© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

„Genosse Hackenberg … ich mache groß“
Kino I: Die Honecker-Posse „Vorwärts immer!“ mit Jörg Schüttauf in der Hauptrolle
Sebastian Hennig

Mit jahrelanger Verspätung wurden die Tolpatsch-Komödien mit Pierre Richard von der realsozialistischen Obrigkeit der DDR herangezogen, um den Verdruß der Untertanen mit Brot und Spielen zu zerstreuen. In den Flohkisten landauf, landab konnte für wenige Pfennige Eintrittsgeld der Verfall für anderthalb Stunden vergessen werden.

Kaum jemand von denen, die sich damals halb tot darüber lachten, wie „der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“ durch das für die seine Zuschauer unerreichbare Paris stolperte, hätte geglaubt, erstens Paris noch zu sehen und, zweitens, in weit bequemeren Kinosesseln den Honecker-Darsteller Jörg Schüttauf die gleichen wilden Ausweichsprünge gegen den Absturz in einem spiegelblank gebohnerten Foyer des Staatsratsgebäudes vollführen zu sehen. Auf dem Hosenboden holpert er die Treppen abwärts, wo eine korrekt ondulierte Margot (Hedi Kriegeskotte) im Halbschatten wartet. Die vermutete ihren Erich eigentlich auf der Jagd in Wandlitz.

Ein falscher Honecker soll den Schießbefehl aufheben

Jörg Schüttauf wird wohl dem bisherigen Honecker der Herzen, Uwe Steimle, den Rang ablaufen. Denn das Lachen über Steimles Parodie wurde immer vom gespenstischen Beigeschmack seiner Trauerarbeit über den Zusammenbruch einer gesellschaftlichen Ordnung überlagert. Der Honecker in „Vorwärts immer!“ dagegen schenkt seinem Publikum nun endlich ein befreiendes Lachen. Die Schlußpointe, die hier unerwähnt bleiben soll, macht deutlich, daß hier nicht die These vom zweiten Unrechtsstaat auf deutschem Boden herhalten muß, um jedes neue Unrecht zu relativieren. Es gäbe jedenfalls Stoff für Possen nach 1990. Das wird angedeutet.

Der Kunstgriff dieses Filmes ist raffiniert, die Geschichte rasch erzählt: Eine Berliner Schauspieltruppe probt im Herbst 1989 halblegal ein systemkritisches Stück. Auf der Bühne ist das miese Triumvirat Honecker, Mielke, Krenz zu sehen. Die Maskenbildner haben dafür ihr Bestes gegeben. Für einen wirkungsvollen Honecker wurden gar Spezialteile aus dem Westen besorgt. Die Probe wird begleitet von den üblichen Intrigen, Eitelkeiten und Eifersüchteleien unter den beteiligten Mimen. Jürgen Kelm (Steffen Scheumann), ein Subalterner, hält die Stasi auf dem laufenden.

Alles geht nach Plan, bis die Beteiligten erfahren müssen, daß die Tochter des Honecker-Darstellers unterwegs nach Leipzig ist. Da es nach aktuellem Ermessen dort zu bürgerkriegsartigen Zuständen kommen wird, tritt schlagartig die Probenarbeit in den Hintergrund. Rivalen werden zu Freunden und sinnen gemeinsam auf Abhilfe. Ihr Einfall, von einem falschen Honecker den Schießbefehl aufheben zu lassen, ist letztlich gar nicht so irrsinnig, wie er zunächst erscheint. Die DDR-Geschichte enthält eine ganze Reihe ähnlicher Räuberpistolen, die unterhalb der Wahrnehmungsschwelle beinahe Geschichte geschrieben haben.

Als der vom Treppensturz betäubte falsche Honecker in Wandlitz wieder aufwacht, trifft natürlich auch der richtige mit einem erlegten Hasen ein. Trotzdem gelingt es Otto Wolf alias Erich Honecker, auf der Toilette den Chef der Bezirkseinsatzleitung in Leipzig an den Apparat zu bekommen. Allerdings wird von außen schon an die Klotür gehämmert, darum kommt es recht mißverständlich über seine Lippen: „Genosse Hackenberg … ich mache groß.“

Geschichte interpretiert statt einfach nacherzählt

Auf die Generation der 1973 geborenen Regisseurin Franziska Meletzky, die 1989 auch in Leipzig mitdemonstrierte, hat der Staatsratsvorsitzende einen besonders skurrilen Eindruck gemacht. Wer in ihrer Altersgruppe Ende der achtziger Jahre etwas aufgeweckter war, der konnte sich schon aus rein biologischen Gründen keine endlose Weiterführung der Polit-Posse ausmalen. Die Realsatire war zu heftig und die derben Stellen im Film sind von dieser Erfahrung geprägt. „Vorwärts immer!“ wird darum auch zutreffend beworben: „Jörg Schütt-

auf in der schrägsten Komödie … seit Honecker.“ Die starren und zerquälten Gesichter der ZK-Mitglieder der SED sind gut gefaßt im Film: der Zigarre qualmende Erich Mielke, der lauernde Hermann Axen und der darunter beinahe deplaziert wirkende Egon Krenz (Alexander Schubert). Der Film enthält eine ganze Reihe subtiler Anspielungen. Als beispielsweise Margot Honecker Biermann auf dem Bildschirm erblickt seufzt sie: „Wölfchen, warum hast du das gemacht?“

Wohl bedurfte es dafür spezifisch weiblicher Intelligenz, die Meletzky schon mit der „Stromberg“-Serie bewiesen hat, für die sie vier Episoden drehte. Der Produzent Philipp Weinges charakterisiert sein Werk als einen Film, „der deutsche Geschichte nicht einfach nacherzählt, sondern frech interpretiert, ohne die Realität aus den Augen zu verlieren“. Zehn Jahre hat er gebraucht, um die Finanzierung abzusichern.