© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/17 / 06. Oktober 2017

„Getötet wie ein Tier“
Mordfall Maria L.: Ein angeblich minderjähriger Asylbewerber aus Afghanistan soll die junge Medizinstudentin in Freiburg vergewaltigt haben
Martina Meckelein

Um 9.05 Uhr fragt die Vorsitzende Richterin Kathrin Schenk: „Sind die Handschließen geöffnet?“ Die Justizbeamten nicken. Der Angeklagte schaut auf die dunkle Holzplatte des Tisches vor ihm. Keine Regung des untersetzten Mannes. So beginnt der vierte Verhandlungstag eines spektakulären Prozesses vor der Großen Jugendkammer in Freiburg.

Die Anklage lautet auf Mord und besonders schwere Vergewaltigung. Das Opfer: die 19 Jahre alte Medizinstudentin Maria L. Mutmaßlicher Täter: der angeblich minderjährige Flüchtling Hussein K. aus Afghanistan.

„Man hat den Eindruck, daß das alles von ihm abprallt“, sagt die Freiburgerin Birgitte Brütsch der JUNGEN FREIHEIT. Sie besucht aus Interesse jeden Verhandlungstag. „Dieses demütige Bild stimmt nicht“, meint Bernhard Kramer über den Angeklagten zu dieser Zeitung. Der Rechtsanwalt vertritt die Eltern der Toten als Nebenklagevertreter. 

„Mädchen und Frauen sind für Sex da“

Rückblick: 16. Oktober 2016. Maria L. ist morgens um 2.40 Uhr mit ihrem Rad auf der Heimfahrt von einer Studentenparty. Auf dem einsamen Weg an der Dreisam greift sie plötzlich Hussein K. an. Er würgt und beißt sie mehrfach. In seinem Geständnis wird er später behaupten, daß er glaubte, sie sei tot gewesen. Dann erst will er sie mit der Hand vergewaltigt haben. Um seine Blutspritzer von ihrem Körper abzuwischen, schleppt er sie in die Dreisam. Doch Maria L. ist nicht tot, sie ertrinkt, ergibt die Obduktion. Sechs Stunden später findet eine Joggerin die Tote.

Die 40köpfige „Soko Dreisam“ ermittelt. Am 2. Dezember wird Hussein K., der bei Pflegeeltern lebt, in Freiburg festgenommen. Der DNS-Abgleich ist positiv. Ein herausragender Ermittlungserfolg. Der Fall Maria L. erlangt durch die Debatte über die Datenschutz-Bestimmungen in der deutschen Strafprozeßordnung (JF 48/16) und durch staatenübergreifende Behördenschlamperei bei der Feststellung und Übermittlung der Identität des Angeklagten europaweite Bedeutung.

Doch in dem weiß gestrichenen, teils holzvertäfelten Gerichtssaal geht es um die Schuld des Hussein K. und um die Fragen: Wo ist er eigentlich geboren? Wie alt ist er? Zwei Bekannte des Angeklagten sind geladen. Aber ihre polizeilichen Vernehmungen weichen von dem, was sie jetzt im Gericht sagen, ab. 

Hamid H. ist der erste Zeuge. Er floh mit Hussein K. aus dem Iran, über die Türkei nach Griechenland. Dort wurde Hussein K. in Korfu festgenommen, weil er eine Studentin eine Klippe hinabgestoßen hatte. Das Urteil: zehn Jahre Haft. Hamid H. reiste allein weiter nach Freiburg. „Ende 2015 rief er mich aus Köln an und sagte, daß er in Deutschland sei“, erinnert sich der Schüler. Hussein K. war amnestiert worden und sogleich nach Deutschland getürmt. Die Griechen schrieben ihn nicht zur internationalen Fahndung aus. Die Vorsitzende fragt: „Haben Sie mal über sein Alter gesprochen?“ Die knappe Antwort: „Nein.“ Dafür schildert der Zeuge ausgiebig den Marihuana-, Heroin- und Alkoholkonsum des Angeklagten. 

Staatsanwalt Thorsten Krapp: „Sie sagten in der Polizeivernehmung, sie hätten ihn erst in Freiburg kennengelernt, warum?“ Der Zeuge: „Ich hatte Angst.“ Der zweite Zeuge, Darius F., ein Afghane, kommt gefesselt in den Saal – drei Jahre Haft wegen gefährlicher Körperverletzung. Er lernte den Angeklagten in Freiburg kennen. Später, im Gefängnis, waren sie Zellengenossen. „Ich fragte ihn, warum er hier ist. Er sagte mir, er habe Probleme. Er sei betrunken gewesen, habe Ecstasy genommen, eine Chinesin angesprochen und sei um 4 Uhr nach Hause gegangen“, übersetzt ein Dolmetscher. 

„Bei der polizeilichen Vernehmung waren sie aber ausführlicher“, so die Richterin. „Sie sagten aus, er hätte gesagt, daß er ein Mädchen getroffen habe, daß er vergewaltigt und getötet habe, wie wüßte er nicht mehr. Er sagte, er habe sie getötet wie ein Tier.“ Darius F.: „Der Dolmetscher hat falsch übersetzt.“ Die Richterin: „Haben Sie mit dem Angeklagten über sein Frauenbild gesprochen? Der Zeuge: „Weiß ich nicht.“ Dabei sagte er bei der Polizei aus, Hussein K. habe ihm gesagt: „Frauen sind nur zum Ficken da.“ Der Zeuge widerspricht: „Er sagte, Mädchen und Frauen sind für Sex da.“ Und er versucht Hussein K. zu entschuldigen: „Er war nicht stolz auf diese Sachen“, und meint damit auch die Vergewaltigung eines Nachbarmädchens in Afghanistan, die Hussein K. ihm gestanden haben soll. 

„Sie denken nur an           andere, nicht an mich“

Die Richterin will wissen, ob die beiden jemals über Hussein K.’s Alter gesprochen hätten? „Er sagte“, so der Zeuge, „wenn ich rauskomme, bin ich ein alter Mann. Ich bin 27 Jahre alt.“ In der Zelle hatte er vor Hussein K. Angst, weil der mit dem Kopf gegen die Zellenwand schlug und nachts betete. 

Staatsanwalt Krapp fragt: „Haben Sie heute Angst vor ihm?“ Der Zeuge sagt: „Nein.“ Allerdings beschwert er sich, als er hört, daß er ein weiteres Mal zur Aussage vorgeladen wird. Zur Richterin sagt er: „Sie denken nur an andere, nicht an mich.“ Das Urteil wird voraussichtlich Ende Dezember gefällt.