© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Ernst Bloch als Vordenker des linksgrünen „Hippiestaates“
Zivilgesellschaft als Sozialismus-Ersatz
(wm)

An der politischen Zurechnungsfähigkeit des Philosophen Ernst Bloch (1885–1977) begannen Zeitgenossen nicht erst in den 1930ern zu zweifeln, als er Stalins Schauprozesse und Massenmorde rechtfertigte. Schon gegen Ende des Ersten Weltkrieges, als er sich sicher war, mit dem US-Präsidenten Wilson, dem selbsternannten „Weltheiland“, bewege wieder der „Christusimpuls“ die internationale Politik, überschritt seine Realitätsferne die Grenze zur Lächerlichkeit. Vielleicht gerade deswegen erfährt das Werk des „produktivsten Ketzers des Marxismus“ (Oskar Negt) im heutigen postfaktischen, für alternative Wirklichkeiten wieder empfänglichen Zeitalter eine kleine Renaissance. Mit aktualisierenden Retuschen preist Werner Wild, Vizepräsident der Ernst-Bloch-Gesellschaft, seinen Hausgott daher als „frühen Denker der (kosmopolitischen) Zivilgesellschaft“ an, die Bloch ja eigentlich gemeint habe, wenn er vom Sozialismus als dem Reich „jenseits von Entfremdung und Verdinglichung“ sprach. (Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/2017). Auch was Wild als Konstante seines politischen Denkens preist, Blochs gegen „den Staat“ wütender, infantiler Anti-Etatismus, hat gerade im „Hippiestaat“ Bundesrepublik, dessen politisch-mediale Klasse Souveränität als lästig empfindet und die Staatsgrenzen für obsolet hält, ausgezeichnete Rezeptionschancen. 


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