© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Bislang erst einmal in meinem Leben bin ich Trauzeuge gewesen. Die Ehe hat nicht gehalten. Es lag nicht an mir. Vermutlich haben die beiden mit Anfang Zwanzig einfach zu jung geheiratet, aber für Außenstehende ist das immer schwer zu beurteilen. Gründe, warum sich ein Paar wieder scheiden läßt, gibt es ja wie Sand am Meer. Im vergangenen Jahr sind in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden 162.397 Ehen geschieden worden. 51,3 Prozent der Scheidungsanträge stellten die Ehefrauen, 40,9 Prozent die Männer. Die übrigen Anträge wurden von beiden gemeinsam gestellt. Die durchschnittliche Ehedauer betrug fünfzehn Jahre. Die Zahlen liegen etwa auf dem Niveau von 2015.


„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ (Erster Satz in Leo Tolstois Romanepos „Anna Karenina“, 1878)


Daß ein Paar sich einvernehmlich trennt, mag vorkommen, ist aber die Ausnahme. Meist bleibt einer auf der Strecke. „Verlassen zu werden ist eine tiefe Kränkung. Dazu kommt der Blick in den Abgrund. Alles, worauf sich das bisherige Leben gründete, ist in Frage gestellt“, sagt Jan Fleischhauer. Der Spiegel-Kolumnist und Autor hat jetzt seine eigene Scheidungsgeschichte nach 15 Jahren Ehe in einem tragikomischen Buch geschildert. „Alles ist besser als noch ein Tag mit dir“ lautet der Titel seines autobiographisch gefärbten Romans über die Liebe, ihr Ende und das Leben danach (Knaus-Verlag). Der 55jährige Fleischhauer beschreibt die Trennung als „größte Katastrophe“ in seinem Leben, gegen die er sich habe nicht wappnen können, weil sie überraschend für ihn gekommen sei. Doch was in der Regel dem Trennungsentschluß an Auseinandersetzungen folge, stelle alles andere in den Schatten. „Wer den völligen Zusammenbruch menschlicher Zivilisation erleben will“, schreibt Fleischhauer, „muß nicht nach Nigeria oder in den Kongo fahren. Es reicht, einen Tag an einem deutschen Familiengericht zu verbringen.“


Höchst lesenswert bei Fleischhauer sind auch seine eingestreuten politisch nicht korrekten Betrachtungen. Über den Zorn einer zur Trennung entschlossenen Frau notiert er:  „Wahrscheinlich würde die deutsch-polnische Grenze heute irgendwo bei Königsberg verlaufen, wenn nach dem Mauerfall eine über ihren Mann erboste Frau mit den Siegermächten abschließend über das deutsche Staatsgebiet verhandelt hätte.“