© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Der Deutsche Gewerkschaftsbund auf „neoliberalen“ Abwegen
Arbeiterverräter
Jörg Fischer

Zusammengerechnet elf Millionen Befristungen, Leiharbeiter, geringfügige und Teilzeitbeschäftige, zwei Millionen Solo-Selbständige oder 1,2 Millionen Hartz-IV-Aufstocker, die Berufs- und Erwerbsunfähigkeit nicht mehr abgesichert, Arbeitslosen- und Rentenversicherung zusammengestaucht. Gleichzeitig verlangt der Deutsche Gewerkschaftsbund wie die FDP „ein modernes Einwanderungsgesetz“, das „nicht neue Formen der Abschottung festschreiben“ dürfe.

Der vor hundert Jahren geborene Heinz Oskar Vetter würde sich wohl im Grabe umdrehen, wenn er wüßte, was aus seinem DGB geworden ist. Als der SPD-Politiker 1969 an dessen Spitze kam, waren 36,3 Prozent der westdeutschen Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert, als er 1982 wegen der Mißwirtschaft beim Wohnungsbaukonzern „Neue Heimat“ von Ernst Breit abgelöst wurde, waren es 39 Prozent. Daß CDU-Politiker den einstigen HJ-Jungstammführer genüßlich als „Nazi-Aktivisten“ abstempelten, verhinderte dessen mehrmalige Wiederwahl als DGB-Chef nicht: In Vetters Amtszeit stiegen die Nettoreallöhne von umgerechnet 13.503 auf 16.253 Euro jährlich. Zwischen 1992 und 2012 fielen sie hingegen von 19.155 auf 17.627 Euro. Gleichzeitig sank der gewerkschaftliche Organisationsgrad auf weit unter 20 Prozent.

Daß eine „industrielle Reservearmee“ die Löhne drückt, wissen nicht nur Marxisten. Deshalb bekämpfte der DGB in den fünfziger Jahren erbittert die von Adenauer und Unternehmern betriebene Gastarbeiteranwerbung. Der DGB setzte immerhin das „Inländerprimat“ durch. Daß Willy Brandt 1973 die Anwerbungen stoppte, ist vor allem dem DGB zu verdanken. Gegen „illegale Einwanderung“ vorzugehen, die „Rückkehr arbeitsloser ausländischer Arbeitnehmer“ zu fördern und die „wirkungsvolle Verschärfung der Strafen bei illegaler Anwerbung und Beschäftigung“ verlangen nicht die AfD oder Sahra Wagenknecht, das stand auf Vetters Agenda. Heute fordert der DGB mehr Rechte und Teilhabe für alle „kürzlich Eingereisten“.