© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Dammbruch am Isonzo
Vor hundert Jahren brachte ein großer Sieg der Mittelmächte in Italien einen ganzen Frontbogen zum Einsturz
Egon W. Scherer

Es war einer der größten Waffenerfolge der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg: der Sieg der Verbündeten Österreich-Ungarn und Deutschland in der 12. Isonzo-Schlacht im Herbst 1917. Die Niederlage Italiens in dieser Schlacht führte zum Einsturz des gesamten italienischen Frontbogens zwischen Dolomiten und Adria und zu einem Geländegewinn von 12.000 Quadratkilometern. Aber dieser Sieg hatte eine besondere Vorgeschichte.   

Als Italien, bis dato mit Deutschland und Österreich-Ungarn im „Dreibund“ vereint, wenn auch im Krieg bisher neutral geblieben, im Jahre 1915 die Fronten wechselte und zum Bundesgenossen der Feindmächte Frankreich, England und Rußland wurde, griff es die Österreicher sogleich entschieden an. So wurde die italienische Armee schon offensiv, bevor noch die Österreicher, die mit der Masse ihrer Truppen im Kampf gegen die Russen im Osten gebunden waren, die Verteidigungsstellungen an ihrer Südgrenze richtig bezogen hatten. Standschützenbataillone aus ganz jungen und älteren Männern hielten vielfach die Stellung, bis die regulären Truppen sie ablösten. 

Auch die Widerstandskraft der Verteidiger erschüttert

Allerdings konnte es im Hochgebirge, durch welches der weitaus größte Teil der neuen Front verlief, die sich von der Schweizer Grenze durch Tirol und Kärnten bis zur Adria erstreckte, immer nur um den Besitz beherrschender Berge gehen, wie beispielsweise um den Col di Lana in den Dolomiten. Nur im Osten der Frontlinie, im Abschnitt zwischen Julischen Alpen und Adria, entlang des Flusses Isonzo, schienen größere Offensivoperationen möglich. Auch hier war das Gelände felsig, eine für den Stellungskrieg  schwierige Karstlandschaft, aber doch weitaus flacher. Und mit der Stadt Görz und vor allem der großen Hafenstadt Triest lagen verlockende Ziele hinter der Front. 

So ließ General Luigi Cadorna, der italienische Generalstabschef, seine Divisionen in immer neuen Offensiven gegen die Stellungen der Österreicher am Isonzo anrennen. Es gab elf solcher Angriffsschlachten, vier schon 1915, fünf 1916 und zwei noch 1917. Diese Offensiven waren Materialschlachten wie an der Westfront an der Somme oder bei Verdun. Die Verluste waren entsprechend. Bis zur zehnten Isonzoschlacht waren auf beiden Seiten schon 600.000 Mann gefallen oder verwundet worden. 

Allein bei ihrer elften Offensive hatten die Italiener rund 170.000 Mann Verluste. Die Erfolge aber waren recht gering. Nach elf Angriffsschlachten am Isonzo waren Cadornas Truppen ganze elf Kilometer weitergekommen. Der größte Erfolg der Angreifer war im August 1916 die Eroberung von Görz, dem heutigen Gorizia, am Ostufer des Isonzo. 

Aber trotzdem – die unentwegten  Abwehrkämpfe im karstigen Felsengelände, das wenig Schutz vor dem mörderischen Trommelfeuer bot, wenn man sich nicht gerade in die wenigen Kavernen verkriechen konnte, hatten die Widerstandskraft der Verteidiger erschüttert und ihre Moral untergraben. Zwar hatte die Front bei der elften Isonzoschlacht noch einmal gehalten, aber Fälle von kollektivem Selbstmord sowie die dramatische Zunahme von Deserteuren, zumeist Tschechen und Ruthenen, zeugte von bedenklichen Auflösungserscheinungen unter den Fahnen des Vielvölkerstaates. 

Deutsche Offensive leitete italienisches Desaster ein

Ausgehend von der Überlegung, daß die Soldaten Österreich-Ungarns einer zwölften Isonzo-Offensive kaum noch standhalten könnten, entstand im Lager der Verbündeten der kühne Plan, als Ausweg aus dem Dilemma einmal vom Verteidiger zum Angreifer zu werden: der Plan zu einem Gegenschlag, bei dem erstmals auch deutsche Truppen auf diesem Kriegsschauplatz auftreten sollten. Der Angriff sollte im Raum zwischen Flitsch und Tolmein am Oberlauf des Isonzo erfolgen, wo es bisher noch zu keinen größeren Kampfhandlungen gekommen war. Der Hauptstoß war der 14. deutschen Armee unter dem Kommando von General Otto von Below zugedacht, der auch österreich-ungarische Truppenteile unterstellt waren. Am 24. Oktober 1917 entbrannte die Schlacht, und sie überraschte die Italiener durch eine neue Offensivform, den sogenannten „Talstoß“, wobei das Schwergewicht des Angriffs nicht mehr auf die Höhenzüge zielte, sondern in den Tälern lag. Sie überraschte weiter durch die enorme Massierung von Artillerie und den Einsatz von Phosgengranaten, die auf diesem Kriegsschauplatz bislang unbekannt waren und gegen deren Wirkung die Italiener keine Gasmasken hatten. 

Der Durchbruch gelang, und schon am dritten Tag der Schlacht brach die italienische Front zusammen. Bei diesen Kämpfen verdiente sich auch der damalige Oberleutnant Erwin Rommel, der spätere „Wüstenfuchs“, mit der Erstürmung des Monte Matajur den Orden Pour le Mérite, nachdem der Durchbruch im Tal auch den Vormarsch über die Höhen möglich gemacht hatte. Als sich auch weitere österreichische Armeen der Offensive anschlossen, erreichte man auf breiter Front den Tagliamento, der eigentlich Endpunkt des Vorstoßes sein sollte. Aber der feindliche Rückzug endete erst am Fluß Piave, wo sich der Widerstand versteifte und die Offensive Mitte November auslief. Die Angreifer standen nun kurz vor Venedig.  

Alle Gebirgsstellungen in den Dolomiten, den Karnischen und Julischen Alpen hatten die Italiener räumen müssen, weil der Feind sie im Rücken bedrohte. Das Desaster war perfekt: Ganz Friaul und Teile Venetiens waren verloren. Etwa 10.000 Soldaten waren gefallen, 30.000 verwundet, fast 300.000 Mann gefangen und weitere Hunderttausende desertiert. Riesige Mengen an Kriegsmaterial waren erbeutet worden. Die Alliierten sahen sich genötigt, mit britischen und französischen Divisionen die Front des Bundesgenossen wieder zu stabilisieren.