© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/17 / 06. Oktober 2017

Von der Politik total enttäuscht
Freiburg-Landwasser und Hamburg-Billbrook: Besuche in zwei westlichen AfD-Hochburgen, wo die Perspektivlosigkeit mit Händen zu greifen ist
Martina Meckelein

Ein tiefer Zug an der Zigarette und ein großer Schluck aus dem Weißweinglas, dann das obligatorische „How nice“. Die Amerikanerin aus Alabama, die ihren Sohn (15) auf einer Soccer-Rundreise den deutschen Fußballvereinen vorstellt, ist begeistert von Freiburg im Breisgau. „Und dieses Kopfsteinpflaster erst“, flötet sie. Sie schämt sich für Trump und trägt Obama im Herzen und ein acht Jahre altes Foto, das sie mit dem Ex-Präsidenten zeigt, auf ihrem Smartphone durch die Welt. Bald geht es nach Bremen, dann weiter nach Hamburg. Während ihrer Stadtbummel durch die Schwarzwaldstadt Freiburg wird sie nicht den Stadtteil Landwasser besuchen. In dem Bezirk hat die AfD 17,5 Prozent der Zweitstimmen erreicht (Freiburg gesamt: 7,9 Prozent). Die Entwicklungen, die sich dort in den letzten Jahren ergeben haben, scheinen Meilen von der pittoresken Altstadt mit dem gotischen Münster entfernt.

„Die sollten mal vier       Wochen mein Leben leben“

Was ist hier anders als in den übrigen Stadtvierteln, in denen die Grünen Ergebnisse bis über 21 Prozent eingefahren haben? „Landwasser ist ein Retortenstadtteil, entstanden in den sechziger Jahren“, sagt Detlef Huber (46), verheiratet, zwei Kinder. Der Rechtsanwalt ist gebürtiger Siebenbürger Sachse aus Hermannstadt und in Landwasser aufgewachsen. Huber ist AfD-Mitglied. „Landwasser ist eine Mischung aus Hochhäusern, Sozialwohnungen und Einfamilienhäusern. Eine gute Idee, damals. Dadurch sollte soziale Ausgewogenheit erreicht werden.“

Allerdings sind die Hochhäuser der Wirthstraße, das ist der Teil Landwassers mit den Sozialwohnungen, vom übrigen Stadtteil durch die Elsässer Straße getrennt. Sie ist eine breite vierspurige Straße, die wie eine Axt das Viertel spaltet. Heute hat sich die Wirthstraße zum sozialen Brennpunkt entwickelt.

„Nicht nur, aber eben auch dadurch droht Landwasser zu kippen, und das spüren die Menschen hier“, sagt Huber. Bevor sich hier die AfD aufstellte, war ganz Landwasser ein stark sozialdemokratisch geprägter Stadtteil. Die CDU wurde von den Rußlanddeutschen und den Konservativen in ihren hübschen Einfamilienhäusern und Bungalows gewählt.

Landwasser ist 1,25 Quadratkilometer groß, hat 7.035 Einwohner, die Arbeitslosigkeit ist im Freiburger Vergleich unterdurchschnittlich. Allerdings bei den Migranten (Anteil über 40 Prozent) mit 24,7 Prozent überdurchschnittlich hoch, so das Statistische Bundesamt. Der Stadtteil hat zwei Kirchengemeinden, fünf Schulen, vier Kindergärten und ein Einkaufszentrum (EKZ), mittwochs und samstags einen Wochenmarkt.

„Das EKZ soll in zwei Jahren abgerissen werden“, sagt Hubers Parteifreund Volker Kempf (48). Der Soziologe ist für die AfD im Kreistag. „Die Polizei verschwand hier aus dem Gebäude im ersten Stock schon vor drei Jahren.“ Und gerade hier wollte Freiburg ein weiteres Flüchtlingsheim hinstellen. „Mit 170 Plätzen, dabei war Freiburg juristisch nicht dazu verpflichtet“, sagt Huber. „Denn wir haben eine 4.000 Plätze große Erstaufnahmeeinrichtung. Die Politik wollte es aber so und hatte, ein paar Tage vor dem Fällverbot, einen Teil des Waldes für das Heim gerodet.“ Dagegen gab es Proteste, „auch von uns“, sagt Huber. Und so ist hinter der Bahnlinie nach Breisach, die direkt an der gerodeten Fläche vorbeiführt, nur noch gähnende Leere zu sehen.

Ursula Hertel (81), Rentnerin aus Landwasser, sitzt im Eiscafé „Palma“ auf der Terrasse mit Blick auf die geschlossenen und teils verbarrikadierten Schaufenster der hier ehemals florierenden Ladengeschäfte. „Die werden hier nichts abreißen und etwas Neues bauen“, sagt sie. „Das schaffen die nicht.“ Ob sie auch AfD gewählt hat? „Ich hätte die AfD gewählt, aber ich bin nicht wählen gegangen“, sagt die alte Dame. „Ich bin zu alt und von der Politik total enttäuscht. Die sollten mal vier Wochen in meinem Leben leben, diese Politiker. Die sitzen sicher in ihren Autos, aber ich gehe abends vor Angst nicht mehr vor die Tür. Dabei bin ich kein Angsthase. Aber vor drei Jahren haben sie hier die Polizeistation dichtgemacht – und in der Wirthstraße werfen die Leute jetzt den Müll aus dem Fenster. Und dann die vermummten Frauen – das ist hier einfach eine Katastrophe.“

Auffällig viele Frauen in muslimischen Gewändern schieben meist ganz in Schwarz Kinderwagen über den Platz des Einkaufszentrums. Waldemar Lingert, ein Rußlanddeutscher, ist mit Muslimen aufgewachsen. „1792 ist meine Familie aus dem Raum Speyer ans Schwarze Meer gezogen. Sie waren da sehr zufrieden und sehr reich. Trauben und Vieh waren ihr Geschäft – bis 1941. Dann kam Adolf Hitler, der Bandito, und wir mußten nach Deutschland. 1945 wollte meine Familie in die Heimat zurück. In die Ukraine, das hatte Stalin ihnen versprochen. Aber die Züge mit den Viehwaggons fuhren an der Ukraine vorbei und verschleppten uns alle nach Tadschikistan.“

In der Poststation russische Ikonen und russisches Essen

Dort, an der Grenze nach Afghanistan, in der Kolchose Moskau, in Tschillikul wurde Lingert vor 62 Jahren geboren. „Wir waren 700 Deutsche im Dorf, hatten bis 1957 keine Ausweise, durften nicht einmal ins nächste Dorf. Ich habe mit Muslimen gespielt, verstehe Persisch bis heute. Muslime haben dort acht bis 14 Kinder. Dann kam Gorbatschow, und die Tadschiken warfen uns raus – unsere Nachbarn. Die kamen und sagten: ‘In einer Woche seid ihr weg oder euer Haus brennt ab.’ Als wir 1987 hierherkamen, war das ein deutsches Land mit deutscher Kultur und Sauberkeit. Meine zwei Enkel gehen hier auf die Albert-Schweitzer-Schule, sie sind die einzigen deutschen Kinder in der Klasse. Die Muslime werden hier in 30 Jahren auch die Macht übernehmen, so wie damals in Tadschikistan.“

Lingert hat AfD gewählt, wie viele Rußlanddeutsche in Landwasser. Selbst die Poststation im Einkaufszentrum bietet russische Ikonenbilder, russisches Essen und russische Zeitungen an. „Hier wohnt in jedem Haus mindestens ein Deutschrusse“, sagt die Verkäuferin hinter dem Tresen.

Eine junge Muslimin, geboren in Freiburg, Erzieherin von Beruf. Ganz in Schwarz, keine Strähne ihres Haares ist zu sehen. Sie ordnet ihren hellblauen Seidenschal, den sie um Hals und Schultern gelegt hat. „Die Sorgen der Menschen hier, die Angst vor Überfremdung, kann ich verstehen. Gerade als die Diskussion um das Flüchtlingsheim aufkam. Eine verfehlte Planung, ein Heim gerade hier an der Wirthstraße zu bauen.“ Sie hätte übrigens die Linken gewählt – wenn sie nicht gerade in Kanada gewesen wäre. Die junge Frau will weg.