© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/17 / 06. Oktober 2017

Deutschland, deine Dschihadisten
Islamischer Staat: In mehreren Prozessen stehen hierzulande Anhänger der Terrororganisation vor Gericht / Staatsgefährdende Straftaten
Hinrich Rohbohm

Ein höhnisches Grinsen huscht dem Hauptangeklagten immer wieder über das Gesicht, als die Bundesanwaltschaft die Anklage gegen ihn vor dem Celler Oberlandesgericht verliest. Ahmad Abdulaziz A., genannt „Abu Walaa“, beugt sich vor, verfolgt aufmerksam die Aufzählung seiner ihm zur Last gelegten Taten. Einige Male schüttelt er erneut grinsend den Kopf, dann wieder lehnt er sich entspannt zurück, als könnten ihm all die Vorwürfe gegen nichts anhaben. 

Als er von den schwerbewaffneten Polizeibeamten zum Oberlandesgericht gebracht wird trägt er eine Augenbinde, schalldichte Ohrenschützer und einen Mundschutz gegen mögliche Spuckattacken. Beim Betreten des Gerichtssaales verbirgt er sein Gesicht hinter einer Aktenmappe. Der 33jährige sitzt gemeinsam mit vier weiteren Mitangeklagten hinter Panzerglas. Bewacht von einem Dutzend Justizvollzugsbeamter.

„Der IS befindet sich         im Krieg mit der BRD“

Vor dem Gerichtsgebäude haben sich weitere Sicherheitskräfte mit Maschinenpistolen postiert. Die Einlaßkontrollen erfolgen noch verschärfter als gewöhnlich. Aus gutem Grund. Denn die Bundesanwaltschaft sieht in dem ehemaligen Asylbewerber den höchsten Repräsentanten der Terrororganistion Islamischer Staat. 24 Selbstmordattentäter soll er rekrutiert und nach Syrien sowie in den Irak eingeschleust haben. 

Einer seiner „Jünger“ soll der Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri gewesen sein, den der gebürtige Iraker in einer Hildesheimer Moschee als Märtyrer gesegnet haben soll. Eine Handlung, die unter Islamisten als besondere Auszeichnung gilt. Auch einige der verurteilten Attentäter von Essen, die im April vorigen Jahres eine Bombe vor einem Sikh-Tempel installierten und dadurch einen Gläubigen verletzten, sollen zu seinen gelehrigen Schülern gezählt haben. Die Anklage legt ihm die „Bildung eines überregionalen salafistisch-jihadistischen Netzwerks“ sowie Terrorfinanzierung und Beihilfe zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat zur Last. 

Als Imam der Moschee des Vereins Deutscher Islamkreis Hildesheim e.V. soll er sowohl in der Gebetsstätte als auch in sogenannten Islamseminaren radikalislamistische Inhalte gepredigt haben. Ziel des von ihm angeführten Netzwerks sei es gewesen, Personen an den IS nach Syrien oder in den Irak zu vermitteln. Dabei sei es ihm aufgrund seiner Kontakte zu Führungspersonen des IS möglich gewesen, Einfluß auf die spätere Verwendung einiger der ausgereisten Personen zu nehmen.

Abu Walaa war bereits 2001 aus dem Irak nach Deutschland eingereist. Als „Flüchtling“. Im August vorigen Jahres, als die Polizei seine Wohnung durchsucht hatte, war ihm klar geworden: er wurde verraten. Von einem Ungläubigen, den es zu vernichten gelte. 200 Euro „für jeden Stich“ solle es dafür geben. Die Aussagen dieser  „Vertrauensperson“, von den Ermittlungsbehörden kurz VP01 genannt, bilden das Fundament der Anklage gegen den einstigen Jeans-Verkäufer. Sie lieferte den Ermittlern Chat-Protokolle aus Messenger-Diensten.

Prozesse wie der gegen Abu Walaa sind in Deutschland inzwischen keine Seltenheit mehr. Parallel zum Verfahren gegen den Haßprediger von Hildesheim läuft derzeit die Verhandlung gegen Sascha L. Der 26jährige soll im niedersächsischen Northeim einen Sprengstoffanschlag auf Polizisten geplant haben. „Ich hatte eventuell mal vor, Polizisten in eine Falle zu locken und wegzusprengen“, gab der Islamist im Prozeß vor dem Braunschweiger Landgericht zu Protokoll. 

Die Anleitung zur Herstellung des Sprengstoffes habe er aus Internetvideos erhalten. „Zuerst habe ich mir die Anleitung von Al Kaida angeschaut, dann die des Islamischen Staats“, erklärte er in seiner Aussage vor Gericht. Und: „Der IS ist im Krieg mit der BRD. Als IS-Sympathisant war es deswegen für mich keine Frage, ob ich Vertreter der BRD angreifen darf. Sie sind Feinde.“ Inzwischen will er sich jedoch von der islamistischen Szene distanziert haben.  

Auch hier wird das Gerichtsgebäude von Polizisten in Schutzwesten und mit Maschinenpistolen bewacht. Maskierte Justizbeamte bringen den Beschuldigten, an Händen und Füßen gefesselt, in den Gerichtssaal. „Das Vorhaben wäre im Falle der Umsetzung geeignet gewesen, die Sicherheit der Bundesrepublik zu untergraben“, betont die Generalstaatsanwaltschaft. 

In Düsseldorf wurden in diesem Jahr gleich eine Fülle von Islamistenprozessen verhandelt. Etwa gegen den Haßprediger Sven Lau. Er wurde im Juli dieses Jahres vom dortigen Oberlandesgericht wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt. 

Der 36 Jahre alte Konvertit war seit 2013 Ansprechpartner und Anlaufstelle für Kämpfer aus der salafistischen Szene im Großraum Düsseldorf. Zwischen Juli und November 2013 hatte er maßgeblich dazu beigetragen, zwei in Deutschland lebende Männer einer in Syrien stationierten Kampfeinheit der IS-nahen Organisation Jamwa zuzuführen. Auch hatte er der Organisation Geld sowie Nachtsichtgeräte aus ehemaligen Bundeswehr-Beständen für ihren bewaffneten Kampf zukommen lassen. 

Aussagen widersprüchlich, Wahrheitsgehalt zweifelhaft

Ebenfalls wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilte das Oberlandesgericht im Juli dieses Jahres den aus Tadschikistan stammenden Mukhamadsaid S. zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Der 31jährige war im Februar 2015 nach Syrien gereist, um sich dem IS anzuschließen, durchlief dort eine religiöse und militärische Ausbildung. Und den Iraker Azhar Nadm Kata al-R. verurteilte der Düsseldorfer Staatsschutzsenat zu drei Jahren Haft. Der 26jährige hatte sich in Syrien der Terrorgruppe Junud al-Sham angeschlossen, erlernte dort den Umgang mit Schußwaffen. 

Derzeit muß sich auch der Syrer Saleh A. vor dem Oberlandesgericht verantworten. Er soll von der IS-Führung in Rakka den Auftrag erhalten haben, in der Düsseldorfer Altstadt ein Selbstmordattentat zu begehen. Der 30jährige ist Hauptangeklagter und zugleich Kronzeuge im Prozeß, er soll zu den Hintergründen der Anschlagspläne aussagen. Im Februar 2016 hatte er sich in Paris freiwillig den Behörden gestellt. Doch seine Aussagen vor Gericht sind widersprüchlich, der Wahrheitsgehalt zweifelhaft. Angeblich habe er als Doppelagent für das Assad-Regime den IS ausspähen sollen, sagt er. Der Prozeß wird noch andauern. Es dürfte bei weitem nicht der letzte bleiben.