© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/17 / 29. September 2017

„Wollen Sie nicht ein Foto von uns machen?“
Drogen, Prostituierte, Mord und Allah: Eine Reportage aus der Welt der Muslim-Rocker in Berlin
Martina Meckelein

Sie nennen sich Brüder, treten auf wie Rocker, wollen aber keine sein. Muslimische Kuttenträger sind im Visier deutscher Ermittler. Von einer Beziehung zwischen radikalen Islamisten und Rocker-Kriminalität will die Politik jedoch keine Kenntnis haben.

Der Fahrtwind kühlt die wettergegerbten markigen männlichen Gesichtszüge. Die Motoren ihrer Chopper brubbeln auf. Die beiden Männer fahren mit den Klängen von Steppenwolf dem Sonnenuntergang und ihrem eigenen entgegen. Unentrinnbares Helden-Schicksal! Easy-Rider-Feeling anno 1969. Doch „Rocker-Ehre“ nach Altvätersitte – das war einmal. Der Kuttenträger von heute spricht und denkt türkisch, albanisch oder tschetschenisch – in jedem Fall islamisch. Er betreibt Facebook- und Twitter-Accounts, auf denen so markige Sprüche zu lesen sind wie: „Jeder von euch, der eine Familie sucht und eine ehrliche Bruderschaft, wo jeder Bruder wie ein leiblicher Bruder behandelt wird, ist bei uns richtig.“

Doch so sehr die Kuttenträger mit Migrationshintergrund äußerlich und in ihren Hierarchien den Altherren-Rockern ähneln, so sehr wollen sie sich von ihnen abgrenzen: „Wir sind keine Rocker, und die Rules der Rocker entsprechen nicht unserer Lebensvorstellung. Wir haben unsere Regeln über unsere Tradition, die Erziehung unserer Eltern und unserer Kultur über die Muttermilch mitbekommen. Deswegen wollen wir und werden auch in Zukunft kein MC sein“, steht auf der Facebookseite der Guerilla Nation Osnabrück. Tatsächlich fahren die Rocker-Migranten gar keine Motorräder. Und so werden diese Banden im Polizeideutsch als „rockerähnlich“ bezeichnet. In Berlin heißen die Rocker ohne Motorrad aber mit mutmaßlichen Salafistenkontakten Guerilla Nation und die sind zum Problem geworden.

Schießerei mit Maschinenpistolen

Masken vor den Gesichtern, Stinkefinger oder auch die geballte Faust: frech grinsen die muskelbepackten Männer in ihren schwarzen Westen mit den aufgedruckten weißen Totenköpfen, die ein Stirnband tragen wie weiland Axl Rose von Guns N’ Roses. „Junge Frau“, ruft einer von ihnen mit ausländischem Zungenschlag, „wollen Sie nicht ein schönes Foto von uns machen?“ Und so posieren am 13. Mai dieses Jahres um 20.42 Uhr Mitglieder der Guerilla Nation auf der Wittstocker Straße in Berlin-Moabit vor ihrem Vereinsheim „Poker-Treff“ für die JUNGE FREIHEIT. Sie fühlen sich in diesem Moment einfach unbesiegbar, so scheint es.

Drei Tage zuvor: 10. Mai 2017, Berlin-Wedding, Groninger Straße. Drei Autos fahren vor das „Caffee Classic“. Männer springen aus den Fahrzeugen und schießen durch die Fenster und Türen des Lokals. Die Gäste dort retten sich in den hinteren Teil des Restaurants. Wenig später kann die Polizei fünf Verdächtige festnehmen. Die Täter sollen mit zwei Maschinenpistolen ins Lokal gefeuert haben. Aber auch aus dem Lokal heraus wurde geschossen, vermutlich von Albanern, die der organisierten Kriminalität angehören. 30 Schüsse, keine Verletzten. Gegen fünf mutmaßliche Guerilla-Nation-Mitglieder erläßt der Richter Haftbefehl wegen versuchten Totschlags.

Im Visier der Fahnder sind die „Guerilla Nation“ da schon seit Monaten. „Der Guerilla Nation MC Berlin wurde im Juli 2015 als Supporter-Gruppierung des Hells Angels MC Gießen erstmalig festgestellt“, sagt Winfrid Wenzel, Pressesprecher der Berliner Polizei, zur JUNGEN FREIHEIT und will damit sagen, daß die Berlin-Gruppierung der Guerilla Nation ein befreundeter und unterstützender Club der Hells Angels Gießen war.

Innerhalb des ersten Jahres expandiert die Berliner Truppe, gründet fünf neue sogenannte Chapter, im September 2016 als letztes die Guerilla Nation Vaynakh. Die bestehen aus Tschetschenen und Türken und sollen Kontakte in die Salafisten-Szene haben, wie die Bild-Zeitung am 13. Mai 2017 berichtet. Einen religiösen Hintergrund will die Polizei der JUNGEN FREIHEIT gegenüber nicht bestätigen. „Das ist hier nicht bekannt“, sagt Wenzel. Allerdings sei die Guerilla Nation Vaynakh „eine polizeilich relevante Gruppierung, deren Gefahrenpotential hier weiter beobachtet wird“.

Doch so schnell sie expandiert, so schnell löst sich die Truppe wieder auf. Ob es mit zwei Morden zu tun hat? Im September 2016 wird ein Guerilla-Nation-Mitglied erschossen. Einen Monat darauf stirbt der Präsident der türkisch geprägten Hells Angels Gießen, Aygün Mucuk (45). Der Chef eben jenes Motorradclubs, der sozusagen das Mutterhaus der Guerilla Nation in Berlin ist. Er ist vor seinem Clubhaus mit 16 Schüssen getötet worden. Zu seiner Beisetzung kommen überwiegend Hells-Angels-Mitglieder mit Migrationshintergrund, zudem sind es fast ausschließlich „Prospects oder Hangarounds, also die unteren Stufen in der Hierarchie der Rockerclubs“, berichtet die FAZ über die Beerdigung.

Doch wer glaubt, daß damit der Spuk ein Ende hätte, der irrt. „Im März 2017 gab es erstmals Hinweise aus dem Bundesgebiet, daß sich die Gruppe Guerilla Nation unter der Führung des Chapters in Berlin wieder neu gegründet haben soll“, sagt Wenzel.

Am 29. April feierten die Guerilla Nation Vaynakh eine große Sause in ihrem Clubheim. Zu der öffentlich angekündigten Einweihungsparty zählte die Polizei 43 „Gäste“. Wenzel: „Die Personen trugen vereinzelt Kutten der verschiedenen ehemaligen Chapter der Guerilla Nation.“ Keine zwei Wochen später dann die Schießerei im Wedding. In den drei Tagen nach dem Maschinenpistolen-Überfall wiederum entfaltet sich ein wuseliger Aktionismus vor dem Clubhaus der Guerilla Nation in Moabit. Immer wieder fahren Autos vor der Kneipe vor. Männer verschwinden in dem Clubtreff, dessen Fenster durch heruntergelassene Jalousien nicht einsehbar sind. Ein weißer Lieferwagen hält in zweiter Reihe. Aus der Kneipe schleppen Männer prall gefüllte schwarze Müllbeutel und packen sie in den Wagen. Tags darauf dauert die Ausräumaktion an. In zwei schwarzen Lieferwagen mit dänischen Kennzeichen verstauen sie weitere Säcke. Um 20.40 Uhr versammeln sich die Großreinemacher zu einem Gruppenfoto vor der Kneipe auf dem Gehweg. Es kommt zu der eingangs beschriebenen Fotoszene.

Nachbarschaft ist verunsichert

Am 19. Juni stellt die Linkspartei im Bundestag eine „Kleine Anfrage zur Verbindung zwischen Islamisten und der Drogenszene“ (Drucksache 18/12769) an die Bundesregierung, speziell auch im Hinblick auf die Guerilla Nation Vaynakh aus Berlin. Die Antwort ist erschreckend unkonkret. Allerdings stehen zwei interessante Dinge dann doch drin: Am 9. Mai sollen sich die Guerilla Nation Vaynakh mit Mitgliedern der russischen Rocker „Night Wolves MG“ in Berlin getroffen haben. Und von den 678 islamistischen Gefährdern und 394 Relevanten Personen, die den Bundesbehörden bekannt sind, liegen zu 44 Gefährdern (6,4 Prozent) und 30 Relevanten Personen (7,6 Prozent) Erkenntnisse zu Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz vor.

Trotz Polizei-Razzien und andauernder Streifenwagen-Patrouillen scheinen sich Anfang 2017 die Guerilla Nation sehr sicher zu fühlen – im Gegensatz zu ihrer Nachbarschaft. Balkontüren werden geschlossen, sobald die Polizei durch die Straße mit ihren Jahrhundertwendehäusern fährt. Eine Mutter erzählt, daß sie ihre beiden Töchter nicht einmal mehr alleine zur S-Bahn gehen läßt. „Diese Männer stehen ja in riesigen Trauben da vor der Tür.“

Das Credo dieser Männer ist auf einer Facebook-Seite zu lesen: „Wir kommen von der Straße und bleiben auf der Straße, die Straße ist unser Leben und unser Stolz!!!!!“ 200 Meter weiter: die Beusselsstraße. Hier herrschen angeblich die Hells Angels. „Die sind okay“, sagt ein Ladenbesitzer. „Als wir hier das Geschäft eröffneten, kamen die vorbei. Die sagten nur, wenn wir Streß mit anderen hätten, sollten wir Bescheid geben, sie würden das dann regeln. Nicht, daß ich Rocker mögen würde oder daß ich gut finde, was die machen, aber mit denen kann man reden, die sind verständig. Mit denen in der Wittstocker nicht, die sind gefährlich.“ Geld will er übrigens nicht an die an guter Nachbarschaft interessierten Hells Angels bezahlt haben.

Ein anderer Gastronom wundert sich nicht, daß die Guerilla Nation solch einen Zulauf haben: „Viele Rockerclubs wollen einfach keine Ausländer, schon gar keine Muslime. Und wenn doch, werden die keine Member.“ Bei der Guerilla Nation jedoch würden sie innerhalb von nur drei Monaten Vollmitglieder.

Jetzt ist das Clubhaus geschlossen. Fenster sind zerschlagen, wurden notdürftig repariert. Drinnen steht verlassen ein Staubsauger. Auf dem Tresen Reinigungsmittel. Die Berliner Polizei scheint der Bande so stark die Daumenschrauben angezogen zu haben, daß die sich erst mal nicht mehr blicken läßt.