© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/17 / 06. Oktober 2017

Die Partei, die Partei hat nicht immer recht
Flügelstreit: In der Linken wird über die Verantwortung für die Wählerwanderung zur AfD im Osten debattiert / Lafontaine: „Verfehlte Flüchtlingspolitik“
Paul Leonhard

Mit 69 Abgeordneten im neuen Deutschen Bundestag kann sich die Linke als gesamtdeutsche Partei präsentieren, die in allen Bundesländern, und nicht nur im Osten, ihre Wählerschaft hat. Aber genau an diesem Wahl-erfolg droht das sorgsam austarierte Gleichgewicht der Partei zu zerbrechen. Nur noch 26 der Parlamentarier kommen aus den neuen Bundesländern, 43 aus dem Westen. Allein zwölf Abgeordnete entsendet der als linksradikal geltende Landesverband Nordrhein-Westfalen, darunter die Sprecherin der vom Verfassungsschutz beobachteten Antikapitalistischen Linken, Sylvia Gabelmann.

Mit 9,2 Prozent der Zweitstimmen haben die Linkssozialisten 0,6 Punkte mehr erzielt als vor vier Jahren und gut eine halbe Million absoluter Stimmen hinzugewonnen. „Aber die Trends und Ergebnisse sind nach Ost und West deutlich unterschiedlich, wenn nicht gespalten“, heißt es im 32seitigen Wahlnachbericht des Parteivorstandes. 

Die größten Wahlkreiszugewinne verzeichnet sie in Hamburg-Altona. Ihre besten Ergebnisse erzielt sie in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, ihre schlechtesten Ergebnisse in Bayern und Baden-Württemberg. Das beste Wahlkreisergebnis erzielte die Linke in Berlin-Lichtenberg, das schlechteste in Borken II (NRW). Die höchsten Wahlergebnisse erreichten die SED-Nachfolger in Ostdeutschland und dort besonders in den beiden größten Städten (Ost-)Berlin und Leipzig. Auch in den alten Bundesländern erreichte die Partei in Großstädten höchste Ergebnisse.

Was nicht ins Selbstverständnis der Linken paßt, ist ihre Wählerschaft. Zwar genießt sie noch immer die stärkste Unterstützung bei Arbeitslosen, darüber hinaus von Arbeitern, Jungen und von wirtschaftlich Unzufriedenen. Aber mit sinkender Tendenz. 76 Prozent der Linken-Wähler schätzen ihre persönliche wirtschaftliche Situation als gut ein. Die Partei bekommt zunehmend Zuspruch im akademischen Milieu der Großstädte.

Allgemein wird eine Linksverschiebung in der Partei und speziell in der Bundestagsfraktion erwartet. Einen Vorgeschmack darauf gibt der aktuelle Streit zwischen Katja Kipping und Gregor Gysi auf der einen und Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine auf der anderen Seite.

„Falsche, halb-rechte          Positionen“ keine Option

Wagenknechts Erkenntnis, daß es sich die Partei beim Thema Flüchtlinge „zu leicht gemacht“ habe, sorgt für heftige Kontroversen. Es gebe eine „nicht geringe Überschneidung zwischen unserem Wählerpotential und dem der AfD“, hatte Wagenknecht kurz nach der Wahl gesagt. Da stand fest, daß 420.000 Wähler der Linken diesmal ihr Kreuz bei der AfD gemacht hatten. Das seien keine Rassisten, sondern Menschen, die „unzufrieden und sauer sind, sich zurückgesetzt fühlen“, sagte Vize-Parteichefin Wagenknecht. Auch Lafontaine, Fraktionschef im Saarland, äußerte sich zur „verfehlten Flüchtlingspolitik“: Die Linke dürfe bei der Hilfe für Menschen in Not das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit nicht außer Kraft setzen, die Lasten der Zuwanderung dürften nicht jenen aufgebürdet werden, „die ohnehin bereits die Verlierer der steigenden Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen sind“. Eine Vorlage, der Intimgegner Gregor Gysi nicht widerstehen konnte.

Es sei keine Option, „falsche, halbrechte Positionen“ zu übernehmen, nur weil die Partei dann vielleicht von mehr Arbeitern und Arbeitslosen gewählt werde, schimpfte Gysi. Sollte die Partei ihre Politik in der Flüchtlingsfrage grundsätzlich wechseln, dann sei sie keine linke Partei mehr und „auf jedem Fall nicht mehr meine“, drohte Gysi. Schon vor der Wahl war die Parteijugend „Solid“ auf Distanz zur Linken-Führungsriege gegangen, weil diese kein „Konzept für eine linke Einwanderungsgesetzgebung“ habe, „die eine Alternative zur nationalistischen Abschottung und zum neoliberalen Aussieben geben könnte“.

Obwohl die Linke im Wahlkampf konkrete soziale Fragen, wie Mindestlohn, Leiharbeit und die Situation Arbeitsloser und Alter, thematisiert und Lösungsansätze – höhere Steuern auf Kapitalerträge, Vermögen, Erbschaften und hohe Gehälter – angeboten hat, ist sie damit nicht durchgedrungen. Abgeschreckt hat viele Wähler die von der Partei gepredigte internationale Solidarität, während die AfD erfolgreich die soziale Frage mit der nach nationaler und kultureller Identität verband.

In Arbeitsgruppen will die Linke nun diskutieren, wie sie mit der Flüchtlingskrise, dem Thema Ostdeutschland und dem Verlust der Oppositionsführerschaft umgehen soll. Horst Kahrs von der Rosa-Luxemburg-Stiftung schlägt vor, mit der SPD im Bundestag eine „linke gesellschaftspolitische Alternative“ zu formieren.