© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/17 / 29. September 2017

„Sie hat nie das Gespräch gesucht“
Doppelter Paukenschlag bei der AfD: Dem fulminanten Wahlsieg folgt das ebenso unerwartete wie erstaunliche Finale im seit Jahren andauernden Streit in der Führungsspitze der Alternativen / Vizevorsitzender Alexander Gauland über Krise und Chancen der Partei
Moritz Schwarz

Herr Dr. Gauland, steht die AfD vor der Spaltung?

Alexander Gauland: Nein. Ich kann zwar den Leuten nicht in den Kopf gucken, aber ich glaube nicht, daß viele noch Petry folgen werden.

Auch im Schweriner Landtag hat sich am Montag die Fraktion gespalten. Vier AfD-Abgeordnete haben eine eigene mit Namen  „Bürger für Mecklenburg-Vorpommern“ (BMV) gegründet. Angeblich könnte es auch in anderen Landtagen dazu kommen. Geht es also nicht um mehr als nur um Frauke Petry? 

Gauland: Erstens, die Spaltung in Schwerin hat eigene, „lokale“ Ursachen und steht in keiner Beziehung zum Schritt Frauke Petrys. Zweitens, natürlich kann ich nicht hundertprozentig sicher sein, ich glaube aber nicht, daß es zu weiteren relevanten Spaltungen kommt. Dafür gibt es keine Signale. 

Können Sie sich erklären, warum Frauke Petry so gehandelt hat? 

Gauland: Nein. Denn sie hat nie das Gespräch mit mir gesucht. Sie hat übrigens auch nie begründet, warum sie auf dem Kölner Parteitag im April eine gemeinsame Spitzenkandidatur mit mir für die Bundestagswahl abgelehnt hat.

Angeblich habe ein Aufstand unter den frischgewählten sächsischen Bundestagsabgeordneten gegen sie gedroht, und sie habe auf der Pressekonferenz die Flucht nach vorne angetreten. Ist da was dran?

Gauland: Dieses Gerücht habe ich gehört, ich weiß aber nicht, ob es stimmt.

Haben Sie nach dem Eklat am Montag noch versucht, mit Petry zu sprechen? 

Gauland: Nein.

Warum nicht?

Gauland: Wer sich so verhält, wer wenige Tage vor der Wahl in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung die eigenen Spitzenkandidaten attackiert, wer die eigene Partei brüskiert, der will sich nicht einigen.

Das heißt, Sie haben nicht versucht, den Konflikt noch zu kitten?

Gauland: Lieber Herr Schwarz, da war nichts mehr zu kitten! Und irgendwann, das muß ich Ihnen ehrlich sagen, ist auch mal Schluß. 

Spitzenkandidatin Alice Weidel und Sachsen-Anhalts Fraktionschef André Poggenburg hatten Petry zum Austritt aus der Partei aufgefordert. War das klug? 

Gauland: Damit hatten sie auch recht.Denn das war klar parteischädigendes Verhalten. 

Warum ist es in all den Jahren nie gelungen, die Animositäten in der AfD-Führungsspitze beizulegen? 

Gauland: Das kann ich nicht sagen. Und zwar weil ich nie Animositäten gegen Frau Petry gehegt habe. Der einzige grundlegende Dissens zwischen uns war das Parteiausschlußverfahren gegen Björn Höcke. Aber deshalb habe ich Frauke Petry nie persönlich abgelehnt. 

Nun ist einer der zwei Posten für den Bundessprecher der AfD – also den Parteivorsitz – quasi unbesetzt. Tragen Sie sich mit dem Gedanken, auf dem Parteitag im Dezember dafür zu kandidieren? 

Gauland: Nein, ganz bestimmt nicht.

Warum nicht? 

Gauland: Ich habe das schon immer ausgeschlossen. Ich werde wieder als Erster Stellvertreter kandidieren und bin jetzt gemeinsam mit Alice Weidel Fraktionsvorsitzer. Damit bin ich voll ausgelastet. Außerdem bin ich 76, da muß das wirklich nicht mehr sein. 

Wer wäre dann der Mann oder die Frau Ihrer Wahl?

Gauland: Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. 

Ihr Freund Jörg Meuthen hat seinen Hut in den Ring geworfen. 

Gauland: Ja, aber wir brauchten dann ja noch einen zweiten. Wer das sein könnte, darüber habe ich mir für meinen Teil noch keine Gedanken gemacht.   

Beatrix von Storch? 

Gauland: Wie gesagt: Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.

Im Interview mit der „Leipziger Volkszeitung“ warf Petry Ihnen indirekt vor, dafür verantwortlich zu sein, daß „sich gerade viele bürgerliche Wähler abwenden“. Denn das liege, so Petry mit Blick auf Ihren Wahlkampf, „auch an Schlagzeilen, wie sie in jüngster Zeit produziert wurden“. Und am Montag legte sie nach: Die Verankerung der Partei in der Mitte der Gesellschaft habe „spürbar abgenommen“. Ist an dieser Kritik nicht etwas dran?

Gauland: Wenn da etwas dran gewesen wäre, dann wäre es ihre Pflicht gewesen, mir das intern zu sagen und nicht öffentlich via Zeitungsinterview oder in der Bundespressekonferenz. Ich finde dieses Verhalten falsch. Und ich finde auch die Analyse falsch. Die AfD ist drittstärkste Partei – da können wir doch nicht so viele Wähler „verloren“ haben. Wie paßt das zusammen? Vor wenigen Monaten noch hat Herr Schäuble frohlockt, es wäre nicht sicher, ob wir überhaupt den Einzug schaffen. Als Alice Weidel und ich den Wahlkampf begonnen haben, stand die Partei in Umfragen bei etwa sechs Prozent. Nun haben wir 12,6 erzielt. Was sollte angesichts dessen diese Behauptung, die Wähler hätten sich abgewendet? Das ist doch verquer!

Allerdings lag die AfD in Umfragen auch schon bei 15 Prozent, und vielleicht wäre mit einem weniger provokativen Kurs eben mehr drin gewesen? Petry sprach von zwanzig Prozent. 

Gauland: Wenn Frauke Petry wirklich geglaubt hat, sie hätte zwanzig Prozent holen können – warum hat sie es dann verweigert, mit mir gemeinsam Spitzenkandidatin zu werden, um eben das zu erreichen? Oder warum hat sie als Parteichefin ihre beiden Spitzenkandidaten, Alice Weidel und mich, nicht tatkräftig unterstützt?

Auch andere AfD-Bundestagsabgeordnete haben angesichts Ihres Kurses „Bauchgrimmen“, zögern aber, Petry zu folgen. Haben Sie ein Angebot für diese Leute, um sie in der Fraktion zu halten? 

Gauland: Na hören Sie mal, ich kaufe doch nicht Loyalität! Wir werden versuchen, alle einzubinden – aber ganz bestimmt feilschen wir nicht. 

Sie sagen, daß „nicht viele noch Petry folgen werden“. Mit wie vielen Verlusten rechnen Sie für die Bundestagsfraktion? 

Gauland: Das weiß ich nicht. Ich zähle nun nicht „die Häupter meiner Lieben“ und stelle fest, „es sind statt sechse, sieben.“

Geschätzt? 

Gauland: Kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. 

Die AfD hat am Sonntag 94 Mandate errungen. Hinter vorgehaltener Hand aber sollen etliche Funktionäre über den hohen Wahlsieg wenig begeistert gewesen sein, da man gar nicht genug kompetente Kandidaten auf den Listen habe, um die Sitze zu besetzen. Werden also etliche AfD-Parlamentarier einziehen, die ihren Aufgaben im Bundestag nicht gewachsen sind?

Gauland: Herr Schwarz! Auf der einen Seite unterstellen Sie, wir hätten angeblich noch einen viel höheren Wahlsieg erringen können. Auf der anderen Seite, der Wahlsieg sei angeblich jetzt schon zu groß. Da sollten Sie sich doch mal entscheiden, was Sie mir nun vorhalten wollen! Ihre Kritik in Ehren, aber ein bißchen Logik sollte schon dabei sein. 

In der Opposition ist der politische Einfluß naturgemäß beschränkt. Können Sie dennoch erklären, was die Wähler nun konkret von der AfD erwarten dürfen?

Gauland: Daß ihre Probleme im Bundestag endlich wieder diskutiert werden. Daß sie das berechtigte Gefühl haben können, „die da oben“ sind nicht mehr völlig entrückt und beschließen Dinge, die sie zwar betreffen, bei denen sie aber nicht mitreden können. Außerdem, daß es wieder Debatten um die Grundfragen der Nation im Bundestag geben wird.

Zum Beispiel? 

Gauland: Na, die letzte dieser Art war wohl die um die Ostpolitik zwischen Willy Brandt und Rainer Barzel. Und zum Beispiel: Es ist doch ein Irrwitz, daß Themen wie Eurorettung, NSA-Überwachung, Rußland-Sanktionen oder die Asylkrise im Bundestag entweder gar nicht debattiert wurden oder höchstens beiläufig Erwähnung fanden. 

Aber es gab doch Debatten zu etlichen dieser Themen. 

Gauland: Es gab keine Debatte dazu, die irgendwie relevant war. Keine, die man sich gemerkt hätte. Als zum Beispiel Konrad Adenauer die Bundesrepublik in die Nato geführt hat, haben Gustav Heinemann oder Thomas Dehler große Reden gehalten. Nennen Sie mir dagegen mal einen Parlamentarier, dessen Rede etwa zu den Rußland-Sanktionen Ihnen in Erinnerung geblieben ist. 

Kann ich nicht. 

Gauland: Eben! 

Am Wahlabend haben Sie angekündigt: „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen!“ In der Elefantenrunde am Sonntag abend fragte sich ZDF-Chefredakteur Peter Frey, was Sie damit wohl gemeint hätten. Wie lautet Ihre Antwort? 

Gauland: Daß wir unser Land verlieren, wenn die ungebremste Einwanderung aus fremden Kulturen weitergeht. 

„Zurückholen“ bezieht sich also nicht etwa auf die EU-Bürokratie oder das politische Establishment? 

Gauland: In erster Linie bezieht es sich auf die Einwanderung, weil durch sie Deutschland zu einem Land wird, das nicht mehr das Land ist, wie wir es kennen und lieben, nicht mehr das Land unserer Väter und Großväter. Ich will nicht, daß wir etwa nicht mehr unbefangen Weihnachten feiern können, daß wir – vor allem die Frauen – Angst auf unseren Straßen haben müssen, daß es Schulen und Stadtviertel gibt, in denen Deutsche zur Minderheit werden. Aber natürlich spielen dabei auch die Eliten eine Rolle. Die nämlich sind es, die diese Einwanderung herbeiführen. Und wenn jemand wie die ehemalige Vizepräsidentin des Bundestages, Claudia Roth, auf einer Demonstration in Hannover hinter einem Plakat mit der Aufschrift „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ herläuft, dann offenbart das viel. Nämlich die Haltung, es sei gut, wenn möglichst viel des „alten“ Deutschland verschwinde und durch eine multikulturelle Gesellschaft ersetzt werde. 

Welche konkreten Maßnahmen werden Sie in der Fraktion ergreifen, um die „sukzessive Auflösung unserer Nation“, wie Ihr Parteifreund Jörg Meuthen das am Wahlabend formuliert hat, zu verhindern? 

Gauland: Mit 12,6 Prozent können wir natürlich nicht im Alleingang die Politik ändern. Aber allein unser Erfolg hat in der Union schon eine Diskussion ausgelöst. Der Journalist Hans-Ulrich Jörges sagte am Wahlabend bei „Anne Will“, das werde Merkel keine vier Jahre durchhalten. Wenn das denn stimmt, wäre „Merkel muß weg“ erreicht, wenn auch nur indirekt – aber immerhin! Politische Wirkung tritt oft indirekt auf. Wichtig ist, daß sie sich einstellt. 

Jörg Meuthen betont, daß das Zurückholen „unseres Landes und Volkes“ auf der Grundlage betrieben werden soll, daß „zu unserem Volk auch jene mit Migrationshintergrund gehören, die bei uns gut integriert sind“. Sehen Sie das auch so? 

Gauland: Ja, natürlich! Auch im Namen dieser Deutschen wollen wir unser Deutschland bewahren. Und auch ihr Interesse ist es, daß wir etwa Einwanderer, die sich nicht an die Regeln halten, kriminell werden oder gar eine terroristische Gefahr darstellen, so schnell wie möglich rauswerfen. Das Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt etwa hätte so verhinder werden können! Natürlich wird es auch der AfD nicht gelingen, jeden Terroranschlag unmöglich zu machen. Aber durch die Arbeit unserer Fraktion – das ist unser Auftrag im Bundestag – werden die anderen Parteien gezwungen sein, endlich wieder ihre Verantwortung wahrzunehmen. 






Dr. Alexander Gauland, ist Vize-Bundesvorsitzender sowie gemeinsam mit Alice Weidel AfD-Fraktionschef im Bundestag. Er war von 2014 bis 2017 auch brandenburgischer Landes- und Fraktionsvorsitzender. Der Jurist, ehemalige CDU-Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Leiter der Hessischen Staatskanzlei und Herausgeber der Märkischen Allgemeinen in Potsdam, wurde 1941 in Chemnitz geboren.

Foto: AfD-Bundesparteisprecher Jörg Meuthen (l.) und Frauke Petry (r.) sowie das Bundestagskandidaten-Spitzenduo Alexander Gauland und Alice Weidel auf der Pressekonferenz der Partei in Berlin am Montag morgen nach der Wahl: „Irgendwann aber, das muß ich Ihnen ehrlich sagen, ist auch einmal Schluß!“ 

 

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