© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/17 / 06. Oktober 2017

Zeitschriftenkritik: Ruperto Carola
Biologische Faktoren entscheiden
Werner Olles

Im Mai 1900 öffneten sich erstmals die Tore der Universität Heidelberg für vier junge Frauen, die sich an der Ruperto Carola einschreiben wollten. Über ein Jahrhundert später gehören Frauen selbstverständlich zum Bild der Universität. Die Fragen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Mann und Frau haben ihre Relevanz dennoch nicht verloren. Die aktuelle Ausgabe des zweimal jährlich erscheinenden Forschungsmagazins Ruperto Carola (Nr. 20) widmet sich daher den unterschiedlichen Facetten des Schwerpunktthemas „Frau & Mann“, den grundlegenden Kategorien und Selbstbildern sowie den Erwartungen und Anforderungen, die jeden von uns ausmachen.

So hat die Biologische Psychologie herausgefunden, daß ein geschlechtsrollenspezifisches Verhalten in bezug auf Schmerzempfinden, Temperament, dominante Verhaltensreaktionen oder die Reaktion auf Reize visueller oder akustischer Art nur in seltenen Fällen das Ergebnis von Erziehung und Sozialisation sind. Vielmehr entwickeln sich solche Prozesse bereits während des vorgeburtlichen Reifungsprozesses im Gehirn des Kindes. Entwicklungspsychologisch sind die biologischen Faktoren entscheidend, jedoch werden pränatale hormonelle Einflüsse verdächtigt, sich auf spätere sexuelle Neigungen auszuwirken. Es spricht also viel dafür, daß biologische Mechanismen zu sozialen Verhaltensunterschieden zwischen den Geschlechtern beitragen. Zudem weisen die Gehirne von Mann und Frau Unterschiede auf. Das männliche Gehirn ist etwa zehn Prozent größer als das weibliche, und der Gehirnreifungsprozeß verläuft bei Jungen und Mädchen in einem unterschiedlichen Zeitrahmen. Mädchen kommen früher in die Pubertät als Jungen, zudem ist diese Phase bei ihnen kürzer.

Der Soziologe Ulrich Lehmann beschreibt in seinem Beitrag „Liebe als moderne Religion“ den Siegeszug der romantischen Liebe. Sie habe „den Status einer irdischen Religion erlangt“, ihr Anspruch lasse keinen Spielraum „für ein Ganz-und-gar-Lieben Dritter oder Vierter“. Es stelle sich die Frage: „Was ist das überhaupt, diese Liebe?“ Tatsächlich existieren viele Formen: die Elter-Kind-Liebe, die Gottesliebe, die Vaterlandsliebe, die Nächstenliebe und die in der Literatur so oft beschriebene und in der Musik besungene romantische Liebe. Dem Psychologen erscheine sie als eine „Qualität des Erlebens, als eine besondere Emotion“. Aus der Perspektive der Biochemie stelle sie sich als „ein bunter Hormoncocktail“ dar. Die Soziologie sehe in der romantischen Liebe eine spezifische Art des Sich-aneinander-Orientierens zweier Personen – traditionell von Man und Frau. Da die modernen Gesellschaften durch ein hohes Maß an Unpersönlichkeit gekennzeichnet seien, schaffe dies den „Nährboden für den immensen Kulturerfolg der romantischen Liebe“. In ihrer Intensität des Erlebens erlaube sie es, der „Stumpfheit des Alltags“ und den „kalten Skeletthänden rationaler Ordnung“ zu entfliehen, wie Max Weber bereits vor mehr als hundert Jahren schrieb.

Kontakt: Ruperto Carola, Universität Heidelberg, Grabengasse 1, 69117 Heidelberg, Tel: 0 62 21 / 54-1 90 26  www.uni-heidelberg.de