© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Disziplin, Respekt, Leistungsbereitschaft
Die einstige Wissenschaftssupermacht Deutschland erreicht in Mathe und Naturwissenschafen nur Mittelmaß
Dirk Glaser

Zum 85. Geburtstag bekam Rainer Weiss ein um vier Tage verspätetes Geschenk: den Nobelpreis für Physik. Der Einstein-Preisträger vom Massachusetts Institute of Technology erhielt die Auszeichnung zusammen mit Barry Barish und Kip Thorne, für die Entdeckung von Gravitationswellen – wandernden Verzerrungen der Raumzeit – deren Existenz Albert Einstein vor hundert Jahren aus seiner Allgemeinen Relativitätstheorie gefolgert hatte, die aber erst im Februar 2016 gemessen werden konnten. Die drei US-Forscher haben, unterstützt von einem Forschungsverbund unter deutscher Beteiligung, damit eine neue Epoche der Astrophysik eingeläutet.

Die Spitzengruppen dominieren Ostasiaten

Weiss, 1932 in Berlin als Sohn der Schauspielerin Gertrude Lösner geboren, mußte mit seiner Familie nach Prag und 1939 in die USA emigrieren, weil sein Vater, der Neurologe Frederick Weiss, Kommunist war und aus einem jüdischen Elternhaus stammte, das Kontakte zur Familie des ermordeten Reichsaußenministers Walther Rathenau hatte. Manche meinten, mit der Ehrung falle auch ein Licht auf den Wissenschaftsstandort Deutschland. Zudem zeige dies, welche Bereicherung Migranten seien. Beide Suggestionen sind abwegig.

Gleichwohl bietet die Nobelpreisverleihung (JF 42/17) Anlaß, um einen prüfenden Blick auf die Wissenschaftsnation Deutschland zu werfen. Dem Demographen Gunnar Heinsohn, der dies in einer mit Ostasien vergleichenden Skizze nicht zum ersten Mal tat, wird dabei schwarz vor Augen. Denn ausweislich der seit 1995 vom Bildungsverband IEA in Amsterdam durchgeführten Studien zu mathematisch-naturwissenschaftlichen Schulleistungen (TIMSS), gelang es Deutschland noch nie, in die von Singapur, Hongkong, Japan, China und Südkorea dominierte Spitzengruppe vorzustoßen. 2015 reichte es nur für Platz 20 in den Naturwissenschaften und Platz 24 in der Mathematik.

Für den Bremer Sozialpädagogen ist diese Zweitrangigkeit im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) nicht verwunderlich. Die TIMSS-Tabelle weist unter 1.000 Zehnjährigen in Singapur 500 mit den höchsten Mathe-Leistungswerten auf. In Hongkong sind es 450. China, das seine Zahlen geheimhält, dürfte ähnlich viele „Spitzenkönner“ haben. Japan ist mit 320 Mathe-Assen ostasiatisches Schlußlicht. Damit liegt das Kaiserreich vor den USA (140) oder Deutschland (53) und Frankreich (20). Deutschland rutschte in der TIMSS-Liga von Platz 12 (2007) auf Platz 24 (2015) ab.

Angesichts von Kreativ-Kohorten der 25- bis 30jährigen, die in China 130 Millionen, in Japan und Südkorea zusammen zwölf, in Deutschland aber nur noch fünf Millionen Menschen umfassen, dürfte dieser Trend unumkehrbar sein. In der globalen Wettbewerbsfähigkeit, die primär durch Bildung und Forschungsleistung bedingt ist, verlor Deutschland während der dritten Amtszeit einer promovierten Physikerin im Kanzleramt seinen sechsten Rang (2012) und begnügt sich mit dem 13. Platz.

Für ganz aussichtslos hält Heinsohn die Lage der einstigen Wissenschaftssupermacht, die zu Zeiten von Max Planck, Albert Einstein und Werner Heisenberg auf Nobelpreise abonniert war, allerdings selbst beim alarmierend geringen Fünf-Prozent-Anteil Hochbegabter unter den fünf Millionen seiner Kreativ-Kohorte nicht. Voraussetzung für eine Verlangsamung des Abwärtstrends gerade in der Hochtechnologiekompetenz wäre eine radikale Wende in der Einwanderungspolitik. Wie in Australien gebe es in Ostasien „Null Akzeptanz“ für unqualifizierte, unzivilisierte und integrationsunwillige Zuzügler, die den durchschnittlichen Intelligenzquotienten und das Bildungsniveau absenken.

Nachwuchssorgen bei Physiklehrern

Besonders sperre man sich gegen muslimische Neubürger, da man sich mit ihnen soziale Kosten und ethnisch-religiös determiniertes Destabilisierungspotential aufhalse, das Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorte ruiniere. In Ostasien, wo „Disziplin, Respekt, Leistungsbereitschaft“ die Basis der Wissenschaftskultur ausmache, sei bekannt, daß deutsche Steuermilliarden zu 41 bis 78 Prozent orientalische Minderheiten im verwahrlosenden öffentlichen Raum der Parallelgesellschaften alimentiere, aber nicht ins Schul- und Bildungssystem flössen.

Losgelöst vom globalen Kontext, taucht die jüngste Statistik zum Physikstudium an deutschen Unis den „Wissenschaftsstandort D“ in ein helleres Licht (Physik Journal, 8-9/17). „Physik hält Kurs“, titelt daher die Auswertung der Einschreibe- und Absolventenzahlen des Wintersemesters 2016/17 und des Sommersemesters 2017. 15.731 Personen haben sich in dieser Zeit für Bachelor-, Master- und Lehramtsstudiengänge in dem schwierigen Fach Physik immatrikuliert.

Gleichwohl will in der Konferenz der 59 universitären Physik-Fachbereiche keine Euphorie aufkommen. Denn die Absolventenzahl steige, nach dem Boom der neunziger Jahre, seit 2011 nicht mehr. Bei den Studentinnen stagniere sie sogar. Trotz aller Bemühungen, Mädchen für Physik zu interessieren, komme ihr Anteil seit einiger Zeit nicht mehr über 20 Prozent hinaus. Deswegen solle man froh sein, wenn die Statistik bei ihnen wenigstens keine signifikante Abbrecherquote belege. Weibliche und männliche Studenten kämen also gleich gut durchs Studium, das jedes Jahr etwa 600 künftige Physiklehrer abschließen. Weil jedoch ein großer Teil aktiver Lehrkräfte demnächst in Pension geht, müssen bis zu 700 Berufsanfänger nachrücken. Ein Bedarf, der „großzügig nach oben zu korrigieren“ wäre, wenn Geld für kleinere Klassen, flächendeckende Inklusion, individuelle Förderung, anspruchsvolle Nachmittagsangebote und bessere Lehrmittelausstattung frei wäre.

Welcher Schub zugunsten der Physik dann zu erwarten ist, darüber informiert Stefan Jorda, der bei der Wilhelm- und Else-Heraeus-Stiftung das Fundament für Spitzenleistungen legen möchte. Die Stiftung betreut das German Young Physicists’ Tournament (GYPT), einen nationalen Wettbewerb nach dem Muster von „Jugend forscht“, der 13- bis 18jährige Schüler für die Teilnahme am International Young Physicists’ Tournement (IYPT/iypt.org) trainiert und auswählt.

Seit 1995 nehmen Deutsche daran teil und siegten fünfmal – zuletzt 2008. Seitdem behaupten sich die Ostasiaten, allen voran generalstabsmäßig präparierte Singapur-Teams. Einigen Enthusiasten in der Lehrerschaft ist es zu danken, daß es nach einem „absoluten Tiefpunkt“ seit 2011 mit der deutschen Teilnehmerzahl aufwärts geht und bundesweit 14 Vorbereitungszentren entstanden sind, wo 2016 schon 180 Schüler (2011: vier) für die in diesem Jahr von Singapur ausgerichtete IYPT übten. Doch der Gastgeber siegte – zum fünften Mal in Folge. Die fünfköpfige deutsche Mannschaft errang auf Platz sechs unter 30 Teilnehmern eine Silbermedaille. Bei der Physik-Olympiade in Indonesien (ipho2017.id) gab es sogar drei Silber- und zwei Bronzemedaillen. China, Südkorea, Singapur und Rumänien erhielten hingegen je fünfmal Gold. Vietnam und Indien patzten: mit viermal Gold und einmal Silber.





Studentenanwerbung im MINT-Bereich

Um ihren Fachkräftebedarf im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) zu decken, wirbt die deutsche Wirtschaft um Bildungsausländer, die ein deutsches Studium absolviert haben. 44,4 Prozent von ihnen verfügten über einen MINT-Abschluß. Bei allen Absolventen in Deutschland liege der Anteil nur bei 30 Prozent. Hauptherkunftsländer der 58.000 Hochschulzuwanderer zwischen 2009 und 2014 waren China (18 Prozent), Rußland (zehn Prozent), Polen (sechs Prozent) sowie Indien und die Ukraine (je vier Prozent). Bei sieben Semestern Studiendauer koste es den Staat im Schnitt 108.000 Euro, um einen Bildungsausländer für den deutschen Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Problematisch sei der deutsche Trend zu vollständig englischsprachigen Studiengängen: Deutschkenntnisse auf hohem Niveau seien weiterhin „Grundvoraussetzung für eine qualifikationsadäquate Beschäftigung“.

„Fachkräftesicherung durch die Ausbildung von Bildungsausländern an deutschen Hochschulen“ (IW Trends 2/17):  www.iwkoeln.de