© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Blick zurück – fast ohne Zorn
Christian Vollradt

Der goldene Oktober ist an diesem Montag weit entfernt vom Berliner Regierungsviertel. Die Hauptstadt nieselt. Abschiedswetter; ein Tag, bevor der neue Bundestag zusammentritt ...

Eine Handvoll Journalisten sitzt in einem kleinen Besprechungssaal des Jakob-Kaiser-Hauses, es gibt Kaffee und belegte Brötchen. Erika Steinbach hat zum Gespräch geladen, um sich von denen zu verabschieden, die sie medial begleitet haben. „Mal zu meiner Freude oder hin und wieder auch zum Ärger“, wie die scheidende Bundestagsabgeordnete offen bekennt. 27 Jahre Bundespolitik in Bonn und Berlin liegen hinter ihr. Zuletzt als Fraktionslose, nachdem die bekennende Konservative CDU und Unionsfraktion verlassen hat, weil sie die Politik Angela Merkels nicht mehr mittragen konnte und wollte. Noch einmal referiert die – nun ehemalige – direkt gewählte Abgeordnete aus Frankfurt die Trennungsgründe: Euro-Rettung, Energiewende, Asylpolitik. „Es wurde lange und intensiv diskutiert in der Fraktion, doch an der Spitze hat das nichts bewegt“, meint sie resigniert. Und obwohl sich weithin Unmut geregt habe, sei niemand „zum Blattschuß auf die Vorsitzende“ bereit gewesen. „Bürgerliche sind halt keine Revolutionäre.“ Das habe ja auch sein Gutes: „Revolutionen sind immer so blutig.“

Vom kommenden 19. Bundestag wünscht sich Frau Steinbach, daß er sich verstärkt den drängenden Problemen widmet: Zuwanderung, Innere Sicherheit. „Was die AfD umtreibt, hat früher die etablierten Parteien umgetrieben. Die AfD ist ein Kind der Unionsfraktionen.“ Beitreten werde sie dem Neuling jedoch nicht: „Ich muß mich erst noch von der CDU erholen“, lacht sie. 

Weder der Abschied aus Bundes-Berlin noch das trübe Wetter scheinen allerdings Erika Steinbachs Stimmung nachhaltig zu beeinflussen. Scherzend blickt sie in die männlich dominierte Runde: „Sie können das sicher nicht nachvollziehen“, meint sie augenzwinkernd, „aber ich fragte mich heute vor dem Kleiderschrank: ‘Was ziehst du nur heute an?’ Entschieden habe ich mich für diesen Blazer, den ich mir gleich nach meinem erstmaligen Einzug in den Bundestag gekauft habe.“ Erstaunte Blicke. Das stahlblaue Stück sitzt wie angegossen. Die Zahl männlicher Kollegen, denen nach fast drei Jahrzehnten im Hohen Haus noch das Sakko ihrer ersten Legislaturperiode paßt, dürfte im Promillebereich angesiedelt sein. Doch der Frankfurter Politikerin geht es im Rückblick nicht um Koketterie: „1990 in den ersten gesamtdeutschen Bundestag einzuziehen, das war das Schönste und ein unglaubliches Glücksgefühl. Dieses Gefühl ist geblieben!“ Überhaupt sei es alles in allem eine schöne Zeit gewesen. Mit „sympathischen Kollegen“, die in ihrer Mehrheit keineswegs „abgehoben und entrückt sind“.

Nach einer knappen Stunde geht man auseinander, der Abschied ist sehr persönlich. Es wird spürbar, daß es keiner politischen Übereinstimmung bedarf, um vor dieser Frau mit Haltung und Prinzipien Respekt zu haben. Die Glastüren des Jakob-Kaiser-Hauses öffnen sich, der Nieselregen hat sich verzogen. Berlin sagt adieu – und gibt sich versöhnlich.