© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Gegen das politische Establishment
Tschechien: Milliardär Andrej Babiš gewinnt Wahlen souverän / Koalitionsbildung gestaltet sich dennoch schwierig
Paul Leonhard

Tschechien wird künftig von dem Milliardär, Unternehmer und EU-Kritiker Andrej Babiš geführt. Im zweiten Anlauf ist es dem 1954 in Preßburg geborenen Slowaken mit seiner 2011 gegründeten Aktion Unzufriedener Bürger (Akce nespokojenych obcanu, ANO) gelungen, die anderen Parteien zu deklassieren. Die rund 8,4 Millionen Wahlberechtigten konnten am Freitag und Sonnabend unter 31 Parteien und Bewegungen ihre Favoriten für das Parlament küren, in dem 200 Abgeordnete sitzen werden. Knapp  61 Prozent machten von diesem Recht Gebrauch, knapp 29,7 Prozent der Wähler stimmten für die ANO.

Linke Parteien erleiden schwere Niederlage

In den Augen vieler Tschechen ist  Babiš ein Macher fernab des politischen Establishments, dessen steile Karriere und Erfolge ihnen imponieren. 1993 gründete er seine Firma Agrofert mit anfangs 16 Mitarbeitern und einem Umsatz von 60 Millionen. Agrofert übernahm 2013 die deutsche Großbäckerei Lieken AG. Heute wird sein Vermögen auf vier bis fünf Milliarden Euro geschätzt.

Jetzt will der 63jährige Tschechien umkrempeln. Bereits 2011 hatte er angekündigt, im Fall seiner Wahl das Land wie ein Unternehmen führen zu wollen, ohne Korruption und Vetternwirtschaft, mit effizienten, schlanken Strukturen. Daß ihn der sozialdemokratische Premierminister Bohuslav Sobotka wegen Vorwürfen des Steuerbetrugs im Mai entlassen hat und aktuell Polizei und Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Subventionsbetrug ermitteln, hat Babis im Wahlkampf nicht geschadet.

In der Mitte-Links-Regierung mit Sozial- ( CSSD) und Christdemokraten (KDU-CSL) hat sich die ANO in vier Jahren als verläßlicher Partner erwiesen. Es war seit 2002 die erste Regierung, die eine komplette Legislaturperiode hielt, auch wenn Babiš als Finanzminister zurücktreten mußte. Bei der Bewertung der Regierungsarbeit erhielt die ANO laut der Agentur CVVM die besten Noten.

In das neue tschechische Parlament werden neun Parteien einziehen. Damit setzt sich der Trend fort, daß die Links/Rechts-Polarisierung durch neue Kräfte an Intensität verliert. Nach der ANO vereinten die konservativen Bürgerdemokraten (ODS) mit 11,3, die Piraten mit 10,8 und die rechte Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD) mit 10,6 Prozent die meisten Stimmen auf sich. Die Kommunisten erhielten 7,7 Prozent der Stimmen, die bisher führenden Sozialdemokraten (CSSD) stürzten auf 7,28 Prozent ab. Einen Einzug ins Prager Parlament schafften auch die Christdemokraten mit 5,8, TOP 09 mit 5,3 und die Partei der Bürgermeister und Unabhängigen (STAN) mit 5,17 Prozent.

60 Prozent votieren gegen bisherige politische Elite

Obwohl mit der SPD und den Piraten zwei weitere Antisystemparteien zu den Wahlgewinnern zählen und damit knapp 60 Prozent der Wähler gegen die bisherige politische Elite gestimmt haben, steht Babiš vor einer schwierigen Regierungsbildung. 

Während er selbst eine Koalition mit der SPD ausschließt, verweigert sich der Parteichef der Bürgerdemokraten, Petr Fiala, jeglichen Verhandlungen mit Babiš. Auch die Piraten stehen einer Regierungsbeteiligung skeptisch gegenüber. Man schließe eine Koalition mit der SPD, den Kommunisten und der ANO aus, zitierte Radio Prag Piratenchef Ivan Bartoš.

Auch die Kommunisten, die das schlechteste Wahlergebnis seit 1926 erzielten, halten eine Zusammenarbeit für „fast vollkommen ausgeschlossen“, so ihr Chef Vojtech Filip. Vorsichtiger zeigt man sich bei den Sozialdemokraten. Parteivorsitzender Milan Chovanec stellte Bedingungen, zu denen eine künftige „pro-europäische“ Politik gehört. Auch halte er eine Zusammenarbeit mit Leuten, gegen die polizeilich ermittelt werde, für ausgeschlossen. Damit zielt er auf Babiš und ANO-Fraktionschef Faltynek.

Babiš selbst will mit allen Parteivorsitzenden sprechen. Bereits am Tag nach der Wahl gab es Gespräche mit den Kommunisten und der STAN. Am liebsten würde Babiš, der als Sohn eines kommunistischen Diplomaten in Paris und in der Schweiz aufgewachsen ist und dessen Name auf der Agentenliste des kommunistischen Geheimdienstes stand, aber die Koalition mit den Sozial- und Christdemokraten fortsetzen. Die Verhandlungen mit diesen hätten Vorrang, sagte Faltynek, schließlich habe man vier Jahre lang erfolgreich zusammen regiert und gemeinsam den derzeitigen Wirtschaftsaufschwung eingeleitet.