© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Spielend vorwärts
E-Sport: Auch in Deutschland wächst die Szene der Tastatur- und Mauskünstler zum Massenphänomen
Lukas Steinwandter

Sie nennen sich Exileh, KoroKy, tabseN oder Nurok und kämpfen im Team oder alleine als Drachen, mit Spielkarten, ganzen Armeen oder realitätsgetreuen Waffen gegeneinander. Im Internet folgen ihnen Millionen Fans. Zehntausende pilgern in Stadien, wenn sie im virtuellen Wettkampf aufeinandertreffen. Die Rede ist von E-Sportlern: Vor allem junge Männer, die ihr Lieblingsspiel nicht nur der Unterhaltung wegen spielen, sondern wettkampforientiert, mit dem Ziel nach Höchstleistungen – und dabei mitunter Millionen verdienen. 

Schon seit Jahren mischen deutsche Gamer in unterschiedlichsten Spielen und Ligen ganz vorne mit. So wie Nils Gebhardt. Im Spiel „Heroes of the Storm“ (HoS) kennen ihn jedoch die meisten unter seinem Spitznamen Nurok. Der 26jährige aus Kaiserslautern steht bei der niederländischen Profimannschaft „Team Liquid“, einer führenden europäischen E-Sport-Organisation, unter Vertrag. HoS zählt zum Genre der Multiplayer Online Battle Arena (Moba). Es treten zwei jeweils fünf Mann starke Teams in einer arenaartig aufgebauten Karte gegeneinander an. Ziel ist es, das gegnerische Hauptgebäude, die Base, zu zerstören. Die Spieler wählen vor Beginn jeder Runde verschiedene Charaktere aus, die unter anderem aus den berühmten Warcraft-, Starcraft- und Diablo-Universen stammen. Das erst vor zwei Jahren veröffentlichte Echtzeit-Strategiespiel überschritt bereits nach gut einem Jahr die Live-Zuschauerquote von 100.000 – bei älteren Spielen sind es Millionen.

Wie sieht der Alltag eines professionellen Computerspielers aus? „Im großen und ganzen ist er mit einem normalen Job vergleichbar, mit dem einzigen Unterschied, daß wir auch außerhalb der regulären Arbeitszeit trainieren, einfach weil es uns Spaß macht und wir unsere Arbeit quasi leben“, erklärt Nurok der JUNGEN FREIHEIT. Er stehe morgens auf und spiele zum Aufwärmen einige Runden allein. „Um 12 Uhr beginnt die erste Trainingssession, auch Scrim genannt. Dabei spielen wir gezielt gegen andere Profi-Teams für zwei bis drei Stunden.“ Das bedeutet drei Stunden Höchstkonzentration und bis zu 400 Klicks pro Minute. Es folgt eine Pause, dann dasselbe nochmal. „Zu guter Letzt gibt es noch am Abend Training, wobei diese Session flexibel ist und es sein kann, daß wir lediglich Replays analysieren und nicht selbst spielen, das heißt, wir schauen zusammen gespielte Matches und versuchen unsere Fehler auszubessern.“ Zum Training gehören aber auch ausgleichende Laufeinheiten und Krafttraining, um Verletzungen an den Armen vorzubeugen.

Profi-Fußballvereine sind ins Geschäft eingestiegen

Obwohl die deutsche Profiszene mittlerweile international vorne mitspielt, ist E-Sport in der Gesellschaft noch nicht so etabliert wie in anderen Ländern. Vorreiter sind asiatische Länder wie Südkorea und China. Im Pekinger Olympiastadion findet am 4. November das Finale der „League of Legends“ (LoL)-Weltmeisterschaft statt. Die 90.000 Plätze fassende Arena ist bereits seit Wochen ausverkauft. Im vergangenen Jahr brach das Turnier mit 43 Millionen Menschen zum wiederholten Mal den Zuschauerrekord. Gemessen an den Zuschauerzahlen ist LoL die Nummer eins im E-Sport. Dahinter folgen Dota2 – beides sind Moba – und Counter Strike. Der oft als „Killerspiel“ verunglimpfte Taktik-Shooter hält sich nach wie vor in den Top drei der wichtigsten kompetitiven Computerspiele, obwohl seit seiner Erstveröffentlichung 1999 einige Jahre und zahlreiche e-sporttaugliche Spiele in die virtuellen Lande gezogen sind. 

Dennis „Koala“ Berg ist Coach und spielt in einer Regionalliga von LoL. Daß es trotz der explodierenden Beliebtheit immer noch Kritik an jungen Leuten gibt, die einen erheblichen Teil ihrer Freizeit vorm Rechner sitzen, kann der Schweizer nicht verstehen. „Wenn man heute spielt, sitzt man nicht alleine im Keller und isoliert sich von Menschen. Gaming ist sozial geworden.“ Daß es sich bei den Tastatur- und Maus-Künstlern um gesellschaftliche Exoten handelt, diese Meinung dürfte aber auch in Deutschland bald der Vergangenheit angehören. Erstmals wurde in diesem Jahr die Gamescom – die weltweit größte Videospielmesse – von der Bundeskanzlerin eröffnet. Am 19. November wird der Fernsehsender ProSieben erstmals live das Finale der Counter-Strike-Serie „Intel Extreme Masters“ in Oakland übertragen. „Die gesellschaftliche Akzeptanz ist vorangeschritten, definitiv“, sagt Nurok. „Ich bin mir sicher, daß der E-Sport in Deutschland vorerst nicht Halt machen wird.“

Das hat auch die Wirtschaft erkannt. Immer mehr Unternehmen wie Audi und Vodafone interessierten sich für den digitalen Sport, um die junge, digitalaffine Zielgruppe zu erreichen, die über klassische Werbung kaum noch angesprochen werden könne, resümiert der Bundesverband Interaktiver Unterhaltungssoftware in einem aktuellen Report. Aber auch auf sportlicher Seite mischen große deutsche Traditionsmarken mittlerweile mit. 2016 lancierte der FC Schalke 04 ein eigenes LoL-Team. „Wir sehen uns als Vorreiter in einer Sportart, mit der wir in die Zukunft blicken wollen“, gab die Geschäftsführung bekannt. Die Entscheidung sei nach „langen Überlegungen, Beobachtungen und Analysen“ gefallen. Der E-Sport in Deutschland steht vor einer blühenden Zukunft, ist sich Nurok sicher. „Es wird immer weiter vorwärtsgehen, die Events werden größer und die Preisgelder steigen, davon bin ich fest überzeugt.“