© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Dialog als letzte Chance
Kurdistan: Bagdads Armee und schiitische Milizen setzen die Regierung Barzani unter Druck / Uneinigkeit unter Kurden
Michael Link

Der kurdische Traum von einem eigenen Staat scheint vorerst ausgeträumt. Mit Kirkuk und der gleichnamigen ölreichen Provinz ist in der Vorwoche praktisch das gesamte Areal, das die kurdischen Kämpfer 2014 im Nordirak eingenommen hatten, von irakischen Regierungstruppen und der iranisch-schiitischen Haschd al-Schaabi Miliz zurückerobert worden.

Die kurdischen Peschmerga zogen sich weitgehend kampflos aus der von der irakischen Armee eroberten Stadt Kirkuk zurück. Damit haben die kurdischen Streitkräfte rund 40 Prozent des insgesamt von ihnen gehaltenen Territoriums verloren. Lediglich in der Umgebung der Ortschaft Altin Köprü an der Straße zwischen Kirkuk und Erbil, der Hauptstadt der halbautonomen Region Kurdistan, kam es zuletzt zu einigen Zusammenstößen.

Die Regierung in Bagdad erklärte das kurdische Unabhängigkeitsvotum für ungültig und lehnt eine Abspaltung Kudistans vom irakischen Staatsgebiet strikt ab. Neben den USA lehnen auch die Nachbarländer Türkei und Iran das kurdische Unabhängigkeitsbestreben ab, während Israel seine Zustimmung zum Ausdruck brachte. Im Fall eines weiteren Vorrückens der militärischen Einheiten von Ministerpräsident Haider al-Abadi steht sogar der Fortbestand der kurdischen Autonomieregion in Frage, die nach Saddams Sturz 2003 in einem Sondergesetz anerkannt worden war.

Vergangenen Sonntag erklärten die Patriotische Union Kurdistans (PUK) und die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) zusammen mit 30 weiteren Parteien wie der Kurdischen Islamischen Union (KIU), daß sie die kurdische Unabhängigkeitserklärung nicht aufgeben werden. Die Parteien verurteilten den militärischen Einsatz Bagdads, zeigten sich jedoch auch zum Dialog mit Bagdad bereit. „Wir wollten immer einen Dialog haben, aber die irakische Seite hat eine militärische Lösung gewählt“, heißt es in der nach dem Treffen der Parteien in Erbil veröffentlichten Erklärung.

Bagdad setzt jedoch eine Reihe von Voraussetzungen für den Beginn des Dialogs mit Erbil fest. Regierungssprecher Saad al-Hadithi zählte zu den wesentlichen Verhandlungspunkten die Integrität des Staates Irak, dessen Verfassung und die „Verhinderung jeglicher Schritte, die seitens der Region Kurdistan entgegen der Verfassung“ unternommen werden könnten.

Diese Bedingungen seien „inakzeptabel“, erklärte Saadi Pira, Sprecher der PUK. „Wenn Bagdad ernsthaft Gespräche mit der kurdischen Regierung führen würde, hätten sie keine Haftbefehle gegen den kurdischen Präsidenten Masoud Barzani und Vizepräsident Kosrat Rasul erlassen“, befand Pira, für den das kurdische Unabhängigkeitsvotum weiterhin Gültigkeit besitzt.

Die Regionalregierung Kurdistans hat bereits am Freitag eine Erklärung des US-Außenministeriums begrüßt. Darin werden Bagdad und Erbil aufgerufen, ihre Bewegungen in den umstrittenen Gebieten zu koordinieren und den gemeinsamen Dialog zu beginnen. Allerdings scheint auch ein innerkurdischer Dialog nicht einfach: Seit 40 Jahren stehen die früheren Bürgerkriegsparteien PUK und KDP in einem angespannten Verhältnis, das sich zuletzt durch den einseitig von der PUK betriebenen Rückzug der Peschmerga aus Kirkuk eher verschlechtert hat.