© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/17 / 29. September 2017

Das leise Piepen eines Ein-Watt-Senders
„Sputnik-Schock“: Vor sechzig Jahren düpierte die Sowjetunion die USA mit dem ersten Satelliten in der Erdumlaufbahn
Thomas Schäfer

Im Jahre 1957 wollte die Sowjetunion der Welt zeigen, daß sie nun mit der R-7 über eine voll funktionsfähige Interkontinentalrakete verfügt. Allerdings gab es bei den Testflügen immer wieder massive Probleme mit dem Wiedereintrittskörper, der im Ernstfall den Atomsprengkopf ins Ziel tragen sollte. Deshalb verfielen die Ingenieure vom Experimental-Konstruktionsbüro OKB-1 unter der Leitung von Sergej Koroljow auf die Idee, statt weiterer, wenig erfolgversprechender Versuche mit der militärischen Version der R-7 lieber erst einmal einige Satelliten in den Weltraum zu schießen, um so wenigstens die übrigen Systeme der Rakete zu testen und zugleich noch einen Propagandasieg über den Westen zu erzielen.

Dabei ahnte man weder im Büro von Koroljow noch im Kreml, wie gewaltig die Reaktion auf das leise Piepsen des Ein-Watt-Senders an Bord des ersten „Sputniks“ ausfallen würde: nicht die Tatsache, daß die R-7 statt einer tonnenschweren Kernwaffenattrappe letztlich nur den 83-Kilo-Satelliten trug, bewegte das Bewußtsein der Menschen in der damaligen „freien Welt“, sondern die unerwartete Düpierung der Amerikaner. 

Initialzündung für das US-Raumfahrtprogramm

Die USA schienen mit dem 4. Oktober 1957 nun plötzlich ihren Status als unbestrittene technologische Führungsmacht verloren zu haben. Dabei basierten sowohl das Weltraumprogramm der USA als auch der UdSSR auf den Vorarbeiten deutscher Konstrukteure, die bereits 15 Jahre zuvor eine Rakete namens „Aggregat 4“ 84 Kilometer tief in den Weltraum zu schießen vermochten.

Jedenfalls führte der „Sputnik-Schock“ zu viel selbstkritischem Nachdenken in Amerika. In diesem Zusammenhang geriet insbesondere das Bildungssystem in den Fokus, woraus dann sehr umfassende und am Ende auch erfolgreiche Reformen resultierten. Darüber hinaus wurden Programme aufgelegt, um die Kooperation und den Informationsaustausch zwischen den Forschungseinrichtungen im Lande zu verbessern. Hierdurch entstand unter anderem das „Arpanet“ (Advanced Research Projects Agency Network), aus dem dann später das Internet hervorging. Und natürlich nahm das Wettrüsten nun weiter an Fahrt auf, da die CIA eine „Raketenlücke“ auf der Seite des Westens diagnostizierte, die es durch diverse militärische Anstrengungen zu schließen galt.

So gesehen, verschaffte der Start von „Sputnik 1“ der UdSSR zwar den vielleicht bombastischsten Propagandaerfolg ihrer Existenz, stellte aber zugleich die Weichen für die Entwicklung der USA zur wirklichen High-Tech-Nation Nummer eins, woraus dann deren späterer Sieg im Kalten Krieg und der Zerfall der Sowjetunion resultierte. Insofern schoß der Kreml vor sechzig Jahren ein tödliches Eigentor, als er mit seiner halbmetergroßen Aluminiumkugel das Tor zum Weltraum aufstieß und so ein Bedrohungsgefühl in Amerika auslöste, das teilweise sogar in Panik mündete. 

Dabei taugte die R-7 auch nach Dutzenden weiteren Tests nicht zum Kernwaffenträger und wurde daher niemals bei den Raketentruppen der UdSSR in Dienst gestellt. Eine reale Bedrohung der Sicherheit der Vereinigten Staaten entstand erst durch das Nachfolgemodell R-7A, welches drei Jahre nach dem „Sputnikschock“ Einsatzreife erlangte. Zu diesem Zeitpunkt verfügte Washington freilich schon über die Atlas-D mit einem 1,44-Megatonnen-Sprengkopf, womit Gleichstand hergestellt war.

Ansonsten profitierte auch der junge demokratische Präsidentschaftskandidat John F. Kennedy vom Trubel um den sow-jetischen Erdtrabanten. Weil der Noch-Amtsinhaber Dwight D. Eisenhower und der republikanische Konkurrent von JFK, Richard Nixon, auf den „Sputnik“-Start mit demonstrativer Nonchalance reagierten – Eisenhower ging wie gewohnt Golf spielen, während Nixon launig meinte, daß die USA dafür ja beim Farbfernsehen vorne lägen –, konnte sich Kennedy als verantwortungsvoller Politiker präsentieren und Gegenmaßnahmen ankündigen; er bekam also quasi Wahlkampfhilfe aus dem Kosmos. Dabei hatte der Bewerber um den Einzug ins Weiße Haus bis dahin immer wieder voller Überzeugung verkündet, Raketen und Raumfahrt seien pure Geldverschwendung.