© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/17 / 13. Oktober 2017

Hitlers Werkzeug zur Machtgewinnung
Der Journalist Sven Felix Kellerhoff hat der Geschichte und der Struktur der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei eine gut lesbare Monographie gewidmet
Hans Fenske

Der Aufstieg der NSDAP in der Weimarer Zeit und die Jahre der Diktatur sind vielfach dargestellt worden; die einschlägige Literatur füllt ganze Bibliotheken. Bereits 1932 legte Konrad Heiden eine umfassende „Geschichte der NSDAP“ vor, er emigrierte vorsichtshalber schon 1933. Der langen Reihe einschlägiger Studien hat Sven Felix Kellerhoff, Redakteur bei der Welt und Verfasser von Sachbüchern zum Dritten Reich, nun eine weitere Darstellung angefügt. 

Er stützt sich dabei auf Berichte von 586 Männern und Frauen, die der amerikanische Soziologe Theodore Abel 1934 gesammelt hat, um zu erfahren, was die Deutschen seit 1928 dazu veranlaßt hat, sich massenhaft dem Nationalsozialismus zuzuwenden. Die zweite Säule für das Buch sind Polizeiakten, die dritte Akten der NSDAP, die vierte Reden Adolf Hitlers und Joseph Goebbels’, die nationalsozialistische Publizistik, andere Zeitungen bis 1933, Berichte von Diplomaten und für die Jahre 1933 bis 1939 die Meldungen aus dem Reich des SS-Inlandsnachrichtendienstes. Die vorliegende Literatur ist in gebührendem Umfang herangezogen. 

Auf theoretische Analysen hat der Autor verzichtet. Grundsätzlich Neues kann das gut zu lesende Buch nicht bieten, es werden nur einzelne Aspekte heller beleuchtet. Besonders beachtet werden München, Berlin, Gelsenkirchen, Stuttgart und Ostpreußen. Auch der österreichische Nationalsozialismus bis 1938 ist einbezogen. Abschließend blickt der Autor kurz auf die Entnazifizierung und die Bestrafung der schuldig Gewordenen nach 1945 und auf das Wiederaufleben rechtsradikaler Tendenzen in der frühen Bundesrepublik. Jeweils ein Drittel des Textes ist den Jahren 1919 bis 1923, 1924 bis 1933 und 1933 bis 1945 gewidmet.

Anfang 1919 gründeten der Schlosser Anton Drexler und der Journalist Karl Harrer in München die Deutsche Arbeiterpartei; sie erhielt bald den Namen Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Hitler trat dieser kleinen völkisch-nationalen Gruppe früh bei. Seine Einsatzfreude und seine rednerische Begabung hatten erhebliche Bedeutung dafür, sie in München und auch darüber hinaus zu einem Faktor von Gewicht zu machen. 

Zusammen mit Drexler erarbeitete er das Programm, und Mitte 1921 wurde er zum Vorsitzenden der NSDAP mit außerordentlichen Vollmachten gewählt. Im November 1923 suchte er durch einen Putsch einen Umsturz in Deutschland zu erreichen, über den bayerische und norddeutsche Konservative verhandelt, sich aber nicht zur Tat entschlossen hatten. Dafür zahlte er mit Festungshaft, die NSDAP wurde verboten. 

Ende 1924 kam Hitler wieder in Freiheit und gründete die Partei im Februar 1925 neu. Ihre Entwicklung war in den folgenden Jahren mühsam, auch gab es Kontroversen mit Otto und Gregor Strasser, die den Sozialismus stärker betont sehen wollten. Ab 1929 nahm die NSDAP einen steilen Aufstieg in der Wählergunst. Sie hatte inzwischen eine personelle Stärke, die es ihr erlaubte, ständig an die Öffentlichkeit zu treten, und sie machte entschieden Front gegen den Young-Plan, der Deutschland für Jahrzehnte hohe Reparationslasten abforderte, ein Aspekt, den Kellerhoff kaum beachtet. 

Im Zentrum der Agitation standen des weiteren die Ankündigung von Maßnahmen zur Förderung der Landwirtschaft und zur Beseitigung der hohen Arbeitslosigkeit sowie die Verheißung einer wahren Volksgemeinschaft, in der Gerechtigkeit, aber keine Gleichheit bestehen sollte. Die Parole, Hitler werde Freiheit und Brot schaffen, wirkte sehr anziehend. Nach nur 2,6 Prozent der Stimmen bei der Reichstagswahl 1928 erzielte die NSDAP im September 1930 schon 18,3 Prozent und im Juli 1932 sogar 37,4 Prozent. Die NSDAP war jetzt eindeutig die stärkste politische Kraft in Deutschland, und ganz konsequent verlangte Hitler nun das Amt des Reichskanzlers für sich. 

Am 30. Januar 1933 bekam er es übertragen, der konservative Zentrumsmann Franz von Papen und der Deutschnationale Alfred Hugenberg hatten Reichspräsident Paul von Hindenburg dafür gewonnen. Die meisten Minister in Hitlers Kabinett waren Konservative, und so meinten Papen und Hugenberg denn auch, Hitler binnen kurzem an die Wand drücken zu können. All das stellt Kellerhoff sehr plastisch vor Augen. Er hätte freilich den Wahlen mehr Raum zugestehen und auch auf manche Gespräche der Spitzenpolitiker zwischen dem Sommer 1932 und dem Januar 1933 breiter eingehen sollen.

Für die Jahre der Diktatur behandelt Kellerhoff zunächst den enormen Mitgliederzustrom zur NSDAP ab Februar 1933. Die meisten dieser „Märzgefallenen“ wandten sich nicht aus Überzeugung, sondern aus anderen Gründen der NSDAP zu. Sodann beschäftigt er sich mit den Veränderungen im öffentlichen Dienst und der Patronage für Partei­genossen, mit der Organisation der Partei und ihren Funktionsträgern vom Blockwart bis zu den Gau- und Reichsleitern.

Des weiteren geht es um die Anforderungen an die Parteigenossen, um die Kontrolle der Öffentlichkeit und das Vorgehen gegen angebliche „Volksschädlinge“ sowie um die Maßnahmen gegen die Juden. Schließlich werden die Einstellung der Verwaltung auf die Anforderungen des Krieges, die Kinderlandverschickung, die Evakuierung der Bevölkerung aus gefährdeten Gebieten und die Nothilfe für Ausgebombte dargelegt. Insgesamt: Ein sehr instruktives Buch, dessen Lektüre guten Ertrag bringt.

Sven Felix Kellerhoff: Die NSDAP. Eine Partei und ihre Mitglieder. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2017, gebunden, 441 Seiten, Abbildungen, 25 Euro