkw kommt aus Sachsen.

Daimler will in Kamenz neben Antriebsbatterien für Elektro- und Plug-in-Hybridfahrzeugen Batterien für die stationären Mercedes-Benz-Energiespeicher sowie für 48-Volt-Systeme in seiner ersten kohlendioxidfreien Fabrik produzieren. Ein Blockheizwerk und eine Photovoltaikanlage sollen zusammen mit stationären Batteriespeichern die Produktionsanlagen mit Energie versorgen. Bei einem sächsischen Industrieumsatz von 63,7 Milliarden Euro 2015 ist die Automobilindustrie mit einem Umsatzanteil von 30 Prozent die wichtigste Branche. Ihr folgen die Elektrotechnik/Mikroelektronik sowie der Maschinenbau mit 12,5 bzw. 11,9 Prozent.

Dresden ist mit Infineon, NXP und Globalfoundries längst Europas größter Mikroelektronik-Standort und der fünftgrößte weltweit. Jeder zweite in Europa produzierte Chip trage den Aufdruck „Made in Saxony“, sagt WFS-Geschäftsführer Peter Nothnagel stolz und verweist auf die „hervorragende Facharbeiterausbildung und -verfügbarkeit, unsere exzellente Wissenschaftsstruktur und die vorhandene Zulieferer- und Dienstleisterbasis“. Längst arbeiten Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen unter dem Namen „Silicon Saxony“ zusammen, der sich zum Markenzeichen der Elbestadt entwickelt hat. Im Fall von Bosch hat sich Dresden gegen weltweite Mitbewerber, auch in Fernost und den USA, durchgesetzt. Vielleicht auch, weil das EU-Programm für Mikroelektronik Ipcei, der Bund und Sachsen Gelder zuschießen, allein das Bundeswirtschaftsministerium 200 Millionen Euro.

„Für den Ausbau unserer Halbleiterkompetenz bietet der Wirtschaftsstandort Sachsen gute Voraussetzungen“, sagte Dirk Hoheisel, Mitglied der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH, als er die größte Einzelinvestition in der mehr als 130jährigen Geschichte von Bosch bekanntgab. Wichtig sei, daß „wir unsere Halbleiter selbst machen“. Vorgesehen ist, am neuen Standort ab Ende 2021 Halbleiter auf der Basis der 300-Millimeter-Technologie für Anwendungen in der Mobililität und im Internet der Dinge zu produzieren.