© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Strahlende Reste aus dem Dritten Reich
Ein Fund radioaktiven Materials in Oranienburg löst neue Diskussionen über das NS-Atomprogramm aus
Paul Leonhard

Der Fund eines angeblich radioaktiven Metallklumpens durch einen Hobby-Schatzsucher aus Leegebruch bei Oranienburg hat die Diskussion um die ehemaligen Auer-Werke neu entfacht. Ließ hier Adolf Hitler tatsächlich die deutsche Atombombe bauen, wie der Berliner Kurier Ende September auf einer Doppelseite seinen Lesern zu suggerieren versuchte?

Ein etwa 1,3 Kilogramm schweres, etwa faustgroßes Metallstück hatte am Abend des 20. September für einen Polizeieinsatz gesorgt. Strahlenschutzexperten richteten einen Sperrbezirk ein. Ein metallähnlicher Gegenstand, der nicht magnetisch war und offenbar schwach radioaktiv strahlte, sei „in einem Spezialbehälter (Bleimantel) gesichert“ worden, heißt es im Lagebericht der Polizeidirektion Nord in Neuruppin. Nicht ausgeschlossen werde „ein Zusammenhang mit der früheren Geschichte Oranienburgs (Auer-Werke)“, zumal der Finder Angaben zum genauen Fundort verweigerte. Die Polizei leitete ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des „unerlaubten Umgangs mit radioaktiven Stoffen“ gegen den 64jährigen Schrottsammler ein. 

In Oranienburg sei „intensiv an der deutschen Atombombe geforscht“ worden, hieß es daraufhin in Berliner Zeitungen, was in zweierlei Hinsicht falsch ist. Die Oranienburger Auer-Werke waren während des Zweiten Weltkriegs Zentrum der deutschen Uranaufbereitung, geforscht wurde dagegen in Leipzig, Berlin-Dahlem und im brandenburgischen Gottow. Daß die Deutschen den Bau der Atombombe aufgegeben hatten, wußten die Amerikaner 1944 nicht, als sie das Spezialkommando „Alsos“ aufstellten. Sie fürchteten, Hitler könne vor ihnen über einsatzfähige Atomwaffen verfügen. Die Suche der „Alsos“-Männer nach deutschen Atomforschern und ihren Forschungsstätten zeichnete der Historiker David Irving schon vor fünfzig Jahren unter dem Titel „So groß wie eine Ananas...“ in einer Spiegel-Serie nach. Besorgniserregend war für die Westalliierten die Meldung aus dem befreiten Brüssel, daß die gesamten Uranvorräte der „Union Minière“, immerhin 1.200 Tonnen, nach Frankfurt am Main und Oranienburg gebracht worden waren, außerdem Frankreichs Bestände an dem gleichfalls radioaktiven Schwermetall Thorium.

Auer-Werke zerstören, bevor Sowjets Zugriff bekommen

Im Frühjahr 1945 kristallisierten sich für die USA zwei Probleme heraus: Die Uranoxid und Uranmetall in Platten- und Würfelform produzierenden Auer-Werke in Oranienburg und das Uranerz-Depot bei Staßfurt würden künftig in der sowjetischen Zone liegen. Im letzteren Fall löste die 83. US-Infanteriedivision das Problem, die im April 1945 Staßfurt eroberte und die dort lagernden mehr als tausend Tonnen Uranerz innerhalb von drei Tagen in die amerikanische Zone abtransportierte.

Damit befand sich das gesamte belgische Uranerz im Besitz der Amerikaner und diese konnten ausschließen, „daß die Deutschen irgendwelche Atombomben in diesem Krieg einsetzen“, so General Leslie Groves, militärischer Leiter des US-Atombombenprogramms, am 23. April 1945. In Oranienburg, wo es für die Amerikaner nichts zu besetzen gab, war, wie Irving schreibt, „die Zertrümmerung der Anlage dringend angeraten“.

Diese Aufgabe übernahmen am 15. März mehr als 600 „Fliegende Festungen“. Da diese neben den Auer-Werken auch den strategisch bedeutsamen Verschiebebahnhof sowie die Hauptquartiere des Oberkommandos des Heeres bzw. der Wehrmacht in Wünsdorf/Waldstadt bei Zossen bombardierten, war lange Zeit strittig, daß der Angriff tatsächlich den Auer-Werken galt.

Ein Umdenken brachte 2012 erst der Dokumentarfilm „Atomwettlauf – das Geheimnis der Bombardierung Oranienburgs“ von Thomas Claus, der die Recherchen von Irving aus dem Jahr 1967 bestätigt: „Der Angriff der US Air Force am 15. März galt der Uranerzproduktion“, schreibt Claus: Die Amerikaner „wollten Tabula rasa machen, um den Russen im Wettlauf um die Atombombe nichts zu hinterlassen“.

Die Bomben sorgten dafür, daß in Oranienburg einige Quadratkilometer „mit Thorium-232 und Radium-226 in einem extremen Ausmaß verseucht sind“, wie Paul Koch, Leiter des staatlichen Munitionsbergungsdienstes in Wünsdorf sagt. So mußte in den neunziger Jahren der Sportplatz Mainzer Straße gesperrt werden, da der Sand in der Sprunggrube verstrahlt war. Die Vorsicht der Polizei  bei dem mysteriösen, nicht magnetischen Metallklumpenfund vom 20. September war also durchaus angebracht.