© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Wie hältst du’s mit der Religion?
Islam: Die Universität Hamburg hat einen Kodex erlassen, der der Toleranz in Sachen Glaubenspraxis Grenzen zieht
Peter Möller

Am Anfang stand der islamistische Terror. Als nach den Anschlägen vom 11. September 2001 deutlich wurde, daß Hamburg eines der Zentren der Terroristen um Mohammed Atta war, entschloß sich die Universität der Hansestadt, auf dem Campus einen sogenannten „Raum der Stille“ einzurichten. Der 2006 eröffnete Raum sollte dazu beitragen, den „interreligiösen Dialog“ zu stärken. 

Mehr als zehn Jahre später ist die Bilanz ernüchternd. Denn in der vergangenen Woche legte die Universität einen vielbeachteten „Verhaltenskodex zur Religionsausübung“ an der Hochschule vor. Die Botschaft dahinter: der Dialog ist gescheitert; jetzt müssen Vorschriften her, um das religiöse Miteinander zu regeln. Ausgerechnet ein Vorfall im „Raum der Stille“ war ein Anstoß für den Kodex. Denn dort hatten Moslems eigenmächtig einen Vorhang aufgehängt, um bei muslimischen Gebeten die Geschlechter voneinander zu trennen.

Weihnachtsfeiern       auch betroffen?

Solche Vorfälle hofft die Hochschulleitung mit dem Kodex künftig zu vermeiden. In dem Papier wird die Universität als eine säkulare, auf Pluralität in weltanschaulichen Fragen verpflichtete Institution charakterisiert, die den Methoden und Standards wissenschaftlicher Forschung und Lehre verpflichtet sei. Religiöse Überzeugungen würden jedoch respektiert und toleriert. So weit, so selbstverständlich. Doch andere Passagen lassen erahnen, mit welchen religiösen Problemen die Universität zunehmend zu kämpfen hat, etwa wenn es in dem Papier heißt: Die Religionsfreiheit schließe die Freiheit, „nicht zu glauben, ebenso ein wie die Freiheit, kein glaubensgemäßes Leben zu führen und keine religiösen Symbole zu verwenden sowie keine Bekleidungen zu tragen, die religiös motiviert sind“.

Bei der Vorstellung des Papiers, das von einer Kommission aus zehn Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen erarbeitet wurde, äußerte sich der Präsident der Universität, Dieter Lenzen, detaillierter zu den Hintergründen. So hätten sich in jüngster Zeit Fragen gehäuft, wie an der Hochschule mit religiösen Konflikten auf dem Campus umzugehen sei. Zudem berichtete er von „einzelnen Vorkommnissen“: So hätten beispielsweise männliche Muslime Druck auf Frauen ausgeübt, ein Kopftuch zu tragen, zudem sei in der Bibliothek laut gebetet worden. Ergänzt wird der Kodex durch eine zehn Punkte umfassende „Ausführungsbestimmung des Präsidiums“, mit der die Konsequenzen des Papiers für das universitäre Leben geregelt werden. Dort heißt es dann unter anderem, daß religiöse Feste in der Universität künftig nur noch im „Raum der Stille“ gefeiert werden dürften.

Auffällig ist, wie die Verantwortlichen immer wieder versuchen zu verschleiern, daß die allermeisten Vorfälle, die den Ausschlag für den Kodex gegeben haben, auf Moslems zurückgehen. Dennoch verwies Uni-Präsident Lenzen im Deutschlandfunk ausdrücklich darauf, daß auch „laute Gebete“ durch „christliche Gemeinschaften“ an seiner Hochschule ein Problem seien. Eine Aussage, die bei manchen Universitäts-Angehörigen für Verwunderung sorgte. 

Dagegen hatte die Leitung der Universität erst Anfang des Jahres im sogenannten WiWi-Bunker, einem Betonklotz, in dem die Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften untergebracht ist, einen „wilden“ Gebetsraum von Muslimen geräumt. „Unbekannte haben, nach Auskunft der Fakultät, ohne Ermächtigung Flächen in der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu Gebetszwecken okkupiert und dort Teppiche gelagert“, teilte die Universität dazu mit. Wegen der damit verbundenen Brandgefahr sei es notwendig gewesen, diese zu entfernen.

Die Islamische Hochschulgemeinde (IHG) kritisierte unterdessen mit Blick auf den Kodex, daß religiöse Feiern wie das Fastenbrechen nun nicht mehr auf dem Campus stattfinden dürften. „Wenn zum Beispiel das Fastenbrechen betroffen ist, dann dürfen wohl auch keine Weihnachtsfeiern mehr an der Uni Hamburg stattfinden“, sagte IHG-Vorsitzende Bilal Gülbas, und machte damit deutlich, daß die religiösen Verhaltensregeln noch für reichlich Konfliktstoff sorgen dürften.

Die Debatte wird dabei nicht auf Hamburg begrenzt bleiben, denn die Universität der Hansestadt steht mit dem Problem nicht allein. Anfang 2016 schloß beispielsweise die Leitung der Technischen Universität Dortmund einen „Raum der Stille“, nachdem Moslems diesen für sich beansprucht hatten und ebenfalls eine Geschlechtertrennung durchsetzen wollten. Obwohl die Nutzungsordnung religiöse Symbole in dem Raum ausdrücklich untersagt hatte, fanden sich dort bald Gebetsteppiche und der Koran. Anders als in Hamburg verzichteten die Verantwortlichen jedoch darauf, das Projekt mit einem religiösen Verhaltenskodex zu retten. „Der Versuch, einen überreligiösen Meditationsraum zu schaffen, ist gescheitert“, sagte die Sprecherin der Universität, Eva Prost, und fügte hinzu: „Einen neuen Anlauf wird es nicht geben.“ Zu einem ähnlichen Schritt entschloß sich im März die Technische Universität Berlin und schaffte Gebetsräume für Muslime wieder ab.