© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/17 / 06. Oktober 2017

Willst du mit mir geh’n?
Koalition: FDP und Grüne stehen in den Startlöchern / Union hadert mit sich
Jörg Kürschner

Angela Merkel läßt sich nicht zum Jagen tragen, bleibt sich treu. Erst am Sonntag will die CDU-Bundesvorsitzende mit der CSU-Spitze die Strategie für die Sondierungsgespräche mit der FDP und den Grünen festlegen. Zwei Wochen läßt sie nach dem Wahlabend verstreichen, an dem sie sich zur Verblüffung auch ihrer Parteifreunde in Realitätsverweigerung übte: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müßten.“ Da stand der Absturz der Unionsparteien bereits fest, ein Minus von über acht Prozent. Das zweitschlechteste Ergebnis in der Geschichte der Union. Merkels mögliche Koalitionspartner wollen nach dem einschneidenden Wahlergebnis eine endlose Hängepartie bis zur Regierungsbildung vermeiden. 

Und so sind die Grünen am vergangenen Samstag einen kleinen Schritt in Richtung Jamaika-Koalition gegangen. Auf ihrem kleinen Parteitag haben sie offiziell ihre Bereitschaft zu Sondierungsgesprächen mit Union und FDP erklärt. Doch anschließend gingen die Grünen wieder einen Schritt zurück. Sie wollen zunächst Zweiergespräche mit der FDP führen. Ähnlich äußerte sich Parteichef Christian Lindner in Richtung der Grünen. Die CSU schäumte. Mißtrauisch fragte ihr neuer Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, ob da schon mal Ministerposten verteilt werden sollten. Harte Verhandlungen werde es geben, „die bis weit ins nächste Jahr gehen könnten“. Für den erklärten Grünen-Gegner wäre Jamaika kein Projekt, sondern ein Experiment. 

Dobrindt, der im Nebenjob noch das Amt des Bundesministers für Verkehr und digitale Infrastruktur versieht, könnte recht behalten. Seine CSU ist nach dem Rekordverlust von 10,5 Prozentpunkten in einer desolaten Lage. Die politische Zukunft von Parteichef Horst Seehofer ist ungewiß, entscheidet sich erst nach einer Schonfrist auf dem Parteitag im November. Über die inhaltliche Ausrichtung gibt es Streit. Soll die rechte Flanke geschlossen werden? Mit welchen Inhalten? Burka-Verbot nach österreichischem Vorbild? Seehofer hat seine Obergrenze von jährlich 200.000 Flüchtlingen nicht einmal gegenüber Merkel durchsetzen können, sagen die „Merkelianer“ in der CDU nicht ohne Häme. Obergrenze ade? „Einfach so weiterzuarbeiten wäre nicht gut“, stellte Seehofer auf der konstituierenden Fraktionssitzung von CDU und CSU klar. Die Union müsse der Öffentlichkeit deutlich machen: „Wir haben verstanden.“  

Verstanden hat offenbar auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Der eher zurückhaltende CDU-Landeschef kritisierte Merkels Flüchtlingspolitik in ungewohnter Schärfe. „Wir haben Platz gelassen rechts von der Mitte. Die Leute wollen, daß Deutschland Deutschland bleibt“. Ähnlich formulierte es sein Sachsen-Anhalter Kollege Reiner Haseloff. „So stellen sich die Menschen das nicht vor“.

Ohne Offenheit und         Verläßlichkeit geht es nicht

CSU und Grüne werden sich am schwersten tun, Kompromisse zu finden. Da steht die Obergrenze gegen zentrale Wahlversprechen der Grünen, die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke in den kommenden vier Jahren abzuschalten und den Einbau von Verbrennungsmotoren 2030 zu beenden. Die FDP kommt vergleichsweise pflegeleicht daher. Die Bildungs- und Digitalpolitik dürfte rasch abgehakt werden. Schwierige Gespräche deuten sich über die Euro-Finanzpolitik an. „Wenn das Eurozonenbudget die Idee verfolge, eine Geldpipeline von Deutschland zu legen, die automatisch und ohne Zweckbindung in andere Staaten Europas geht, dann ist ein solcher Finanzausgleich mit uns nicht zu machen“, kommentierte Lindner die jüngste Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. In der Steuerpolitik werden sich CDU, CSU und FDP schnell einig werden. Sie wollen die Einkommensteuer senken und den Solidaritätszuschlag mittelfristig abschaffen, die Grünen aber die Vermögenssteuer wieder einführen. 

Koalitionen haben nur Bestand, wenn Vertrauen zwischen den Verhandlungspartnern wächst. Deshalb dringt FDP-Vize Wolfgang Kubicki, erfolgreicher Jamaika-Geburtshelfer in Schleswig-Holstein, auf einen raschen Gesprächsbeginn. 

Vom mittlerweile verstorbenen einstigen SPD-Fraktionschef Peter Struck stammt der Hinweis: Ohne Verläßlichkeit, Offenheit und Ehrlichkeit im gegenseitigen Umgang werde jede Koalition scheitern. Strucks Verhandlungspartner war seinerzeit Volker Kauder. Kauder ist zur Überraschung mancher in der Bundestagsfraktion immer noch deren Vorsitzender. Bei seiner Wiederwahl kassierte der Merkel-Getreue allerdings mit 77,3 Prozent ein schlechtes Ergebnis. Kauder, seit 2005 in diesem Amt, zeige zu wenig Eigenständigkeit gegenüber Merkel, so Kritiker. So war der 68jährige als Bundestagspräsident im Gespräch – bis die Kanzlerin Wolfgang Schäuble das zweithöchste Amt im Staat antrug. Es gibt die (nicht belegte) Deutung, Merkel habe den starken Mann der CDU weggelobt, um das Finanzministerium für die FDP frei zu machen. Lindner hatte für seine Partei Interesse an dem hochrangigen Posten erkennen lassen, der laut Grundgesetz im Kabinett ein Vetorecht bei allen finanzpolitischen Entscheidungen hat. Kubicki wäre ein denkbarer Kandidat. 

Und die Grünen? Im Wahlkampf hatte Spitzenkandidat Cem Özdemir gefordert, den nächsten Verkehrsminister müßten die Grünen stellen. Personalfragen werden stets am Ende von Koalitionsverhandlungen geklärt – offiziell. Wenn es schon bei der organisatorischen Vorbereitung von Gesprächen hakt, wird im Berliner Regierungsviertel zu bedenken gegeben, wie sollen da inhaltliche Kompromisse gefunden und anschließend Kabinettsposten verteilt werden. Nicht zu vergessen die Mitgliederbefragungen, die FDP und Grüne bei einem Abschluß der Verhandlungen angekündigt haben. 

Übrigens drei Tage nach der Wahlniederlage räumte Merkel mit Blick auf das starke Abschneiden der AfD erstmals indirekt Versäumnisse ein. Die Union habe „eine ganze Reihe von Hausaufgaben“ zu erledigen, sagte sie im niedersächsischen Landtagswahlkampf. Eine späte Einsicht.