© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Seifenblase als Sinnbild der Existenz
Grundkonstante Wandel: Die Ausstellung „Luther, Kolumbus und die Folgen“ im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg zeigt vielfältige ambivalente Wirkungen des frühneuzeitlichen Aufbruchs
Felix Dirsch

Der Reformator Martin Luther ist in dieser Ausstellung nur einer der Initiatoren frühneuzeitlicher Wandlungsprozesse, neben dem „Entdecker“ Amerikas und dem frühen Verfechter des heliozentrischen Weltbildes, Nikolaus Kopernikus. Die drei Übergangsgestalten, ob gewollt oder nicht, förderten frühe Tendenzen der Globalisierung. Sie stehen für den Aufbruch zu neuen Ufern. So jedenfalls ein gängiges Bild in vielen historiographischen Darstellungen.

Die Wirklichkeit, die in der Präsentation zum Ausdruck kommt, ist weitaus komplexer. Der Augustiner-Eremit und Bibelwissenschaftler wollte keine neue Kirche schaffen, sondern zurückkehren zum Ideal der Urkirche. Er sah früh, daß seine Aktivitäten von anderen Zeitgenossen, die seine Anstöße weiterführten, instrumentalisiert wurden. So beklagte er sich in einem Schreiben an den Nürnberger Ratskonsulenten Christoph Scheuerl, das in einer der Vitrinen zu sehen ist, über die zu schnelle Verbreitung seiner Thesen. Wie ambivalent Luther die Veränderungen seiner Epoche bewertete, ist daran zu erkennen, daß er die gewaltigen Umbrüche als Vorboten des Jüngsten Gerichts deutete, das die Spreu vom Weizen trennt.

Von den wertvollen Dokumenten der Ausstellung ist der Kolumbus-Brief einer der besonders lesenswerten. Darin berichtet der aus Genua stammende Seefahrer von seinen Erfahrungen in der Neuen Welt, wenngleich er überzeugt war, asiatische Inseln gefunden zu haben. In dieser Fundgrube für Kulturwissenschaftler und Anthropologen werden zeitgenössische Einschätzungen jener kulturfremden Menschen deutlich, die lange Zeit als zu missionierende Andere galten, jedoch die eigene Identität im Laufe der Zeit nicht unbeträchtlich zu hinterfragen halfen. Gleiches galt für die Fülle an neuen Eindrücken von bis dato fremden Tieren und Pflanzen. 

Alle Bereiche der Lebens- und Alltagswelt der Menschen, auch in Euro-pa, gerieten bald nach der Überfahrt in Fluß. Selbst der Glaube war davon betroffen, konnten doch die neuen Erfahrungen und Erlebnisse in Amerika nicht einfach bruchlos in den Wissenskosmos der Zeit integriert werden. Aus der größeren Zahl an Ausstellungsstücken ist der Vitzliputzli hervorzuheben. Es handelt sich um das silbervergoldete Kultbild einer mittelamerikanischen Tiergottheit. Bald erschienen Traktate, die vor solchem Götzendienst ausdrücklich warnten. Die frühe, allzu massive Ablehnung derartiger neuer Eindrücke blieb nicht das letzte Wort. Erst längerfristig wurde manchem bewußt, daß auch die eigene religiöse Praxis durchaus als relativ zu begreifen ist.

Der Blick in die Bibel reichte nicht mehr aus

Wie ging man mit den neuen Eindrücken und Erkenntnissen um? Empirie als Strategie war angesagt, um die Fülle neuer Informationen zu verarbeiten. Der bisher übliche Blick der gebildeten Oberschichten in die Bibel reichte nicht mehr aus. Selbst das Paradies wurde ortlos. Die neuen Karten sahen diese theologische Vorstellung nicht mehr als Teil der Geographie. 

Ähnlich wirbelten die von Kopernikus eingeleiteten Neuerungen die herkömmlichen Wissensbestände auf den Gebieten Astronomie und Astrologie (damals noch ungetrennt) durcheinander. Die Kritik des „konservativen Revolutionärs“ am traditionellen geozentrischen Weltbild, das bis in die Antike zurückreicht, bedeutete eine indirekte Abwendung von biblischen Überlieferungen, die sich mehr und mehr als geschichtlich bedingte Fixierungen herausstellten. Den Konflikt mit kirchlichen Autoritäten prophezeite der Domherr hellsichtig. Erst seine wissenschaftlichen Erben trugen die Auseinandersetzungen mit allen Konsequenzen aus. Die Natur wird seit Galileo Galileis Forschungen, die Kopernikus’ Sicht belegten und verifizierten, mittels mathematischer Zeichen beschrieben und somit mehr und mehr entgöttert.

Partieller Niedergang der Tauschwirtschaft

Großartige Innovationen sind weiter mit dem Namen Andreas Vesalius (1514–1564) verbunden. Der Anatom stellte die Reise nach innen, in den menschlichen Körper, derjenigen nach außen, in die Weiten des damals bekannten Universums, an die Seite. Was lange bloße Handwerkertätigkeit war, mutierte bald zur Aufgabe des Mediziners. Es reichte nicht mehr, die Lehrbücher antiker Autoritäten zu konsultieren, der Chirurg mußte vielmehr eigens „handt“ anlegen, wie es in den Quellen heißt. Trotz dieser epochalen Kehre blieb das Sezieren von Leichen noch lange Zeit mit einem Tabu behaftet.

Wenn es Hoffnungen auf eine bessere Welt infolge des frühneuzeitlichen Aufbruchs überhaupt gegeben hat und es sich nicht nur um retrospektive Projektionen handelt, so wurden sie bald enttäuscht. Die frühe Globalisierung zeigte beizeiten ihre Schattenseiten. Nicht zuletzt die Ökonomie vermeldete nachhaltige negative Wirkungen der immensen Kapitalzuflüsse aus der Neuen Welt – der inflationistische Trend bewirkte den partiellen Niedergang der Tauschwirtschaft. Die Freude über neue Güter, von Gewürzen bis Edelsteinen, wurde zudem beeinträchtigt durch eingeschleppte Krankheiten. Außerdem gefährdete ein Temperatursturz in der frühen Neuzeit die Existenz breiter Bevölkerungsgruppen. Die Ernteerträge gingen in der „Kleinen Eiszeit“ zum Teil drastisch zurück. Die Malerei reagierte auf die Abkühlung mit neuen Motiven; beeindruckende Winterlandschaften entstanden in großer Zahl. Die Kälteperiode blieb nicht ohne gesellschaftliche Folgen. Viele Zeitgenossen suchten Sündenböcke. Der Hexenwahn grassierte fast überall. Jeden konnte der Vorwurf treffen.

Am Ende des Rundganges begegnen sich Historie und Gegenwart. Auf einer der vielen Tafeln wird der Besucher mit einer zeitlosen Lebensweisheit konfrontiert: Das Sprichwort „Homo bulla est“, der Mensch ist eine Seifenblase, trifft heute im gleichen Maße zu wie damals. Der Augenblick ist schön, aber vergänglich. Das Fortschrittsbewußtsein, das sich immer wieder einstellt und das Denken vieler Menschen im Laufe der Jahrhunderte beschäftigt hat, wird stets konterkariert durch die Kürze und Verletzlichkeit des Lebens. Der Wandel mag viel Gutes mit sich bringen – aber das Negative ist zumeist nicht fern.

Die große Stärke der Ausstellung liegt darin, daß sie relativ überschaubar ist und dennoch eine Fülle prägnanter Eindrücke präsentiert.

Die Ausstellung „Luther, Kolumbus und die Folgen“ ist noch bis zum 12. November im Germanischen Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, in Nürnberg täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 09 11 / 13 31-0 Der broschierte Ausstellungskatalog mit 312 Seiten und 230 Abbildungen kostet im Museum 27 Euro.

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