© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Es geht um Frauen, Speck oder die Ehre
Brauchtum: Noch immer halten sich zahlreiche regionale „Traditionssportarten“ von den Alpen bis an die Küsten
Verena Rosenkranz

Monatelang haben die jungen Burschen im Alpenraum für ihren 

großen Auftritt geübt. Bereits kurze Zeit nachdem das Weidevieh auf die saftigen Almen gebracht wurde, beginnen etwa im Bundesland Salzburg die traditionsreichsten Sportveranstaltungen. Bis das Weidevieh mit prachtvollem Blumenschmuck am Haupt wieder von den Hochweiden runter ins Tal gebracht wird, ringen die jungen Männer um die Ehre – und manchmal auch ein gutes Stück Speck. Früher, wie so oft, um eine Frau. 

Jung und Alt treten alleine oder in Gruppen an

Bereits um 1518 wurde das „Ranggeln“ erstmals urkundlich erwähnt und war ursprünglich ein Kräftemessen verliebter Senner, die so um die Gunst ihrer Holden und auch das Weiderevier ihrer Tiere kämpften. Heute ist die Veranstaltung auf einem beliebten Salzburger Berg, dem Hundstoa, sogar in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes eingetragen. Nach der feierlichen Messe um 10 Uhr werden die Hemdsärmel hochgekrempelt und der Gegner zu Boden gestreckt. Gewonnen hat jener Ranggler, dem es gelingt, alle Gegner am Boden auf den Rücken zu zwingen. Er wird dann als „Hågmoar“ gefeiert. 1978 gewann den Titel sogar ein Pfarrer, der zuvor noch seine Predigt abgehalten hatte. Bis zu 3.000 Besucher nehmen den stundenlangen Aufstieg auf den Grasberg auf sich, um dem amüsanten Schauspiel beiwohnen zu können.

An ein klares Regelwerk müssen sich auch die Teilnehmer der jährlichen Leonhardifahrt im bayerischen Tölz halten. Während Frauen und Kinder auf Wägen mit hölzernen Rädern sitzen, reiten die Männer voran und lassen gewaltige Peitschen durch die Luft sausen. Ursprünglich stammt das Schnalzen von den Fuhrwerksleuten, die sich verschiedene Knallfolgen ausdachten, um sie schon aus der Ferne voneinander unterscheiden zu können. 

Heute gibt es hierfür als Höhepunkt besagter herbstlicher Leonhardiwallfahrt sogar mehrere Wettbewerbe. Einzeln oder in Gruppen treten junge Burschen und stämmige Herren an, um nach Synchronität, Intensität und Korrektheit der ausgeführten Knallbewegungen beurteilt zu werden. Um Geschick und Schnelligkeit geht es auch einige hundert Kilometer weiter nördlich in Mecklenburg-Vorpommern bei den Zeesenboot-Regatten. Die flachen Schiffchen mit dem braunen Segel wurden ursprünglich für die Fischerei gebaut. Im Laufe des 20. Jahrhunderts lösten moderne Fangmethoden das Zeesen ab – viele Boote hatten plötzlich keine Verwendung mehr. Fischer und Bootsliebhaber entwickelten in 

den sechziger Jahren die Idee, spezielle Rennen auszurichten. Sieger ist, wer die vorher mit Bojen abgesteckte Strecke am schnellsten bewältigt und wieder zurück in den Heimathafen kehrt. Auf seine Füße achten sollte, wer im Ems- und Oldenburger Land sowie in Nord- und Ostfriesland unterwegs ist. Schilder am Straßenrand mit der Aufschrift „Achtung, Boßelstrecke“ sollte jeder ernst nehmen. Dann flitzen nämlich große Kugeln über den Asphalt. Gewonnen hat die Mannschaft, welche die aus Holz oder Gummi gefertigten Kugeln mit möglichst wenigen Versuchen ins Ziel bringt. Will ein Dorf ein anderes herausfordern, wird eine geschmückte Kugel an einem Bindfaden aufgehängt. Nehmen die Gegner die Kugel vom Faden, ist die Herausforderung angenommen.

Kommentatoren gibt  es in Nord und Süd

Einzig auf die Weite kommt es dagegen beim Klootschießen an. Der Legende nach ist der Brauch aus dem militärischen Können der Friesen mit Wurfgeschossen entstanden. Ursprünglich wurden die Wettbewerbe mit Lehmklumpen, den sogenannten „Klooten“ oder auch „Kluten“, durchgeführt. Die heutigen Kunststoffkugeln mit Bleikern werfen einige trainierte Sportler  bis zu 100 Meter weit.

Ein verbindendes Element zwischen den Küsten und Alpen ist – wie wohl bei allen Sportarten – die klare Aufteilung zwischen körperlicher Betätigung einiger Weniger und lautstarker Kommentierung der Schaulustigen. Während das Ranggeln in Salzburg von etlichen Besuchern fachmännisch analysiert wird, begleiten im Norden eigene „Käkler“ und „Mäkler“ das Klootschießen kritisch.