© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/17 / 29. September 2017

Bangen und hoffen
Luftverkehrsunternehmen: Die Air-Berlin-Insolvenz ist ein abgekartetes Spiel / Einseitige Strategie zugunsten der Lufthansa?
Thomas Fasbender

Daß Winfried Kretschmann am Wahlsonntag nicht in der Hauptstadt für Jamaika werben konnte, hatte einen banalen Grund: Der grüne Ministerpräsident wollte nicht politisch korrekt per Bahn reisen, sondern fliegen – doch dummerweise hatte die insolvente Air Berlin seinen Flug von Stuttgart gestrichen. Den einfachen Air-Berlin-Mitarbeitern und Passagieren war hingegen schon längst klar, daß die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft, die 2015 noch 30,2 Millionen Fluggäste befördert hatte, am Ende ist.

Der 150-Millionen-Euro-Überbrückungskredit reichte im Prinzip nur bis zur Schließung der Wahllokale – und am Montag schließlich schlug die Stunde der Wahrheit: Sofort eingestellt werden alle Karibik-Flüge ab Düsseldorf und die Verbindungen nach Chicago und San Francisco ab Berlin, im Inland die Verbindungen von München nach Hamburg und Köln. Am 15. Oktober endet dann das gesamte Langstreckenangebot.

„Stabiler Flugbetrieb in den kommenden Wochen“

Die Leasinggesellschaften verlangten die Rückgabe der Maschinen, hieß es. Zehn Airbus A330 landeten schon am Wahlwochenende auf dem Flugzeugparkplatz in Lourdes (Frankreich) sämtlich auf Nimmerwiedersehen. Drei weitere trafen am Montagmorgen aus Düsseldorf und Berlin-Tegel dort ein. Noch vor wenigen Monaten hatten 17 große Airbusse zum 144 Flieger umfassenden Park der Airline gehört.

Glück haben die Pauschaltouristen: Die Anbieter sind verpflichtet, für Ersatzflüge oder Erstattung zu sorgen. Wer sein Ticket individuell gebucht hat, dem geht es wie Kretschmann. Zwar gelten Ansprüche gegen die Konkursmasse, doch alle Hoffnungen auf Vorrangigkeit wären fehl am Platz. Profitabel wird die Insolvenz aller Voraussicht nach für die staatliche Förderbank KfW, die den vom Bund abgesicherten 150-Millionen-Euro-Kredit zur Verfügung gestellt hat. Laut Rheinischer Post liegt der Zinssatz bei stolzen elf Prozent – zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr von einer Million. Bei zu erwartenden Einnahmen aus dem Verkauf der Gesellschaftsanteile von 250 bis 350 Millionen Euro rechnet die KfW sich gute Chancen auf einen Gewinn von mehreren Millionen Euro aus.

Im Mittelpunkt steht die Frage, wie es mit dem bankrotten Unternehmen und seinen Angestellten weitergeht. Geht es nach dem Aufsichtsrat, dann wird nur noch mit der Lufthansa und ihrem britischen Billigkonkurrenten Easyjet verhandelt. Mit mangelndem Käuferinteresse hat das nichts zu tun: Insgesamt wurden 16 Angebote verzeichnet. Allerdings, wie der Air-Berlin-Generalbevollmächtigte Frank Kebekus meinte, „von ganz unterschiedlicher Qualität“. Aus Sicht der Gesellschaft sei das Ziel der Verhandlungen jedenfalls noch nicht erreicht. Grundvoraussetzung für einen Erfolg sei der „stabile Flugbetrieb in den kommenden Tagen und Wochen“.

Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann dämpfte am Montag die Hoffnung, alle Arbeitsplätze erhalten zu können. Die Verhandlungen sollten bis zum 12. Oktober abgeschlossen sein, wobei er „rund 80 Prozent unserer Kolleginnen und Kollegen gute Chancen für neue Arbeitsplätze bei den Bietern“ in Aussicht stellte. Entscheidend sei dann, daß die EU den anstehenden Deal auch absegne. Ende März waren bei Air Berlin noch 8.600 Mitarbeiter als Voll- und Teilzeitkräfte beschäftigt. Am Montag wurde die Zahl der Vollzeitstellen mit 6.500 angegeben. Mehrere tausend Beschäftigte, so Sachwalter Lucas Flöther, könnten bei der Lufthansa unterkommen.

Interesse an einer Übernahme hatte auch der Iberia- und British-Airways-Mutterkonzern IAG angemeldet. Dessen Chef Willie Walsh beklagte in Barcelona, daß der Bieterprozeß einseitig auf die Interessen der Lufthansa zugeschnitten sei. Daß Lufthansa-Chef Carsten Spohr seit langem auf die Start- und Landerechte der Air Berlin in Tegel und Düsseldorf schielt, gilt als offenes Geheimnis. Seit er 2016 seinen Intimus, den seinerzeitigen Lufthansa-Manager Winkelmann, erfolgreich als Air-Berlin-Chef installierte, ist das weitere Schicksal der Airline jedenfalls für Brancheninsider keine Überraschung mehr.

Auch Ryanair-Chef Michael O’Leary hatte sich bitter über die seiner Ansicht nach politisch gewollte Übernahme der Air Berlin durch Lufthansa beklagt: „Die deutsche Regierung unterstützt diesen von Lufthansa initiierten Deal mit staatlichen Beihilfen in Höhe von 150 Millionen Euro. So kann die Lufthansa Air Berlin schuldenfrei übernehmen.“ Der einstige österreichische Rennfahrer Niki Lauda hätte sich ebenfalls gern einen Teil vom Air-Berlin-Kuchen gesichert. Gemeinsam mit Condor hatte er angeboten, die von ihm gegründete, spätere Air-Berlin-Tochter Niki wieder zu übernehmen.

Dem Handelsblatt sagte Lauda: „Der Sieg der Lufthansa regt mich auf. Damit ist der Wettbewerb beerdigt.“ Nicht zum Zuge kam auch der schwerreiche Hotelier und Textilfilialist Hans Rudolf Wöhrl. Er hatte für Air Berlin 50 Millionen Euro plus weitere 450 Millionen im Fall der erfolgreichen Umsetzung seines Charterkonzepts geboten. Auch Wöhrl beklagt, „daß hier von langer Hand eine einseitige Strategie zugunsten der Lufthansa entwickelt wurde“.

Seit der am Montag bekanntgegebenen Vorentscheidung für Lufthansa und Easyjet dürfte das Rennen gelaufen sein. Mit Lufthansa wird noch über das Schicksal der Air-Berlin-Töchter Walter und Niki verhandelt, mit Easyjet über einen Teil der Flotte. Thomas Winkelmann: „Wir sind sicher, daß wir den Flugbetrieb in den nächsten Wochen aufrechterhalten können“ – dem Vernehmen nach bis Anfang November. Dennoch steht die Finanzierung in der Zeit ab Beginn des Winterflugplans in den Sternen. Derzeit liegen die Verluste Insidern zufolge bei drei Millionen Euro. Täglich.