© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/17 / 29. September 2017

Eine politische Lücke geschlossen
Parteiengeschichte: Mit dem Einzug der AfD ist im Deutschen Bundestag wieder eine konservative Stimme vertreten
Karlheinz Weißmann

Anfang der neunziger Jahre hatte mich Wilfried Hasselmann nach Hannover eingeladen. Wir trafen uns im niedersächsischen Landtag. Er kam durch die Galerie auf mich zu, und der erste Satz bei der Begrüßung war: „Schön Sie kennenzulernen, Herr Weißmann. Wir Rechten müssen doch zusammenhalten.“

Hasselmann hatte damals den Vorsitz der niedersächsischen CDU gerade abgegeben. Hinter ihm lag eine erfolgreiche politische Laufbahn, obwohl er am Erreichen des letzten Ziels, dem Amt des Ministerpräsidenten, gescheitert war. Ohne Zweifel hat das an Hasselmann genagt, denn er wußte sehr genau, daß die niedersächsische Union ihre Stellung im wesentlichen seiner Leistung verdankte.

Bis zum Ende der fünfziger Jahre war das bürgerliche Lager des Landes aufgeteilt in CDU und FDP, ergänzt um die Deutsche Partei (DP) und den Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE). Die Selbstauflösung der DP und der Zerfall von GB/BHE in der Folgezeit hatten das Potential jenseits von Christdemokraten und Liberalen aber nicht verschwinden lassen. Es zersplitterte vielmehr und schien dann von der neugegründeten Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) aufgesogen zu werden.

CDU und CSU galten als das letzte Bollwerk 

1967 erreichte die NPD bei der Landtagswahl sieben Prozent der Stimmen und zehn Mandate. Als sie aber zwei Jahre später den Sprung in den Bundestag knapp verfehlte, blieb dieser Erfolg ein Intermezzo, und die Steigerung des Stimmenanteils der CDU von 41,7 Prozent (1967) auf 45,7 Prozent (1970) und 48,8 Prozent (1974) hatte viel damit zu tun, daß es Hasselmann gelang, seine Partei in der Mitte zu verankern und gleichzeitig mit einem starken rechten Flügel zu versehen.

Diese Leistung wußten Hasselmanns Nachfolger nicht zu würdigen. Sie betrachteten sie als Selbstverständlichkeit. In der niedersächsischen wie der Bundes-CDU setzten sich während der achtziger Jahre die „Modernisierer“ um den Generalsekretär Heiner Geißler durch. Ihr Plan, aus der Union eine urbane, von weltanschaulichen Altlasten befreite Partei zu machen, setzte voraus, daß man in der Mitte und auf der Linken gewinnen würde, was man auf der Rechten verlor. Die würde, so das Kalkül, rasch an Überalterung oder Desorganisation zugrunde gehen. Falls nicht, konnte man unliebsame Konkurrenz mittels NS-Verdachts oder taktischen Zusammengehens mit antifaschistischen Kräften erledigen.

Damit wurde eine Strategie aufgegeben, die bis dahin die Stellung der Union garantiert hatte. Denn der war es in der Nachkriegszeit gelungen, nationalliberale, konservative und evangelische Strömungen zu binden, die ihr sonst als Erbin des politischen Katholizismus mißtrauten. Vor allem Adenauer ging behutsam und geschickt vor, da das Erstarken einer authentischen Rechten während der fünfziger Jahre keineswegs ausgeschlossen war. Die betont national, wenn nicht nationalistisch auftretende FDP wäre als Kristallisationskern in Frage gekommen, aber auch eine neue Formation. Denn die wirtschaftliche Lage wirkte labil, und die Siegermächte hofierten Antikommunisten jeder Couleur, die Westbindung blieb umstritten wie die Aufrüstung, der Verlust der Ostgebiete war keineswegs akzeptiert und die Eingliederung der ehemaligen NS-Mitglieder immer noch ein Problem.

Die kulturelle Linke hatte zwar wichtige Positionen erobert, traf aber auf hinhaltenden Widerstand. Die Menge der konservativen Vorstellungen, die als konsensfähig oder doch diskutierbar galten, war erstaunlich groß. Der Christdemokrat Hermann Ehlers erklärte seinen Parteifreunden in ruhigem Ton, daß er am „Reichsgedanken“ festhalte, und durfte dabei selbstverständlich auf die Zustimmung der „Karolinger“ rechnen, die sich in der „Abendländischen Aktion“ organisiert hatten. Die studentische Jugend meinte, daß Ernst Jünger nach Hermann Hesse der bedeutendste Schriftsteller der Gegenwart sei, und kein Philosoph hatte einen ähnlichen Einfluß wie Martin Heidegger. Der Herausgeber des Stern, Henri Nannen, verlangte die Ausweisung des amerikanischen Autors Hans Habe wegen seiner antideutschen Tiraden, und der Chef des Spiegel, Rudolf Augstein, geißelte das Unpreußische an der „katholischen Rheinbundrepublik“. Das Wochenblatt Die Zeit verteidigte Carl Schmitt gegen Angriffe seiner Gegner, und als der Bundestag im Oktober 1951 eine Debatte über die Wiederherstellung der Monarchie führte, kommentierte die Frankfurter Allgemeine die Unmöglichkeit der Restauration mit leisem Bedauern.

Daß sich das Parlament überhaupt diesem Thema widmen mußte, ging auf eine Art Ergebenheitsadresse des DP-Vorsitzenden Heinrich Hellwege an das Welfenhaus zurück. Die wiederum hatte damit zu tun, daß die DP im Kern eine Fortsetzung der alten „Welfenpartei“ war. In Niedersachsen hatte sie deshalb ihre natürliche Basis, stützte sich in erster Linie auf das Bauerntum, die kirchlich gebundenen Protestanten, Beamte, Mittelstand und Heimatvertriebene. Allerdings operierte die DP nach Gründung der Bundesrepublik immer zusammen mit der CDU. Und nur mit deren Hilfe gelang es ihr, auch in den Bundestag einzuziehen. Immerhin stellte die Deutsche Partei in den Kabinetten Adenauers regelmäßig Minister und in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre auch den niedersächsischen Regierungschef.

Kohls versprochene Wende blieb aus 

Zu dem Zeitpunkt war die Abhängigkeit von der Union aber schon so groß geworden, daß jeder Versuch zur Ausdehnung der eigenen Organisation scheitern mußte. Die DP-Führung erkannte die Ausweglosigkeit der Lage und trat zur CDU über. Wer an der Basis dem Schritt nicht folgen wollte, sah sich isoliert, gezwungen, mit Formationen zusammenzugehen, die, wie die Deutsche Reichspartei (DRP), deutlich radikaler waren, oder wurde ins politische Niemandsland gedrängt. Schon 1959 hatte Richard Tüngel über diese „heimatlose Rechte“ geschrieben: „Sie ist nicht heimatlos, weil sie sich selbst in dieser Rolle gefällt, sondern weil es in der Tat in der Bundesrepublik, die sonst so tolerant ist, nach rechts hin keine Toleranz gibt und infolgedessen auch keine echten Rechtsparteien. Gäbe es eine große Partei der Rechten, (…) dann wären sie an einer Stelle gesammelt, die sie mit Verantwortung vertreten müßte, und zwar im Parlament und gegebenenfalls auch in der Regierung.“

Daß es so weit nicht kam, hatte mehrere Gründe. Einer lag im Scheitern der NPD als nationaler Sammlungsbewegung. Wichtiger als das waren aber der Modernisierungsschub, der das gesellschaftliche Gefüge dramatisch veränderte, und die von den Achtundsechzigern ausgelöste Kulturrevolution. Beides führte dazu, daß die Union als letzter Hort derjenigen galt, denen die ganze Richtung nicht paßte. CDU und CSU waren das letzte Bollwerk gegen den linken Durchmarsch. Deshalb scheiterten auch alle Versuche, eine „vierte Partei“ mit oder ohne Zustimmung der Union zu schaffen.

Es bedurfte erst der Entzauberung durch die Regierungsübernahme einer neuen schwarz-gelben Koalition, um die Konservativen zu überzeugen, daß CDU und CSU ihre Interessen verrieten, nicht vertraten. Denn das vollmundig versprochene roll back blieb aus, die „Wende“ Helmut Kohls war keine „geistig-moralische Wende“. Ganz im Gegenteil. Seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wurde unübersehbar, daß die Union nur noch als Machterhaltungsmaschine diente. Entscheidungen fällte die Spitze immer unter dem Gesichtspunkt der Opportunität. Wer tatsächlich Überzeugungen hatte, mußte sich nach einer anderen politischen Bleibe umsehen.

Seitdem wurden drei Versuche unternommen, eine neue Partei rechts der Union zu etablieren. Zuerst entstanden 1983 als Abspaltung der CSU die Republikaner. Nach ihrem Achtungserfolg bei der Europawahl von 1989 –  sie erreichten 7,1 Prozent bundesweit und 14,6 Prozent in Bayern – geriet die Partei allerdings rasch in eine Krise. Neben die Stigmatisierung als „rechtsextrem“ traten das Problem dauernder innerer Konflikte und die Neigung zur verbalen oder ideologischen Grenzüberschreitung. Die wiederum schürte bei Gemäßigten den Verdacht, daß man dieser Partei seine Stimme nicht geben könne, obwohl sie mit ihrer Kritik der Einwanderung, der Europäischen Gemeinschaft und der Abwendung von der deutschen Einheit ohne Zweifel Positionen vertrat, die auf erhebliche Resonanz hoffen konnten. Den Ausschlag gab zuletzt aber das Geschick, mit dem Kohl nach dem Zusammenbruch der DDR die „nationale Karte“ spielte. Damit war der Untergang der Republikaner besiegelt.

Vollständig erlosch die Unruhe am rechten Rand der Union aber nicht. 1994 rief der FDP-Dissident Manfred Brunner den Bund Freier Bürger (BFB) ins Leben, der sich vor allem gegen die Aufhebung nationaler Souveränitätsrechte durch die EU wandte und ausgesprochen marktwirtschaftliche Positionen vertrat. Der Versuch, die Fehler der Republikaner zu vermeiden und jedes Einsickern radikalerer Kräfte zu unterbinden, führte allerdings dazu, daß der BFB die erfolgreiche Werbung von Honoratioren nicht ergänzen konnte um die Rekrutierung einer Basis. Nach einer kurzen Phase des Aufschwungs verschwand er schon Ende der neunziger Jahre wieder von der Bildfläche.

Die AfD spricht ein breiteres Spektrum an 

Die Alternative für Deutschland (AfD) erweckte nach ihrer Gründung 2013 zeitweise den Eindruck eines Wiedergängers des BFB. Das hing nicht nur damit zusammen, daß einige prominente Mitglieder des Bundes zur AfD übertraten, sondern auch mit dem betont bürgerlichen Habitus der Parteispitze. Allerdings sprach die AfD von Anfang an ein wesentlich breiteres Spektrum an und erreichte im Osten einen Grad an Volkstümlichkeit, von dem der BFB, aber auch die Republikaner, immer weit entfernt geblieben war.

Wenn die Partei trotz des Abgangs ihres Mitgründers und trotz massiver innerer Auseinandersetzungen mit dem Einzug in den Bundestag den entscheidenden Schritt zur Etablierung vollzogen hat, dann ist dieser Erfolg aber nicht nur mit dem wachsenden Unmut über das „System Merkel“ oder die Öffnung der Grenzen zu erklären und auch nicht nur mit der Anpassung des deutschen Parteiensystems an das übliche durch Hereinnahme einer populistischen Bewegung. Das desaströse Ergebnis der Union und die Richtung der Wählerwanderungen zeigen überdeutlich, daß hier eine politische Lücke geschlossen wurde.