© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Rabotten statt Reggae
Jamaika-Gespräche im Bund: Die Unterschiede zwischen Union, FDP und Grünen sind immens / Erhebliche Zweifel am ambitionierten Zeitplan
Paul Rosen

Noch haben die Koalitionsverhandlungen in Berlin nicht einmal begonnen, da fegte über das angestrebte Jamaika-Bündnis ein Hurrikan in Form der niedersächsischen Landtagswahl hinweg: Union, Grüne und FDP verloren zusammen 10,7 Prozentpunkte (siehe oben). Der Anfang werde „nicht geprägt sein von Reggae und Bob Marley und irgendeinem lässigen Style, sondern Jamaika wird ein sehr schweres Stück Arbeit“, ahnte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, der die potentiellen Partner „inhaltlich meilenweit“ voneinander entfernt sieht. 

Auch wenn es tiefe Gräben zwischen den vier beteiligten Parteien gibt und der Brückenbau sehr schwierig werden dürfte, sind die Optimisten im künftigen Regierungslager in der Überzahl. Ein interner „Zeitstrahl“ für die Verhandlungen sieht sogar eine Präsentation der Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen einige Tage vor dem CSU-Parteitag am 17. und 18. November vor. Und das niedersächsische Wahlergebnis wird im Unionsteil der künftigen Koalition weggeredet wie schon das Bundestagswahlergebnis: „Berlin ist Berlin, und Hannover ist Hannover“, sagte etwa die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner. Kanzlerin Angela Merkel kann keine Schwächung der CDU erkennen: „Wir gehen in diese Sondierungen mit dem Selbstverständnis, daß wir stärkste Kraft sind.“

Der enge Zeitplan hat Sinn: Mit einer frisch geschlossenen Koalitionsvereinbarung im Gepäck kann der seit den massiven Stimmenverlusten unter erheblichem Druck stehende CSU-Chef Horst Seehofer seinen möglichen Sturz vor oder auf dem Parteitag vermeiden. Denn die gegenwärtig in der CSU zu beobachtende Mischung aus Solidaritätserklärungen und Rücktrittsforderungen erinnert langjährige Beobachter an das Ende der Ära Edmund Stoiber. Die Grünen machen ebenfalls Tempo und haben bereits elf Vorbereitungsarbeitsgruppen für die Koalitionsverhandlungen strukturiert.  

Energiewende entzweit     vor allem FDP und Grüne

Auch wenn Jamaika von allen Seiten hochgeredet wird, sind die Unterschiede zwischen den Parteien doch enorm. Der erste Punkt ist die Migrationspolitik. Zu den Kernfragen taten sich schon CDU und CSU mit einer Einigung äußerst schwer. Ihre Vereinbarung zur Höchstzahl von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Inzwischen haben die Grünen klargestellt, daß eine starre Obergrenze mit ihnen nicht zu machen sein wird: „Das individuelle Recht auf Asyl muß gelten, da kann es keine Obergrenze geben“, erklärte Fraktionschef Anton Hofreiter. FDP-Vize Wolfgang Kubicki meint, die Einwanderungspolitik werde der „härteste Brocken“ bei den Verhandlungen. 

In diesem Punkt ist die CDU weit mehr als die CSU bereit, auf die Grünen zuzugehen. CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn ging ganz klar auf Kurs nach Jamaika, als er erklärte: „Das Zusammenspiel zwischen gesteuerter Einwanderung in den Arbeitsmarkt, grenzüberschreitender humanitärer Hilfe für echte Flüchtlinge, robuster Sicherung der EU-Außengrenzen, konsequenter Durchsetzung von Abschiebungen und großzügigeren Angeboten zur schnellen Integration wird mit gesundem Menschenverstand gelingen.“ Dagegen kann die CSU eigentlich nicht hinter dem schon windelweichen Kompromiß mit der CDU zurückbleiben. Bei anderen Themen sieht es kein bißchen besser zwischen den Partnern aus. Die Energiewende entzweit besonders Grüne und FDP. Während die Grünen 100 Prozent Ökostrom und ein Verbot von Verbrennungsmotoren und Kohlekraftwerken wollen, legt sich die FDP mit dem Ruf nach Obergrenzen für erneuerbare Energien quer. 

In der Europapolitik wollen CDU und Grüne aus den Eurorettungsfonds einen Währungsfonds machen. Die Grünen sind sogar für eine Vergemeinschaftung von Schulden, was für die FDP überhaupt nicht geht. Die FDP kann hier auf die CSU zählen. Bei Steuersenkungen prescht die FDP mit dem Ruf nach einer sofortigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags voran, was der CSU sehr und der CDU weniger gefällt. Die Grünen würden darauf mit Forderungen nach höheren Steuerern auf Vermögen reagieren. Das Koalitionsschiff kann bei seiner Fahrt nach Jamaika durchaus noch in schwere See geraten und vom Kurs abkommen.