© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Punktsieg für die Realos
Zoff in der Linkspartei: Nach einer verbalen Schlammschlacht haben Partei- und Fraktionsspitze ihren Konflikt vorerst beigelegt
Werner Becker

Deutschlands Linke wird künftig den Grad ihrer inneren Zerrissenheit detailliert der interessierten Öffentlichkeit präsentieren: im Bundestag. Das ist das Ergebnis einer Fraktionsklausur in Potsdam, bei der es darum ging, wer von der Linksfraktion künftig wann und worüber reden darf und das die Deutsche Welle zutreffend auf die Formel „Parteispitze gegen Fraktionsspitze“ brachte. Wie bei den Sozialisten üblich, waren persönliche Animositäten derart eskaliert, daß sich die Spitzenpolitiker Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Katja Kipping und Bernd Riexinger – also die beiden Spitzenkandidaten im Bundestagswahlkampf und die beiden Parteivorsitzenden – schließlich in einen separaten Raum zur Beratung zurückzogen. 

Dem war eine fast fünfstündige Generaldebatte vorausgegangen. Zuvor hatte die Bild eine Aussage aus einer internen Runde zitiert, nach der Riexinger gesagt haben soll: „Sahra ist leider nicht aufzuhalten als Fraktionsvorsitzende. Man kann sie aber nicht einfach abschießen.“ Wenn man sie aber immer wieder abwatsche, werde sie von alleine gehen, heißt es in der eidesstattlichen Versicherung eines Zeugen. 

Westdeutsche Dogmatiker dominieren die Fraktion

Riexinger dementierte das zwar, aber Wagenknecht wurden diese Sätze offenbar von einem „jungen Parteimitglied“ bestätigt. Sie reagierte noch vor der Klausurtagung auffallend dünnhäutig mit der Androhung ihres Rücktritts: Sie wolle ihre Fähigkeiten gern in eine gute Oppositonspolitik einbringen, sehe aber „keinen Sinn darin, meine Kraft und meine Gesundheit in permanenten internen Grabenkämpfen mit zwei Parteivorsitzenden zu verschleißen, die offenkundig nicht zu einer fairen Zusammenarbeit bereit sind, wohl aber Kontakte zu bestimmten SPD-Kreisen haben, die in mir schon seit längerem ein großes Hindernis für eine angepaßte, pflegeleichte Linke sehen“.

Dieser lange Satz offenbart alle gärenden Prozesse in der Partei: den Streit in der Führungsspitze, den Umgang mit der SPD angesichts der neuen Verhältnisse im Bundestag, die Stimmenverluste unter den Arbeitern, die Positionierung in der Asylfrage. Der jüngste Machtstreit kommt in einer Zeit, in der es der Linken zwar nicht gelungen ist, in den Landtag des wichtigen Flächenlandes Niedersachsen einzuziehen, aber bei der Bundestagswahl mit 9,2 Prozent ihr zweitbestes Ergebnis seit SED-Zeiten erzielt hat. Allerdings hat sie – Ironie der Geschichte – gleichzeitig ihre Rolle als Protest- und Kümmererpartei in den neuen Bundesländern an die AfD verloren. Als zweitkleinste unter sechs Fraktionen steht ihr nur noch ein Bruchteil der Redezeit zu, den sie in der vorherigen Legilaturperiode hatte. Zudem sitzen in der neuen Fraktion jetzt mehrheitlich westdeutsche Dogmatiker.

Diese neue Gewichtigung hatten Kipping/Riexinger im Blick, als sie Wagenknecht/Bartsch das Rederecht beschneiden wollten. Bisher war es üblich, daß den Fraktionsvorsitzenden das Privileg zustand, noch vor den Fachpolitikern als erste der Fraktion nach Regierungserklärungen oder bei Generaldebatten das Wort zu ergreifen. Dieses Recht sollte an die Parteivorsitzenden übergehen und außerden in den Redebeiträgen grundsätzlich die Mehrheitsmeinung der Fraktion wiedergegeben werden müssen.

Teilkapitulation des Duos Wagenknecht und Bartsch

 Gegenüber dem Deutschlandfunk begründete Riexinger diesen Vorstoß mit der neuen Fraktion, in der viele Menschen sitzen, „die gar keiner der klassischen Strömungen angehören und auch nicht den Strömungen der Fraktionsspitze“, aber auch vertreten sein wollen: „Wir haben uns bemüht, daß die Fraktion und die Fraktionsführung quasi eine ausgewogene Vertretung hat.“ Der letztlich geschlossene Kompromiß bedeutet einen Punktsieg im Machtkampf für Kipping/Riexinger, denen zwar kein Stimmrecht im Fraktionsvorstand, dafür aber ein besseres Rederecht im Bundestag zugebilligt wurde. Nach ihrer Teilkapitulation wurden Wagenknecht und Bartsch mit 75 beziehungsweise 80 Prozent der Stimmen erneut als Fraktionsvorsitzende gewählt. 

Während Bartsch es anschließend als normal bezeichnete, daß es bei Personalentscheidungen „ruckelt“, trat Riexinger im Gespräch mit dem Deutschlandfunk noch einmal nach: Er halte nichts davon, „über die Medien interne Auseinandersetzungen auszutragen“ und „mit Drohungen oder Rücktrittsforderungen oder Erpressungen oder Ähnlichem zu reagieren“. Mit ihrer Wahl als Fraktionsvorsitzende habe Wagenknecht einen Vertrauensvorschuß bekommen und sollte jetzt darüber nachdenken, ob ihre Vorgehensweise geeignet war, den Zusammenhalt der Fraktion zu fördern.